Studie legt systematisches Vergessen von Frauen in der Theologie dar

In der Geschichte unsichtbar gemacht

Tradwives, frauenfeindliche Bibelzitate und alte Rollenbilder boomen im Netz. Die Grazer Bibelwissenschaftlerin Irmtraud Fischer warnt davor, dass die Bibel gegen Frauen gelesen werde und dieses Vorgehen System habe.

Symbolbild Ordensfrauen unterwegs / © KrzysiuKadruje (shutterstock)
Symbolbild Ordensfrauen unterwegs / © KrzysiuKadruje ( shutterstock )

Frauen sind in der Bibelauslegung über Jahrhunderte systematisch vergessen worden. Darauf verweist das internationale Großforschungsprojekt "Die Bibel und die Frauen", das nach 16 Jahren abgeschlossen ist. Die 21-bändige Reihe rekonstruiert erstmals die Auslegung biblischer Texte durch Frauen vom frühen Judentum bis ins 21. Jahrhundert. An dem von Graz aus koordinierten Projekt arbeiteten mehr als 300 Forschende aus 30 Ländern mit.

Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Irmtraud Fischer / © Uni Graz/Schweiger
Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Irmtraud Fischer / © Uni Graz/Schweiger

Das Projekt schließe eine zentrale Leerstelle, sagte die Grazer Bibelwissenschaftlerin Irmtraud Fischer. "Wir hatten jahrhundertelang nur die Hälfte der Geschichte", so die Initiatorin des Projekts. Frauen, die biblische Traditionen eigenständig interpretierten, seien aus dem kulturellen Gedächtnis verdrängt worden. "Dieses Vergessenmachen hatte und hat System." Der Mann sei als Norm gesetzt worden, während die Frau als "zweites Geschlecht" erscheine.

Männer als Norm für Theologie

Die Gesamtdarstellung zeige, dass die christliche Theologie durchgehend von einer männlichen Norm geprägt sei. Frauenstimmen seien abgewertet, in männliche Auslegungen integriert oder als häretisch ausgeschlossen worden. Viele Exegetinnen, Mystikerinnen und Denkerinnen seien dadurch unsichtbar geblieben.

Dazu zählt Fischer etwa Christine de Pizan, deren "Stadt der Frauen" erst spät wiederentdeckt worden sei, sowie die Mystikerinnen Marta Fiascaris und Domenica da Paradiso, deren Auslegungen nie Eingang in den offiziellen Traditionskanon gefunden hätten. Indem das Projekt diese Frauen neu erschließe, werde sichtbar, wie viele von ihnen gegen frauenfeindliche Interpretationen argumentiert hätten und wie konsequent ihre Stimmen marginalisiert worden seien.

Wenig Resonanz in der Kirche

Trotz der umfassenden Dokumentation sieht Fischer bislang nur geringe Wirkung in Kirche und Theologie. Feministische Exegese gelte weiterhin als Randdisziplin. "Ob wir in der Kirche wirklich etwas bewirkt haben? Ich weiß es nicht", sagte sie. Zu Papst Franziskus' Ruf nach einer "neuen Theologie der Frau" meint die Theologin: "Es braucht keine neue Theologie. Die Bibliotheken sind schon voll mit Frauenstimmen und Publikationen von Forscherinnen. Man muss sie nur lesen."

Papst Franziskus nimmt einer Frau die Beichte ab / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus nimmt einer Frau die Beichte ab / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )
Papst Franziskus und eine Gläubige

Besorgt zeigt sich die Theologin über den wachsenden Einfluss konservativer und rechter Milieus auf die Bibelauslegung. Gerade in sozialen Medien würden tradierte Rollenvorstellungen, die Frauen auf eine häusliche oder dienende Rolle festlegten, an Einfluss gewinnen. Influencerinnen - etwa "Tradwives" - würden sich dabei auf Bibelzitate sowie "biblische Frauen" berufen und vereinfachte und selektive Interpretationen verbreiten. "Wir erleben, dass die Bibelauslegung der neuen Rechten wieder stärker wird, wie bereits im 19. Jahrhundert", sagt Fischer.

Häufig stützten sich solche Rollenbilder auf Texte wie Sprichwörter 31, das "Lob der tüchtigen Frau", ignorierten dabei jedoch die Ergebnisse jahrzehntelanger Forschung. "Da wird die Bibel gegen die Freiheit von Frauen verwendet", betont die Theologin.

Quelle:
KNA