Kardinal Woelki betont Bedeutung der Evangelisierung

Mehr Mut zum Zeugnis

Wie kann Evangelisierung in der heutigen Zeit gelebt werden? 50 Jahre nach der Veröffentlichung des Apostolischen Schreibens "Evangelii nuntiandi" spricht Rainer Maria Kardinal Woelki über dessen aktuelle Bedeutung.

Autor/in:
Roland Müller
Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki in der Abschlussmesse des Glaubensfests "kommt und seht" / © Beatrice Tomasetti (DR)
Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki in der Abschlussmesse des Glaubensfests "kommt und seht" / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Das Wort Mission hat für viele Menschen einen schlechten Klang. Finden Sie das gerechtfertigt?

Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki (Erzbischof von Köln): Ich verstehe, warum das so ist. Unter der Überschrift "Mission" ist in der Geschichte großes Leid über Menschen gebracht worden. Gott sei Dank hat sich in den letzten Jahrzehnten in der Kirche das Verständnis von Mission und Evangelisierung ganz grundlegend gewandelt. 

Das Evangelium Jesu ist eine Botschaft der Liebe und Befreiung des Menschen – zu versuchen, diese Botschaft mit Zwang und Gewalt zu verbreiten ist in sich widersinnig. Evangelisierung ist die Einladung, Gott näher kennenzulernen und ihm im eigenen Leben einen Platz zu geben.

Das Wort Mission heißt ja übersetzt zunächst ganz einfach "Sendung". Darin enthalten ist auch eine Entlastung für den, der sich vom Herrn zur Evangelisierung aussenden lässt: Wenn wir hinausgehen und den Menschen von Jesus erzählen, ist es seine Botschaft und nicht unsere. Wir sind von ihm gesendet und wir sind nicht die, die unsere eigene Botschaft anderen aufdrängen.

DOMRADIO.DE: Warum sprechen wir in der Kirche heute meist von Evangelisierung, wenn es um die Glaubensverkündigung geht?

Woelki: Glaubensverkündigung ist ein Teil von Evangelisierung, aber es ist nicht dasselbe. Glaubensverkündigung oder Katechese ist zuerst einmal Vermittlung von Inhalten – also das, was wir glauben. Das kann auch sehr nüchtern als bloße Glaubensinformation geschehen. Evangelisierung geht aber viel weiter. Evangelisierung beinhaltet auch, wie wir glauben. 

Deshalb ist gut gelingende Evangelisierung immer zunächst Zeugnis. Papst Paul VI. hat in seinem Schreiben Evangelii Nuntiandi schon 1975, also vor 50 Jahren, klar erkannt: Der Mensch "hört lieber auf Zeugen als auf Gelehrte, und wenn er auf Gelehrte hört, dann deshalb, weil sie Zeugen sind". 

Die Mitte des Glaubens an Jesus Christus ist die lebendige Beziehung zu ihm. Um Menschen in diese Beziehung hinein einzuladen, müssen wir überzeugend ausstrahlen: Ich bin Jesus begegnet und habe seine Liebe erfahren. Bloße Glaubensverkündigung reicht nicht, um Menschen in den Glauben und in die lebendige Beziehung mit Jesus hineinzuholen. Dafür braucht es das überzeugende Zeugnis des ganzen Lebens.

Rainer Maria Kardinal Woelki

"Nur wenn wir dem Gegenüber wirklich begegnen, ihm zuhören, verstehen, was ihn im Innersten bewegt, dann können wir als Antwort darauf die Botschaft des Evangeliums anbieten."

DOMRADIO.DE: Wie gelingt gute Evangelisierung?

Woelki: Ob es darauf eine einfache Antwort geben kann? Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Ich bin wirklich überzeugt davon, dass es ganz zentrale Punkte gibt, ohne die Evangelisierung nicht gelingen kann: Allem voran das persönliche Zeugnis derer, die anderen den Glauben weitergeben. Der heilige Augustinus sagt "Das Leben lehrt besser als die Zunge" und, um richtig zu evangelisieren, "soll [man] nicht von oben herab belehren, sondern mit ihm gehen, bis er die Freude des Glaubens teilen kann." 

Das zweite ganz zentrale Element einer gelingenden Evangelisierung ist die Begegnung. Die ehrliche und aufrichtige Begegnung miteinander. Nur wenn wir dem Gegenüber wirklich begegnen, ihm zuhören, verstehen, was ihn im Innersten bewegt, dann können wir als Antwort darauf die Botschaft des Evangeliums anbieten. Aber natürlich auch Begegnung mit dem Herrn. 

Nur was ich selbst erfahren durfte, kann ich anderen weitergeben. Meine eigene Beziehung mit Christus ist die unverzichtbare Grundlage dafür, auch andere dazu einzuladen, Jesus und seine Liebe kennenzulernen. 

Als Kirche haben wir einen unglaublichen Schatz anvertraut bekommen, der uns die Erfahrung und die Begegnung mit dem Herrn gewissermaßen ganz leicht macht: die Sakramente. Besonders in der Eucharistie geschieht echte Begegnung. Aus dieser Begegnung dürfen wir leben und die Kraft schöpfen, das Evangelium zu verkünden. 

Viele engagierte Menschen bei uns im Erzbistum Köln und weltweit arbeiten jeden Tag daran, in die heutige Zeit zu übersetzen, was Evangelisierung bedeutet. Das gelingt mal besser, mal weniger gut. Auf jeden Fall gibt es keine fertigen Rezepte. Papst Benedikt XVI. hat das auf die anschauliche Formel gebracht: "Es gibt so viele Wege zu Gott, wie es Menschen gibt". Deshalb muss auch für jeden Menschen der passende, ganz individuelle Zugang aufgeschlossen werden, der sie oder ihn näher zu Gott bringt.

Symbolbild Betende Frau / © d.ee_angelo (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Brauchen wir als Kirche in Deutschland mehr Mut zur Evangelisierung?

Rainer Maria Kardinal Woelki

"Jeder einzelne Christ braucht Mut, im Alltag zu bezeugen: Ich bin dem Herrn begegnet und Er hat mein Leben reicher gemacht."

Woelki: Unbedingt! Der Bischof von Tromsö in Norwegen, Erik Varden, hat kürzlich in einem Interview gesagt, er glaubt, dass die Säkularisierung an ihr Ende komme – ganz einfach, weil es nichts mehr zu säkularisieren gebe. Vielleicht sind wir bei uns noch nicht ganz so weit. Ich denke, es gibt immer noch ein reiches christliches Fundament, auf dem wir in Deutschland stehen. 

Aber - und da hat Bischof Varden völlig recht - auch bei uns ist das Christentum dramatisch auf dem Rückzug. Immer weniger Menschen fühlen sich der Kirche zugehörig und gestalten ihr Leben nach dem Evangelium. Es braucht Mut, um diesem Trend etwas Überzeugendes und Gewinnendes entgegenzusetzen. 

Die Kirche braucht in ihrer Verkündigung mehr Mut zur Evangelisierung und jede einzelne Christin und jeder einzelne Christ braucht Mut, im Alltag zu bezeugen: Ich bin dem Herrn begegnet und Er hat mein Leben reicher gemacht.

DOMRADIO.DE: Das Apostolische Schreiben "Evangelii nuntiandi" wurde vor 50 Jahren veröffentlicht. Warum ist es auch heute noch wichtig?

Woelki: "Die Evangelisierung ist […] die Gnade und ureigene Berufung der Kirche, ihre tiefste Identität. Sie existiert, um zu evangelisieren." (EN 14) Die Kirche existiert um zu evangelisieren! – Was für ein programmatischer Satz! Jesus sendet seine Jünger mit dem ganz eindeutigen Auftrag aus: "Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium der ganzen Schöpfung!" (Mk 16,15) 

Papst Paul VI. am 29. Juni 1968 / © CNS photo (KNA)
Papst Paul VI. am 29. Juni 1968 / © CNS photo ( KNA )

Dieser Auftrag des Herrn ist heute genauso aktuell, wie er es für die Jüngerinnen und Jünger war, die mit Jesus unterwegs waren. Und er ist heute genauso aktuell, wie er es 1975 war, als Papst Paul VI. sein Schreiben veröffentlicht hat. Für uns heute in Europa und der westlichen Welt ist das Anliegen von Evangelii Nuntiandi sogar noch dringender, als es vor 50 Jahren war. 

Wir haben in den letzten Jahrzehnten eine dramatische Schrumpfung der Kirche erlebt und gleichzeitig gesehen, wie andere Formen des Christentums bei uns und in anderen Teilen der Welt geradezu explodiert sind. Zurückgegangen ist die Bindung an die Kirche. Geblieben ist aber das tiefe Bedürfnis nach Sinn und nach der Begegnung mit Gott. 

Evangelii Nuntiandi unterstreicht so deutlich wie kaum ein anderes kirchliches Dokument die Bedeutung der Evangelisierung für die Kirche. Zu ihr gibt es keine Alternative. "Die Kirche existiert, um zu evangelisieren." (EN 14) Deshalb ist Evangelii Nuntiandi auch und gerade heute so aktuell.

DOMRADIO.DE: Auch das Priesterseminar Redemptoris Mater feiert in diesem Jahr ein Jubiläum: Vor 25 Jahren wurde es ad experimentum eingerichtet. War dieses Experiment erfolgreich?

Woelki: Das Erzbischöfliche missionarische Priesterseminar Redemptoris Mater - so der vollständige Name - ist vor 25 Jahren mit einem deutlichen missionarisch-evangelisierenden Schwerpunkt in Bonn eröffnet worden. Seither werden dort Priester für den Dienst im Erzbistum Köln ausgebildet. Zusammen mit dem Kölner Priesterseminar St. Albert bilden die Seminare den Priesternachwuchs für die kommenden Jahre und Jahrzehnte aus. 

Das Erzbischöfliche Missionarische Priesterseminar Redemptoris Mater in Bonn liegt mitten im Grünen / © Beatrice Tomasetti (DR)
Das Erzbischöfliche Missionarische Priesterseminar Redemptoris Mater in Bonn liegt mitten im Grünen / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Alle Priester - unabhängig in welchem der beiden Seminare sie ihre Ausbildung erhalten - werden in ihrem beruflichen Alltag jeden Tag vor der Aufgabe stehen, Menschen für Christus zu gewinnen. Diese wichtige Aufgabe werden sie in den Pastoralteams und gemeinsam mit vielen ehrenamtlich Engagierten annehmen. 

Eine Herausforderung wird es sein, nicht nur mit insgesamt weniger hauptamtlichen Seelsorgerinnen und Seelsorgern auszukommen, sondern ein Bewusstsein zu schaffen, dass jede und jeder Einzelne in Zukunft mehr als heute gefordert sein wird, das Leben unserer Gemeinden mitzugestalten. Im Englischen gibt es hierfür die griffige Formel: "Don’t go to church: be church! – Geht nicht nur in die Kirche: seid lebendige Kirche!"

Bei dieser Vielfalt von Aufgaben, Herausforderungen und Tätigkeiten, die auf die Seelsorgerinnen und Seelsorger genauso zukommen, wie auf diejenigen, die sich ehrenamtlich in und für ihre Gemeinden einbringen, ist es gut auch in der Ausbildung eine große Weite und Vielfalt zu haben. 

25 Jahre Redemptoris Mater / © Beatrice Tomasetti (DR)
25 Jahre Redemptoris Mater / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Zu dieser Vielfalt tragen unsere beiden Priesterseminare ebenso bei, wie die sich ständig weiterentwickelnde Ausbildung der übrigen Pastoralen Dienste. Dazu gehört auch, dass wir mit der KHKT eine Hochschule im Erzbistum haben, die in ihren Studienangeboten einen Schwerpunkt auf Evangelisierung, Mission und die Vermittlung interkultureller Fähigkeiten legt.

DOMRADIO.DE: Das Erzbistum Köln hat in der pastoralen Schwerpunktsetzung den Fokus auf die Evangelisierung gelegt. Welche Initiativen und Projekte zur Verkündigung der Frohen Botschaft sind Ihnen besonders wichtig?

Woelki: Unter den vielen Initiativen, Projekten und Aufbrüchen einzelne herauszustellen, die mir wichtiger sind als andere, fällt mir schwer. Ich bin froh, dass wir in unserer pastoralen Schwerpunktsetzung dieses zentrale Anliegen Jesu so prominent festgeschrieben haben. Wir alle sind gerufen, "hinauszugehen in die ganze Welt und der ganzen Schöpfung das Evangelium zu verkünden" (Mk 16,15). 

Diese Sendung ist viel umfassender, als dass wir sie mit einzelnen Projekten auch nur ansatzweise ausreichend erfüllen könnten. Deshalb ist viel wichtiger, dass wir insgesamt das Bewusstsein stärken, dass Evangelisierung ganz tief in der DNA der Kirche verankert ist. Das müssen wir ein Stück weit neu lernen. 

Unter den vielen Ansätzen zur Evangelisierung, die jeden Tag bei uns im Erzbistum Köln geschehen, steht die einfache alltägliche Arbeit in den Gemeinden ganz weit vorne. Die täglichen Gottesdienste, Gruppen, und Gesprächskreise, aber auch das tagtägliche persönliche Zeugnis so vieler Engagierter sind alle daraufhin gerichtet, zu evangelisieren und Jesus Christus zu verkündigen. Allen, die das möglich machen, sage ich dafür ein ganz herzliches "Vergelt’s Gott!" 

Kardinal Woelki mit Gläubigen am Rande des Pontifikalamts am zwölften Sonntag im Jahreskreis, zugleich Abschluss des Glaubensfests "kommt und seht" / © Beatrice Tomasetti (DR)
Kardinal Woelki mit Gläubigen am Rande des Pontifikalamts am zwölften Sonntag im Jahreskreis, zugleich Abschluss des Glaubensfests "kommt und seht" / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Eine Initiative, die mir bekanntermaßen ganz besonders am Herzen liegt, ist "kommt & seht", unser Glaubensfest rund um Fronleichnam. Es hat dieses Jahr erstmalig stattgefunden und wir alle waren überrascht und begeistert von der großen Resonanz.

In den kommenden Jahren geht es damit weiter und ich bin sicher, dass von den gemeinsamen Tagen, dem Feiern, Beten, den Begegnungen, Workshops und so weiter viele Impulse ausgehen, die weit über die Tage der Veranstaltung selbst ausstrahlen werden.

Die Fragen stellte Roland Müller.

Quelle:
DR

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