Kardinal Walter Kasper empfiehlt Katholiken Luthers Schriften

Von Luther lernen

Kurz vor dem Start der Lutherdekade hat Kurienkardinal Walter Kasper vor einer Abgrenzung in der Ökumene gewarnt. Zum Reformationsjubiläum 2017 sei dem Protestantismus eine Rückbesinnung auf den Glauben des Reformators Marin Luther, der allen heutigen liberalen Tendenzen zutiefst abgeneigt wäre, nur zu wünschen, sagte der "Ökumene-Minister" des Vatikans der "Frankfurter Allgemeine Zeitung".

 (DR)

Vor einer Verschärfung der Gegensätze zwischen Katholiken und Protestanten im Zuge der 500-Jahrfeiern der Reformation hat Kurienkardinal Walter Kasper gewarnt. Der Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen rief evangelische und katholische Kirche am Dienstag in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» auf, das Reformationsjubiläum auch zu einer Standortbestimmung zu nutzen, sich auf die gemeinsame Herkunft und die gemeinsame Verantwortung für die Zukunft zu besinnen.

Von einer «ökumenischen Eiszeit» kann nach den Worten Kaspers derzeit keine Rede sein. Allerdings könne von einer «Ernüchterung» gesprochen werden. Der Kardinal verwies darauf, dass der Päpstliche Einheitsrat derzeit 14 bilaterale Dialoge mit anderen Glaubensgemeinschaften führe. Das sei «mehr als jede andere Kirche».

Kasper betonte, er sei gespannt, wie sich der Protestantismus beim Reformationsjubiläum 2017 präsentieren werde. «Eine Rückbesinnung auf den Glauben des Reformators Martin Luther, der allen heutigen liberalen Tendenzen zutiefst abhold wäre, kann man dem Protestantismus nur wünschen», betonte er. «Es wäre dagegen schlimm, wenn daraus ein neuer Konfessionalismus würde.» Unter Konfessionalismus versteht man das Bemühen, sich durch einen Rückzug auf das eigene Bekenntnis scharf gegen andere Konfessionen und Denkweisen abzugrenzen. Für die Katholiken wünscht sich der Kardinal, dass sie einen «Luther voller Glaubenskraft» entdecken, den man zwar «nicht einfach katholisch machen» könne, von dem aber auch Katholiken lernen könnten.

Der vom Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche (EKD), Bischof Wolfgang Huber, in die Debatte geworfene Begriff der «Ökumene der Profile» ist nach Einschätzung des Kardinals dann sinnvoll, wenn er auf einen Dialog zwischen Partnern abziele, die sich ihrer eigenen Identität bewusst sind. «Schwierig wird es freilich, wenn aus Profil Profilierung wird und Abgrenzung an die Stelle von Austausch der Gaben und Reichtümer tritt.»

In diesem Zusammenhang warnte Kasper davor, die von der EKD verwendete programmatische Formulierung «Kirche der Freiheit» in Abgrenzung zu einer angeblich autoritäts-fixierten katholischen Kirche zu gebrauchen. Ehrlicherweise müsse man sagen, dass sich der Protestantismus bis ins 19. Jahrhundert hinein gegenüber Katholiken «gar nicht so freiheitlich verhalten» habe und bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts eng mit dem Staat «verbandelt» gewesen sei. Freiheit dürfe auch nicht im Sinne von Beliebigkeit verstanden werden, sondern müsse eine enge Bindung an das Christus-Bekenntnis und das Dasein für andere einschließen.

Zur Frage eines gemeinsamen Abendmahls sagte der Kurienkardinal, sowohl nach katholischem als auch nach traditionell lutherischem Verständnis gehörten Kirchen- und Abendmahlsgemeinschaft zusammen.
Eine allgemeine, unterschiedslose Einladung zur Kommunion an Angehörige anderer Bekenntnisse sei deshalb nicht möglich und nicht zu verantworten. Kasper räumte allerdings mit Blick auf konfessionsverschiedene Ehen ein, dass in streng begrenzten Einzelsituationen der Zugang zur Kommunion auch Angehörigen protestantischer Kirchen nicht verweigert werden solle.

Kritik äußerte der Präsident des Einheitsrats am Kurs der evangelischen Kirchen in ethischen Fragen. Während es bis in jüngste Zeit kaum Unterschiede zwischen Katholiken und Protestanten in moralischen Überzeugungen gegeben habe, zeichneten sich heute bei Themen wie Empfängnisverhütung, Abtreibung, Homosexualität oder Embryonenforschung ein breites Meinungsspektrum auf evangelischer Seite und bisweilen deutliche Differenzen zur katholischen Kirche ab. «Das biblische Zeugnis scheint uns in den meisten dieser Fragen eindeutig zu sein», fügte Kasper hinzu. «Deshalb muss man die evangelischen Partner fragen, wie ernst sie es mit der Verbindlichkeit der Schrift nehmen.»

Der in der FAZ abgedruckte Beitrag Kaspers stammt aus dem kürzlich im Herder Verlag erschienenen Interview-Buch «Wo das Herz des Glaubens schlägt».