Wolfgang F. Rothe (59) war früher Priester des Bistums St. Pölten in Österreich. Später wechselte der Kirchenrechtler nach München. Der offen schwul lebende Priester kritisiert regelmäßig Sexualmoral, Vertuschung und Machtmechanismen in der katholischen Kirche.
Seine eigenen Erfahrungen von Missbrauch und Moralismus im traditionalistischen Milieu haben dazu beigetragen, dass er vom konservativen Kleriker zum Kirchenrebellen wurde. Missbrauch sei dort, "wo der lehramtlichen Sexualmoral eine zentrale Rolle zugesprochen wird, vorprogrammiert", sagt Rothe. "Ich habe am eigenen Leib erfahren, dass die rechtgläubige und heiligmäßige Aura, mit der sich manche kirchlichen Amtsträger umgeben, manchmal nur ein Deckmantel und mitunter auch eine Tarnung ist", erzählt er weiter. Vielen Missbrauchsbetroffenen wurde und werde nicht geglaubt. Einfach, weil man dem mutmaßlichen Täter nicht zutraue, dass er Missbrauch begeht. "Nach dem Motto: Das kann nicht sein. Das würde der doch niemals tun, weil er so rechtgläubig, so fromm ist. Und das wissen natürlich auch mögliche Täter und nutzen das unter Umständen aus."
Missbrauch sei dabei keine Milieu-Frage. Missbrauch gebe es in allen kirchlichen Milieus – so wie es Missbrauch ja auch keineswegs nur in der Kirche gebe. "Ein Missbrauchstäter kann genauso in Soutane wie in Jeans und Rollkragenpullover daherkommen. Meiner Erfahrung nach spielen im traditionalistisch-moralistischen Milieu aber einige Risikofaktoren eine deutlich größere Rolle als in anderen kirchlichen Milieus. Einfach weil priesterliche Autorität, Homophobie und Sexualmoral dort einen viel größeren Stellenwert haben als anderswo."
Rothes Wunsch? "Macht braucht Kontrolle – gerade auch in der Kirche." (kath.ch)