Im Salzstock Asse lagert tonnenweise Atommüll

Verstrahlt

Die Signalglocke schrillt ohrenbetäubend, dann geht es abwärts. Mit zehn Metern pro Sekunde rauscht der Förderkorb herunter ins frühere Salzbergwerk Asse II bei Wolfenbüttel. Auf der höchstgelegenen Sohle bei knapp 490 Meter unter der Erdoberfläche stoppt der Korb. Die dicke Tür öffnet sich und gibt den Blick frei in das meterhohe Salzgewölbe. Knapp 21 Meter tiefer liegt seit mehr als 30 Jahren Atommüll in einer ehemaligen Abbaukammer. Vor kurzem wurde bekannt, dass hier verstrahlte Lauge durchs Gestein sickert.

Autor/in:
Daniel Staffen-Quandt
 (DR)

Heiko Zimmermann steigt in 490 Metern Tiefe in einen offenen weißen Jeep und gibt Gas. Es ist knapp 30 Grad warm und stickig, der riesige Grubenlüfter dröhnt. Der Betriebsingenieur lenkt das Auto durchs Stollengewirr, stoppt plötzlich in einer hellen Kammer. Eine große Seilwinde steht dort über einem zubetonierten Loch im Boden, in der Ecke surrt ein Lüfter.

«Von hier aus wurden von 1972 bis 1977 rund 1300 Fässer mit mittelradioaktivem Abfall in eine Abbaukammer hinuntergelassen», erzählt Zimmermann. Dort türmen sich die gelben Fässer vermutlich noch immer kreuz und quer aufeinander. Genau weiß das aber keiner, auch Zimmermann nicht. Denn das Absenkloch wurde 1977 zubetoniert, die unten installierte Kamera ist mittlerweile kaputt. Nur der Lüfter hat noch eine direkte Verbindung in die Kammer. Auf seiner dunkelgrünen Blechverkleidung kleben Radioaktiv-Warnschilder. Der Lüfter sauge Luft aus der Kammer und sorge somit für Unterdruck, sagt Zimmermann, damit die kontaminierte Luft nicht einfach irgendwohin entweiche.

Zimmermann fährt weiter abwärts. In der Dunkelheit hält er an, leuchtet mit der Helmlampe in eine Bucht am Wegesrand. «Das hier ist eine der Kammern, in denen Salz abgebaut wurde», erklärt er. Erkennbar sind nur ein großer Haufen grobkörniges, dreckig graues Salz und oben ein Spalt. Alle 120 Abbaukammern, in denen kein Atommüll lagert, wurden mit Salz von Deponien verfüllt. Genauer gesagt: Das Salz wurde in die 60 mal 40 Meter großen sowie 15 Meter hohen Hohlräume mit Luft hineingeblasen. Doch bereits ein paar Jahre später hatte sich das Salz verdichtet - in den Kammern entstanden neue Hohlräume.

"Salz bewegt sich», sagt Zimmermann. Die Kammern könnten irgendwann einstürzen oder sich langsam schließen - der Atommüll läge dann unerreichbar in Hunderten Metern Tiefe. Das war in den 60er Jahren auch der Plan: In dem als Versuchs-Endlager eingerichteten Bergwerk sollten Lagertechniken für spätere Atommülllager wie Gorleben oder Schacht Konrad ausprobiert werden. Das wandernde Salz wäre nicht das große Problem, würde nicht auch seit Jahren Salzlauge von Gesteinsschichten außerhalb des Bergwerks in seine Stollen dringen. Elf Kubikmeter Kochsalzlösung sind es Tag für Tag allein an einer Stelle der 658-Meter-Sohle.

Kontaminierte Lauge
«Das Wasser wird aufgefangen, gesammelt und an die Oberfläche gepumpt», sagt Zimmermann. «Natürlich nehmen wir regelmäßig Proben und prüfen, ob es kontaminiert ist», schiebt er schnell hinterher, wohl wissend, dass zurzeit alle nur das eine an Asse interessiert. Diese sogenannte Zutrittslauge ist einer der Hauptkritikpunkte der Asse-Gegner. Sie vergleichen die Asse gerne mit einem Sandwich: Drückt man auf das Brötchen, quillt die Mayonnaise irgendwo an der Seite heraus. Das Brötchen wäre bei dem Vergleich der Salzstock, das Gestein außen herum drückt darauf - und die «Zutrittslauge» wäre die Mayonnaise.

Doch das allein hätte der Asse nicht diese große Aufmerksamkeit beschert. Die eigentliche Ursache findet sich in 750 Metern Tiefe. Zimmermann steht in Achselshirt und Stoffhose nur ein paar Dutzend Meter davon entfernt. Hier, kurz vor der Einlagerungskammer 12, in der ein Teil der mehr als 124 000 Fässer mit schwachradioaktivem Material unter Salz begraben liegt, endet der Weg für den Jeep vor einer kniehoch baumelnden Kette. Einen Meter dahinter hängt eine zweite Kette, daran ein Hinweisschild «Vorsicht Kontamination». Auf dem abgesperrten Areal stehen große Plastikkanister, darin mit Cäsium und anderen Substanzen verseuchte Zutrittslauge.

Bislang habe man die strahlende Lauge per Sondergenehmigung in 950 Meter Tiefe gepumpt, erklärt Zimmermann und deutet auf einen der 1000-Liter-Kanister mit den gelben Radioaktiv-Banderolen. «Aber das ist ja jetzt untersagt worden», sagt er. Die Kontamination der Lauge hatte die Grenzwerte zum Teil um das Achtfache überschritten - und das schon seit Jahren. Trotzdem bewegen sich die Besucher der Asse unter Tage nur in weißen Stoffkitteln, wie man sie aus Chemielabors kennt; Bergleute tragen im Salzstollen gewöhnliche Hosen und Hemden.

Wer in der Asse in kontaminierten Bereichen arbeitet, muss sich anschließend zwar in einem provisorisch aufgestellten Messcontainer überprüfen lassen. Doch im Gegensatz zum zweiten deutschen Endlager Morsleben könnte man die Kontrolle hier problemlos übergehen. In der Asse gibt es keine Schleuse, die den Weg nach draußen erst freigibt, wenn die Messwerte in Ordnung sind - all den Problemen zum Trotz.