Jesiden feiern auf der ganzen Welt das Fest Îda-Ezî

Wenn das Licht zurückgekehrt, wächst auch die Zuversicht

Jesidinnen und Jesiden feiern Îda-Ezî weltweit, die Rückkehr der Sonne. Zwischen heiligem Ort und Alltag nach der Flucht wird deutlich, welche Bedeutung der Glaube für eine verfolgte Religionsgemeinschaft hat.

Lalish / © Carolina Graef Alarcón (DR)
Lalish / © Carolina Graef Alarcón ( DR )

In der kurdischen Stadt Erbil, sitzt Enas bei dampfender Schokolade im warmen Café im christlichen Viertel Ankawa. Enas studiert Internationale Beziehungen an der Katholischen Universität Erbil. 

Katholische Universität Erbil / © Carolina Graef Alarcón (DR)
Katholische Universität Erbil / © Carolina Graef Alarcón ( DR )

Das ist Enas Traum, der 2014 fast ausgeträumt war: Im August 2014 überfiel der sogenannte Islamische Staat ihr Dorf. Damals war sie gerade elf Jahre alt. Der Angriff durch den IS verändert ihr Leben über Nacht, wie das Tausender Jesidinnen und Jesiden. Schüsse und Granateneinschläge lassen keine Zeit, Hab und Gut mitzunehmen.

Die Familie harrt in der Nacht des Überfalls in der Dunkelheit aus, bevor sie am nächsten Morgen fliehen kann. "Meine Mutter hat mir die Haare abgeschnitten und mich Elias genannt”, erzählt Enas ruhig. Es sollte vor Vergewaltigungen schützen. Auf dem Weg ins Shingal-Gebirge wird die Familie entdeckt und gewaltsam getrennt. Der IS nimmt Enas, ihren kleinen Bruder und ihre Mutter fest. In den folgenden Wochen leben sie unter ständiger Bedrohung, müssen strenge Regeln befolgen und den Befehlen der IS-Kämpfer gehorchen. Sie haben kaum etwas zu essen, sind Schlafentzug ausgesetzt und müssen weiter die Identität von Enas als Mädchen geheim halten, um nicht entdeckt zu werden.

Die besten Freundinnen Seham und Enas / © Carolina Graef Alarcón (DR)
Die besten Freundinnen Seham und Enas / © Carolina Graef Alarcón ( DR )

Erst nach langer Zeit kann Enas’ Vater die Familie wiederfinden, doch auch er wird gefangen genommen. Wochen später nutzten sie die Gelegenheit, heimlich über ein Handy Kontakt zu einem Onkel aufzunehmen. Dank seiner Hilfe gelang es ihnen, zusammen mit 33 weiteren jesidischen Gefangenen Mitten in der Nacht zu fliehen. Sie durchquerten das Gebirge. Es ist eisig kalt, Pausen machen sie kaum. Ihre Mutter muss den kleinen Bruder mit Schlafmitteln beruhigen.

"Als wir Kurdistan erreichten, war ich müde, aber überglücklich. Der Tag ist für mich seitdem, wie eine Wiedergeburt", erzählt sie. Ihr Blick geht ins Leere, wenn sie davon spricht. 

Jesiden

Die jesidische Religion zählt zu den ältesten monotheistischen Glaubensrichtungen und hat ihre Wurzeln in der Antike. Weltweit leben schätzungsweise mehr als eine Million Jesidinnen und Jesiden, vor allem im Irak, in Syrien, der Türkei und in Deutschland. Das Jesidentum ist nicht missionarisch. Das bedeutet jesidisch kann man nur werden, wenn man in die Gemeinschaft hineingeboren wird. Zugleich ist die Religion von Toleranz gegenüber anderen Glaubensrichtungen geprägt, lehnt Gewalt ab und stellt die Nächstenliebe in den Mittelpunkt.

Lalish / © Carolina Graef Alarcón (DR)
Lalish / © Carolina Graef Alarcón ( DR )

Trotz ihres jungen Alters sieht man ihr die Strapazen der vergangenen Jahre im Gesicht an. Enas sagt: "Seitdem ist mir meine Religion noch wichtiger.” Sie sei Teil ihrer Identität, besonders jetzt. "Das Fest Îda-Ezî erinnert uns daran, dass wir trotz allem Hoffnung haben und, dass unsere Gemeinschaft weiterbesteht." 

Lalish als Ort des Friedens

120 Kilometer nördlich von Erbil liegt Lalish. Der Ort ist für Jesiden heilig. Er liegt verborgen in den Bergen des Nordiraks, umgeben von weiten Landschaften und unberührter Natur.  Ein beigefarbener Bogen mit einer Sonne in der Mitte markiert den Eingang zum Ort. Schon die Straße dorthin wirkt wie eine Schwelle. Zwischen Mossul und Dohuk, im kurdischen Gebiet, zieht Lalish Besucherinnen und Besucher in seinen Bann.

Lalish / © Carolina Graef Alarcón (DR)
Lalish / © Carolina Graef Alarcón ( DR )

Über die Pira Silava, die Brücke der Begrüßung, betreten die Pilger den heiligen Ort. Barfuß. Zuvor waschen sie Hände und Gesicht, ein Zeichen der Reinigung und des Respekts. In Lalish herrscht eine ruhige, aber heitere Atmosphäre. Menschen sitzen zusammen, sprechen leise, teilen Essen und ihre Zeit. Die Anlage wirkt wie eine kleine Stadt, offen und zugänglich, ohne verschlossene Türen. Viele tragen helle, lilafarbene Tuniken. Die Frauen legen ein Tuch locker über den Kopf. 

Lalish ist spirituelles Zentrum und Ort der Erinnerung der Jesiden. Und er zeugt von Widerstandsfähigkeit: Trotz mehrfacher Zerstörung wurde er immer wieder aufgebaut. Für Jesiden ist Lalish ein Ort des Friedens, der Verbindung zu Gott, zur eigenen Geschichte und zur Gemeinschaft. Ein Wächter des Heiligtums, in weiß gekleidet, geht durch die Anlage und begrüßt die Menschen. Schmetterlinge setzen sich auf seine Kleidung.

Lalish

Lalish ist das spirituelle Zentrum der jesidischen Religion und liegt im kurdischen Gebiet des Nordirak, zwischen Mossul und Dohuk. Für die Gläubigen ist Lalish ein heiliger Ort, den man mindestens einmal im Leben besuchen sollte. 

Lalish / © Carolina Graef Alarcón (DR)
Lalish / © Carolina Graef Alarcón ( DR )

Im Haupttempel versammeln sich die Gläubigen zu Gebeten. Sie binden kleine Knoten in Stoffe, als Zeichen der Bitte und des Dankes an Gott. Andere gehen im Uhrzeigersinn um die heiligen Säulen, berühren die Steine oder verweilen in Stille. Viele besuchen die Gräber religiöser Anführer, zünden Lichter an und sprechen persönliche Gebete. Das Wasser aus der heiligen Quelle wird getrunken oder über die Hände gegossen, Brot geteilt. Es ist ein Ort des Friedens, in dem Glauben gelebt, Erinnerung bewahrt und Hoffnung weiter gegeben wird.

Glaube in der Diaspora

5000 Kilometer entfernt von Lalish sitzt Xheri in einem türkischen Restaurant in Köln. An einem kleinen Tisch nahe einem Fenster. Gedankenverloren dreht er an seinem Glas heißen Cay, der vor ihm steht. Auch er hat damals den Überfall auf Shingal miterlebt.

Tempel in Lalish / © Carolina Graef Alarcón (DR)
Tempel in Lalish / © Carolina Graef Alarcón ( DR )

Xheri stammt aus einem Dorf im Shingal-Gebirge, unweit von Lalish. "Shingal ist alles für mich", sagt er. 2015 traf seine Familie eine folgenschwere Entscheidung: Xheri sollte gemeinsam mit seinem Bruder und dessen neuer Familie nach Deutschland fliehen. "Wir haben keinen anderen Ausweg mehr gesehen", erzählt er. Flucht sei die einzige Möglichkeit gewesen, Sicherheit zu finden und den Glauben zu bewahren. Aber der Weg nach Europa war gefährlich. 

"In der Türkei stiegen wir mit 180 Menschen in ein kleines Boot, das Richtung Griechenland fuhr", erzählt er und hält kurz Inne. Kurz vor der Ankunft blieb das Boot für zwei Stunden auf offener See stehen. "In diesem Moment dachte ich, wir überleben das nicht", sagt Xheri. Er hat glasige Augen, wenn er heute davon spricht. Die Angst sei im ganzen Boot spürbar gewesen. Eine Angst, die ihn bis heute einholt, wenn er daran zurückdenkt. Erst nach zwei Stunden wurden sie von der griechischen Polizei gerettet. Aber die Angst blieb, jemanden aus der Familie zu verlieren.

Xheri / © Carolina Graef Alarcón (DR)
Xheri / © Carolina Graef Alarcón ( DR )

Anfang 2016 kamen sie in Deutschland an. Hier begann ein neuer, nicht leichter Abschnitt. Xheri war ohne seine Eltern, sprach kein Deutsch und kannte die Kultur nicht. "Es war, als wäre ich auf einem anderen Planeten", erinnert er sich. Halt gab ihm der Gedanke, nun in Sicherheit zu sein und seinen Glauben leben zu dürfen. 

Sein Alltag in Deutschland wirkt auf den ersten Blick gewöhnlich: Er geht arbeiten, treibt Sport, trifft Freunde. Doch seine Gedanken kreisen oft um seine Heimat und um die Unsicherheit seiner Zukunft. "Ich habe Angst vor Abschiebung", erzählt er. Dabei hat sich Xheri hier ein Leben aufgebaut und für Jesiden gebe es im Irak keine Sicherheit. "Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wieder ein Völkermord passiert", sagt er. Noch immer lebten Tausende Jesiden in Flüchtlingslagern, weil Shingal nicht sicher sei. Eine Rückkehr für ihn bedeute, erneut alles zu verlieren: Sicherheit, Freiheit und die Möglichkeit, seinen Glauben offen auszuleben.

Camp Mam Rasham / © Carolina Graef Alarcón (DR)
Camp Mam Rasham / © Carolina Graef Alarcón ( DR )

Gerade heute erinnert er sich an die Feste mit seiner Familie. "Der Ort, aus dem ich komme, ist besonders, weil er das Zuhause meines Glaubens ist." Er wird unterbrochen, weil Kellner an ihm vorbeieilen, Bestellungen durch den Raum rufen. 

In Deutschland kann Xheri ohne Angst sagen, dass er Jeside sei, erzählt er weiter. Er kann beten, fasten, Feste feiern. Doch NRW ist nicht Shingal. Ihm fehlt Lalish, der Tempel in seiner Heimat, den er früher oft besucht hat. "Dort habe ich Frieden gespürt", sagt er. Besonders das Fest Îda-Ezî verbindet ihn mit seiner Gemeinschaft. Es ist eine Zeit des Fastens und der Hoffnung. Mit dem Licht, das nach den Fasttagen zurückkehre, wachse die Zuversicht, auf das Erwachen der Natur und auf eine bessere Zukunft. Auch hier, fern von Lalish, bereitet Xheri kleine Rituale vor. Er spricht Gebete, teilt Wasser und Brot zum Fastenbrechen. Für ihn ist Îda-Ezî eine Brücke: zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Erinnerung und Hoffnung.

Îda-Êzî

Îda-Êzî, das Fest zu Ehren Gottes und die damit verbundene dreiwöchige Fastenzeit der Jesiden findet einmal jährlich im Dezember statt. 

Die Fastenwochen

Die Fastenzeit beginnt in der ersten Woche mit den Fastentagen zu Ehren der Sonne (Rojiyen Şeşims). Die Sonne gilt im Jesidentum als sichtbares Zeichen Gottes auf der Erde.

In der zweiten Woche beginnen die Fastentage zu Ehren der Schutzheiligen der Familie (Rojiyen Xwudan). Nach jesidischem Glauben sind diese Heiligen die personifizierten Vertreter der heiligen Engel auf Erden.

Lalish / © Carolina Graef Alarcón (DR)
Lalish / © Carolina Graef Alarcón ( DR )
Quelle:
DR

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