Theologe Tück fordert klare Position gegenüber Piusbrüdern

"Vatikan muss endlich Stellung beziehen"

Solange sich die Piusbruderschaft nicht klar vom Antijudaismus distanziert, kann es keine Versöhnung mit der katholischen Kirche geben. Der Vatikan müsse hier endlich klar Stellung beziehen, fordert der Dogmatiker Jan-Heiner Tück.

Autor/in:
Johannes Schröer
Messe im Priesterseminar der Piusbruderschaft / © Maria Irl (KNA)
Messe im Priesterseminar der Piusbruderschaft / © Maria Irl ( KNA )

DOMRADIO.DE: Es scheint so, dass die Akteure der Piusbruderschaft sich selbst nicht einig sind, was die mögliche Einheit mit dem Vatikan betrifft? 

Prof. Dr. Jan-Heiner Tück (Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien): Die Debatten oder Gespräche laufen ja schon länger. Es geht darum, die traditionalistische Piusbruderschaft in die volle Gemeinschaft mit der katholischen Kirche zurückzuholen, also ein Schisma abzuwenden. Bislang ist es allerdings zu keiner wirklichen Einigung gekommen, weil es immer Stimmen innerhalb der traditionalistischen Piusbruderschaft gab, die die Angebote des Vatikan nicht angenommen und verweigert haben.

Jan-Heiner Tück (privat)
Jan-Heiner Tück / ( privat )

DOMRADIO.DE:  Mit welcher Begründung? 

Tück: Formal war der letzte öffentlich stark beachtete Punkt, dass Papst Benedikt die Exkommunikation von vier traditionalistischen Bischöfen zurückgenommen hat, nachdem diese Gehorsam gegenüber dem Heiligen Vater gelobt hatten. Das Problem damals war, dass einer der vier Bischöfe ein hartnäckiger Leugner des Holocaust war, so dass das ein Super-GAU geworden ist. 

Es gab damals auch nicht öffentliche Gespräche, eine Präambel, die anerkannt werden sollte. Das Problem war, den Pius-Brüdern auch abzuverlangen, dass sie zentrale Weichenstellungen des Konzils, wie die Anerkennung der Religions- und Gewissensfreiheit und die ökumenische und interreligiöse Öffnung, anerkennen sollten und nicht als beliebige Manövriermasse beiseiteschieben. 

Prof. Jan-Heiner Tück

"Der Vatikan muss gegenüber den Piusbrüdern deutlich machen, dass das Zweite Vatikanum nicht zur Disposition gestellt wird."

DOMRADIO.DE:  Nun lässt sich die Diskussion um das Zweite Vatikanische Konzil grob in zwei Positionen zusammenfassen. Einmal die Position der Traditionalisten, die die Dokumente des Konzils als Bruch mit der Lehrtradition der Kirche betrachten. Und die zweite Position, die im Konzil die längstfällige Anpassung der kirchlichen Lehrmeinung an die Entwicklung der modernen Gesellschaft sieht. Das ist die Position des Vatikan. 

Tück: Der Vatikan muss gegenüber den Piusbrüdern deutlich machen, dass das Zweite Vatikanum nicht zur Disposition gestellt wird, dass das Aggiornamento gilt. (Anm. der Redaktion: Aggiornamento steht für "Aktualisierung" und "Anpassung" an die modernen Entwicklungen). Denn das Aggiornamento wurde auf mehreren Ebenen vollzogen und hat den Konsens des Weltepiskopats gefunden und wurde von den Konzilspäpsten Johannes XXIII. und dann Paul VI. affirmiert. 

Und wenn die Piusbrüder beanspruchen, päpstlicher zu sein als die Nachkonzilspäpste, dann begehen sie einen performativen Selbstwiderspruch, aber nicht diejenigen, die das Erbe des Konzils verteidigen. 

DOMRADIO.DE:  Wenn man sich das Zweite Vatikanische Konzil genau anschaut, dann war es doch eigentlich nur ein Pastoralkonzil, das gar keine Dogmen geschaffen hat, sondern nur Erklärungen und Dekrete? 

Tück: Das ist eine verbreitete, völlig unangemessene Sichtweise in gewissen Kreisen. Das Zweite Vatikanische Konzil hat tatsächlich keine Dogmen definiert und auch keine disziplinarischen Maßnahmen ergriffen. Es hat einen Impuls von Johannes XXIII. aufgenommen und die Botschaft des Christentums angesichts der modernen Transformationsprozesse neu beleuchtet und bestimmte Problemstellen bearbeitet. 

Das heißt, es gibt 16 Dokumente, die sind nicht alle von gleichem Gewicht. Vier Konstitutionen, ansonsten Erklärungen und Dekrete. Allerdings darf man jetzt nicht, wie das zuletzt Kardinal Brandmüller getan hat, sagen, die Dekrete und Erklärungen seien unverbindlich oder sogar überholt. 

Warum darf man das nicht? Weil alle Texte des Konzils miteinander zusammenhängen und das, was die Dekrete und Erklärungen ausbuchstabieren, grundgelegt ist in den dogmatischen Konstitutionen. Schon allein das Wort "dogmatisch" zeigt hier an, dass es sich um Dokumente von höchster Verbindlichkeit handelt.

 

DOMRADIO.DE: Wie ist denn das Verhältnis der Piusbruderschaft zum kirchlichen Antijudaismus? Hat die Piusbruderschaft sich da eindeutig vom kirchlichen Antijudaismus abgewandt? 

Tück: An solchen Beispielen wird der Konflikt konkret. "Nostra aetate" ist eben eine Erklärung. (Anm. der Redaktion: Nostra aetate ist die Erklärung über die Haltung der Kirche zu nicht christlichen Religionen). Da sagen die Piusbrüder, das sei unverbindlich. 

In dieser Erklärung wird aber das Verhältnis der katholischen Kirche zum Judentum neu bestimmt. Es wird eine klare Absage an alle Spielarten des Antijudaismus vorgenommen und die wurzelhafte Verbindung zwischen Israel und der Kirche herausgestellt. Das ist eine klare Absage etwa an die Behauptung, dass die Juden Gottesmörder seien, dass die Kirche das neue Israel sei, sodass quasi die Juden eine heilsgeschichtlich obsolete Größe seien. 

Also kurz: Wer "Nostra aetate" infrage stellt, der stellt in gewisser Hinsicht auch das erneuerte Verhältnis der Kirche zum Judentum infrage. Da kann die Kirche den Piusbrüdern nicht entgegenkommen. Da müssen die Piusbrüder die Lehrposition der katholischen Kirche akzeptieren, wenn sie wirklich in die Einheit zurückfinden wollen. 

DOMRADIO.DE: Gibt es in der Einstellung zum Judentum politische Verbindungen der Piusbrüder zu rechtsextremen Parteien? 

Tück: Renommierte Religionssoziologen bestätigen, dass es eine gewisse osmotische Durchlässigkeit gibt zwischen sehr reaktionären kirchlichen Positionen und der politischen Rechten. Das lässt sich schon für die Genese der traditionalistischen Piusbruderschaft sagen, also von der Wurzel vom Gründer Marcel Lefebvre aufweisen. 

DOMRADIO.DE: Die Piusbruderschaft ist sich selbst nicht einig. Es gibt unterschiedliche Akteure und Positionen. Wie ist es denn im Vatikan? Sind sich da alle einig oder gibt es eine Bewegung, die sagt, wir müssen jetzt unbedingt die Einigung forcieren?

Tück: Es gibt zumindest im Vatikan elastischere Akteure und solche, die das Erbe des Konzils klar verteidigen. Man könnte jetzt die kürzliche Einlassung von Kardinal Brandmüller hochstilisieren und einen Streit der Kardinäle daraus machen, weil klar ist, dass Kardinal Koch, Kardinal Kasper und auch andere auf der Basis des Konzils arbeiten. 

Das kann man jetzt nicht als Neoprotestantisierung der katholischen Kirche diffamieren, wie es Teile der Piusbruderschaft tun. Insofern hätte jetzt vor allem Papst Leo XIV. die Aufgabe, die noch offen gebliebenen Agenden seiner Vorgänger einer Lösung zuzuführen. 

Prof. Jan-Heiner Tück

"Wir können es uns nicht leisten, unter einem Dach gegenläufige, ja geradezu widersprüchliche Positionen zu haben."

DOMRADIO.DE:  Sie fordern also, dass es an der Zeit ist, die Verhandlungen des Vatikan mit der Piusbruderschaft endlich zu einem Abschluss zu bringen und Klarheit zu schaffen. Warum ist das so wichtig?

Tück: Die katholische Kirche wird auch an der ökumenischen Öffnung, am Dialog mit dem Judentum und am interreligiösen Gespräch gemessen, vor allem auch an der Anerkennung der Religions- und Gewissensfreiheit von außen, also von der Gesellschaft. 

Wir können es uns nicht leisten, unter einem Dach gegenläufige, ja geradezu widersprüchliche Positionen zu haben. Man kann nicht in der katholischen Kirche Antisemiten haben. Das macht den jüdisch-christlichen Dialog unglaubwürdig. Es kann auch nicht sein, dass manche dem katholischen Staat hinterhertrauern, wo gewissermaßen der Staat der verlängerte Arm der Kirche ist, und gleichzeitig andere, die für ein geordnetes Verhältnis zum demokratischen Rechtsstaat votieren und so weiter. 

In diesen entscheidenden Fragen muss eine Klarheit da sein, bei aller Pluralität der Interpretation, die das Konzil natürlich auch ermöglicht.

Das Interview führte Johannes Schröer.

Erklärung "Nostra aetate"

"Nostra aetate" (In unserer Zeit) ist das erste offizielle Dokument der römisch-katholischen Kirche, in der die anderen Religionen positiv anerkannt werden. Es wurde von den Vätern des Zweiten Vatikanischen Konzils am 28. Oktober 1965 mit 96-prozentiger Zustimmung angenommen und von Papst Paul VI. rechtskräftig verkündet.

Die Erklärung betont das Verbindende mit den anderen Religionen, ohne den eigenen Wahrheitsanspruch zu schmälern. Sie ruft Christen, Juden und Muslime dazu auf, Missverständnisse im Dialog auszuräumen.

Symbolbild Christentum Judentum / © StunningArt (shutterstock)
Symbolbild Christentum Judentum / © StunningArt ( shutterstock )
Quelle:
DR

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