Weltrat für Erneuerbare Energien wirft im domradio Stromkonzernen Panikmache vor

"Diese Klagen sind peinlich"

Der Strom aus der Steckdose gilt in Deutschland als so sicher wie das Amen in der Kirche. Doch diese Zeiten könnten schon bald der Vergangenheit angehören. Davor zumindest warnt Jürgen Großmann. Der Chef des zweitgrößten deutschen Energiekonzerns RWE befürchtet in diesem Sommer sogar mehrtägige Unterbrechungen. Kritiker wie Hermann Scheer werfen ihm überzogene Panikmache vor. Im domradio-Interview nennt der Vorsitzende des Weltrats für Erneuerbare Energien die Klagen "peinlich" und kritisiert Versäumnisse der Stromkonzerne.

 (DR)

"Wenn die Gefahr wirklich so wäre, hätten es ja die Stromkonzerne relativ leicht und auch leicht gehabt in den letzten Jahren, dieses Problem zu überwinden durch Investitionen in erneuerbare Energien, statt immer länger an herkömmlichen Kraftwerksplänen festzuhalten."

Seit dem Beginn der Liberalisierung des Strommarktes hätten die vier großen Energieunternehmen in Deutschland kaum noch in neue Netze investiert, so der SPD-Bundestagsabgeordnete Scheer. "Und das obwohl sie mehr Netzbenutzungserträge bekommen haben als vorher. Teilweise überdimensional hoch." Außerdem hätten die Konzerne auch kaum in neue Kraftwerke investiert. "Mit abgeschriebenen Anlagen verdient man eben mehr Geld. Sich jetzt öffentlich zu beklagen, ist ein bisschen peinlich."

"Angst schüren"
Das Szenario einer "Stromlücke" im Sommer sei Teil einer öffentlichen Kampagne zur "Verlängerung der Laufzeiten der vorhandenen Atomkraftwerke". Deshalb würde Angst in der Bevölkerung geschürt.

Scheer verweist im Interview auf die Erfolge im Ausbau Erneuerbarer Energien in Deutschland und fordert, diesen Weg zu gehen.

"Panikmache in eigener Sache"
Um Stromengpässe künftig zu verhindern, hatte RWE-Chef Großmann am Mittwoch mehr Genehmigungen zum Bau neuer Kraftwerke. "Dazu müssen Politik und auch die Bürger ihren Widerstand gegen den Neubau von Kraftwerken aufgeben - sonst drohen Engpässe und Blackouts", sagte Großmann. Außerdem müsse die Politik auch künftig auf Braunkohle und Kernkraft zur Energiegewinnung setzen. Dadurch würden einseitige Abhängigkeiten vermieden. Auch neue Stromleitungen seien nötig.

Zwar hält der Bund der Energieverbraucher das Szenario von mehrtägigen Stromausfällen für "überzogen", räumt aber ein, dass die Versorgungssicherheit gefährdet ist. Hintergrund seien allerdings weniger die schleppenden Genehmigungsverfahren für neue Kraftwerksbauten. Die Konzerne investierten trotz Milliardengewinnen nicht genug in ihre Übertragungsnetze, erläuterte der Vorsitzende Aribert Peters den ddp/Dow Jones Wirtschaftsnachrichten.

Peters warf dem RWE-Chef vor, politischen Druck auszuüben, um mehr Genehmigungen zum Bau neuer Kohlekraftwerke zu erhalten und den Ausstieg aus der Kernenergie rückgängig zu machen. Eigene Versäumnisse bei der Instandhaltung der Energienetze würden dadurch verschleiert. Das deutsche Übertragungsnetz sei im Durchschnitt 50 Jahre alt, bemängelte der Energieexperte. Auch Grünen-Fraktionsvize Bärbel Höhn warf Großmann "Panikmache in eigener Sache" vor: "Wenn es zu Black-Outs kommen sollte, dann aufgrund fehlender Investitionen in den Netzausbau."

Bundesumweltminister sieht Bedarf neuer Kraftwerke
Bereits der im Januar veröffentlichte Netzzustandsbericht der Bundesnetzagentur machte für das deutsche Übertragungsnetz "Investitionsbedarf in ganz erheblichem Umfang" aus, weil das Netz veraltet ist und die Grenzen seiner Belastbarkeit erreicht hat. Damals warnte die Behörde, dass "in einigen Regionen Deutschlands mittelfristig Engpässe im Stromnetz nicht auszuschließen" sind.

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) sieht daneben den Bedarf neuer Kraftwerke. Angesichts des Atomausstiegs wies er aber zuletzt Anfang Februar darauf hin, dass man sich nicht gleichzeitig von Kohle und Uran verabschieden könne. Neun Kohlekraftwerke seien in Deutschland bis 2010 geplant. "Aber die brauchen wir auch, damit alte Dreckschleudern vom Netz gehen und die Versorgungssicherheit erhalten bleibt", hatte Gabriel deutlich gemacht.

Die Bevölkerung sieht das offenbar anders: Erst jüngst zog RWE einen Genehmigungsantrag für den Bau eines 1600-Megawatt-Kohlekraftwerks im saarländischen Ensdorf zurück, nachdem die Bürger mehrheitlich dagegen votiert hatten.