Kosovo erklärt Unabhängigkeit - Südosteruropa-Experte erklärt im domradio die Hintergründe

"Die beste aller schlechten Lösungen"

Europa hat seit Sonntag einen neuen Staat. Die Parlamentarische Versammlung des Kosovo erklärte die Unabhängigkeit der bisherigen serbischen Provinz. Außer der Linken nannten alle politischen Parteien in Deutschland die Unabhängigkeit des Kosovo unausweichlich. Russland dagegen fordert eine Annullierung der Unabhängigkeit. Warum? "Das Kosovo könnte zum Präzedenzfall werden", erklärt Dr. Hansjörg Brey von der Südosteuropa-Gesellschaft im domradio-Interview.

 (DR)

"Die Gegner des Unabhängigkeitsbeschlusses - Russland, Griechenland und China - fürchten, dass das Beispiel Kosovo Beispiel macht. Sie fürchten, dass die Minderheiten in ihren Ländern ähnliche Forderungen stellen."


Dass Serbien die Entscheidung ablehne, sei. "Serbien fordert den Erhalt seiner territorialen Staatsintegrität. Im Land herrscht ein Konsens darüber, dass das Kosovo die Wiege der eigenen Kultur ist."

Für die die Albaner im Kosovo die Unabhängigkeit seit Jahren die "einzig denkbare Lösungen", so Brey. Alle internationalen Verhandlungsbemühungen der vergangenen Jahre seien ergebnislos geblieben, am Ende habe die UN entschieden: "Die einzige Möglichkeit für den Status ist die konditionierte Unabhängigkeit."

Bedenken in Russland
Im Streit zwischen Russland und anderen Mitgliedern im Uno-Sicherheitsrat über den Umgang mit dem Kosovo gibt es auch nach einer Dringlichkeitssitzung des Gremiums keine Einigung. Russland bekräftigte nach dem Treffen, die gestern vom Kosovo ausgerufene Unabhängigkeit sei rechtswidrig und müsse zurückgewiesen werden.

Gegen den erbitterten Widerstand Russlands und Serbiens hatte das Parlament in Pristina die Geburtsstunde des neuen Staates ausgerufen.

Als "Akt der Gewalt gegen alles Recht und alle Gerechtigkeit" verurteilte die serbisch-orthodoxe Kirche die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo. Sie halte den einseitigen Akt der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo für null und nichtig, heißt es in einer Erklärung der Heiligen Synode, dem obersten Leitungsgremium der Kirche, vom Sonntagabend.

Steinmeier: Serbien schließt Gewalt aus
Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte in Berlin nach Telefonaten mit dem slowenischen Außenminister Dimitrij Rupel und seinem serbischen Amtskollegen Vuk Jeremic, die Lage erfordere "von allen Beteiligten in den nächsten Tagen Ruhe und Augenmaß". Ausdrücklich habe auch Jeremic "jede Form von Gewalt" abgelehnt.

Regierungssprecher Ulrich Wilhelm betonte: "Diese letzte offene Frage des Zerfallsprozesses von Jugoslawien muss jetzt gelöst werden, da diese die Sicherheit, Stabilität und wirtschaftliche Entwicklung der gesamten Region hemmt." Alle Seiten blieben aufgerufen, besonnen mit der Entwicklung umzugehen. Die Bundesregierung begrüße, dass Serbien die Anwendung von Gewalt ausgeschlossen habe.

Treffen der EU-Außenminister
Am Montag wollen die Außenminister der Europäischen Union darüber beraten, wie mit der neuen Lage umzugehen ist. Steinmeier betonte, es komme darauf an, die europäische Geschlossenheit zu wahren. Wilhelm sagte, die Bundesregierung werde auf Basis dieser Beratung über weitere Schritte entscheiden.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Ruprecht Polenz (CDU), erwartet von dem Treffen der EU-Außenminister in Brüssel eine Weichenstellung für eine rasche Anerkennung des Kosovo durch eine Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten. "Ich denke, dass sich die EU-Außenminister zu einem raschen Vorgehen entscheiden werden, damit kein neuer Schwebezustand entsteht", sagte Polenz dem "Tagesspiegel". Er gehe davon aus, dass sich mindestens 20 EU-Staaten, darunter Deutschland, für die Anerkennung des Kosovo entscheiden werden.

CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer sagte, "Bei alleiniger Betrachtung der politischen und wirtschaftlichen Reife ist der Kosovo noch meilenweit von einem lebensfähigen unabhängigen Staat entfernt." Der politische Prozess der Ablösung sei jedoch nicht mehr aufzuhalten und die Anerkennung eines unabhängigen Kosovo durch die EU und Deutschland deshalb ein unausweichlicher Schritt.

Linken-Kritik
Linke-Fraktionschef Gregor Gysi forderte dagegen, die Bundesregierung müsse "aus gravierenden politischen und völkerrechtlichen Gründen" die Anerkennung des Kosovo verweigern. FDP-Fraktionsvize Werner Hoyer gab zu bedenken, die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo sei "kein Grund zum Jubeln", unter allen unbefriedigenden Lösungen "vermutlich aber die am wenigsten schlechte". Die Grünen-Außenexperten Jürgen Trittin und Marieluise Beck forderten Besonnenheit von Belgrad und Pristina, um eine Eskalation zu vermeiden. Ebenso notwendig sei ein geschlossenes Auftreten der EU.

Steinmeier betonte, bereits in den vergangenen Monaten habe die EU deutlich gemacht, "dass sie bereit ist, für die Stabilisierung des westlichen Balkan Verantwortung zu übernehmen". Dazu gehörten die Heranführung der Länder an die EU und auch die gestartete Rechtsstaatsmission EULEX im Kosovo. Zuvor waren Verhandlungsrunden unter Leitung des UN-Sondervermittlers Martti Ahtisaari und später der Kosovo-Troika bei ihrer Suche nach einer einvernehmlichen Lösung zwischen Kosovo-Albanern und Serben erfolglos geblieben.