Wie ein Arzt seinen Glauben und die Sorge um andere vereint

Therapiesessel hinter Klostermauern

Frank-Gerald Pajonk wollte Mönch werden und gleichzeitig Psychiater bleiben. Heute lebt er im oberbayerischen Kloster Schäftlarn und führt dort eine Praxis. Er ist ein Mann, der die Balance zwischen Spiritualität und Therapie hält.

Autor/in:
Jutta Simone Thiel
Benediktinerabtei Kloster Schäftlarn am 9. März 2023 in Schäftlarn. / © Barbara Just (KNA)
Benediktinerabtei Kloster Schäftlarn am 9. März 2023 in Schäftlarn. / © Barbara Just ( KNA )

Die Sehnsucht nach einem Leben im Kloster war mächtig; die Liebe zur Medizin ebenfalls. Als Student, spezialisiert auf Psychiatrie und Psychotherapie, wollte Frank-Gerald Pajonk vor etwa 40 Jahren in die Benediktinerabtei Maria Laach eintreten. Doch der damalige Abt stellte eine Bedingung: Nur wenn Pajonk seine medizinische Laufbahn aufgebe, könne er in den Orden aufgenommen werden.

Frank-Gerald Pajonk / © Jutta Simone Thiel (KNA)
Frank-Gerald Pajonk / © Jutta Simone Thiel ( KNA )

Eine Wahl zwischen zwei Welten - zwischen Stille und Sprechzimmer, zwischen Mönchsgesang und Therapiegespräch. Pajonk jedoch wollte und konnte sich nicht mit einem Entweder-oder abfinden: "Ohne Kloster fehlt mir die Kraft für meine Arbeit. Und wenn ich die Kraft, die ich im Orden schöpfe, nicht in die Medizin einbringen darf, bin ich unglücklich."

Inzwischen lebt der 60-jährige als geweihter Diakon im Kloster Schäftlarn - ohne Gelübde, aber in Gemeinschaft mit den Ordensbrüdern. Zugleich führt er eine eigene Praxis für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. So verbindet er geistliche Orientierung mit medizinischer Expertise und geht den Weg, der ihm einst verwehrt wurde.

Kein Widerspruch

"Das alte Vorurteil, nur Priester seien für das Seelenheil zuständig, hält sich in Kirchenkreisen hartnäckig", sagt der Facharzt, der wegen seiner Berufswahl auch in der deutschsprachigen Benediktinerabtei Dormitio in Jerusalem abgelehnt wurde: "Als Psychiater konnte man dort nichts mit mir anfangen." Dabei, davon ist er überzeugt, könnten sich Spiritualität und Therapie wunderbar ergänzen: Liturgie am Sonntag und therapeutische Gespräche unter der Woche seien kein Widerspruch.

Hätte er seine Ausbildung damals nicht im Studienhaus der Benediktiner in München beendet - und hätte er nicht jenen Kommilitonen als Zimmernachbarn gehabt, der heute Abt von Schäftlarn ist -, sein Weg wäre womöglich anders verlaufen. Abt Petrus jedoch wollte neue Akzente setzen und unterstützte sowohl die Idee einer privaten Praxis am Kloster als auch Pajonks Wunsch, dort zu wohnen.

Weniger Verwaltung, mehr Seelsorge

Aus der Praxis wurde 2012 das Zentrum Isartal mit angeschlossener Tagesklinik, das rasch wuchs: Rund 700 Patientinnen und Patienten kamen schon bald pro Monat in die Einrichtung - "ökonomisch eine Riesennummer", sagt der Mediziner. Der Verwaltungsaufwand habe jene Zeit und Energie in Anspruch genommen, die er lieber seinen Patientinnen und Patienten gewidmet hätte. Unter anderem deshalb habe er die Leitung an eine Klinikgruppe übergeben und sich schließlich ganz zurückgezogen.

Eine Frau sitzt mit beiden Händen vor dem Mund vor einer in der Unschärfe sitzenden zweiten Frau, die sich auf einem Stück Papier mittels Klemmbrett und Stift Notizen macht. (Symbolbild: Psychotherapie) / © Andrii Spy_k (shutterstock)
Eine Frau sitzt mit beiden Händen vor dem Mund vor einer in der Unschärfe sitzenden zweiten Frau, die sich auf einem Stück Papier mittels Klemmbrett und Stift Notizen macht. (Symbolbild: Psychotherapie) / © Andrii Spy_k ( shutterstock )

Vom Chorgestühl des Klosters zum Therapiesessel in der eigenen, kleineren Praxis ist es nur etwa ein Kilometer Luftlinie. Eine christliche Ikone im Regal und Kreuzwegstationen an den Wänden zeugen von seiner spirituellen Verankerung - "behutsam genug", hofft er, um auch jene nicht zu irritieren, die sich der Kirche fern fühlen. Ein spirituelles Bedürfnis, so seine Erfahrung, hätten letztlich alle: Gläubige, Suchende, aber auch erklärte Atheisten.

Macht Glaube gesünder?

Kann der Glaube einen medizinischen Heilungsprozess unterstützen? Beeinflussen eigenes oder stellvertretendes Gebet den Verlauf schwerer Erkrankungen? Diese Fragen lassen den gläubigen Arzt seit Jahren nicht los. Er verfolgt dazu zahlreiche wissenschaftliche Studien.

Besonders beeindruckt ihn eine oft zitierte Untersuchung aus den 1980er Jahren: Auf einer Intensivstation wurde für einen Teil der Herzinfarktpatienten gebetet - für den anderen nicht. Die im Gebet bedachte Gruppe hatte eine geringere Sterberate und erholte sich schneller. "Da die Patienten nichts von der Studie wussten, ist das Ergebnis aber wissenschaftlich nicht belastbar", betont Pajonk. Andere Untersuchungen - etwa zu regelmäßigen Fürbitten für Bischöfe - hätten ebenfalls keinerlei messbare Effekte gezeigt.

Auch wenn ein wissenschaftlicher Beweis fehlt: Pajonk ist von der Kraft des Glaubens überzeugt. Das Gespräch mit Gott und eine liebevolle Beziehung zu den Mitmenschen könnten den Menschen in unsicheren Zeiten jedenfalls Halt geben und die Widerstandsfähigkeit stärken.

Gebete in dieser Zeit besonders wichtig

Er selbst nimmt - so oft es sein Terminkalender erlaubt - an den Gebetsstunden der Mönche teil. In der jetzigen Weihnachtszeit gibt er Gebet und Meditation bewusst zusätzlichen Raum. Und täglich spannt er den Bogen zwischen kontemplativer Stille und therapeutischem Alltag. Denn für Frank-Gerald Pajonk bleibt beides Berufung: das stille Gebet hinter Klostermauern und das offene Gespräch im Therapiesessel.

Quelle:
KNA