Warum das Nachtsanggeläut in Gütersloh ganz besonders ist

Tradition mit Hand und Fuß

Das Gütersloher Nachtsanggeläut findet man so in Deutschland kein zweites Mal. Im Frühjahr ist es sogar von der UNESCO ausgezeichnet worden. Aber was macht das Geläut an der evangelischen Martin-Luther-Kirche so besonders?

Autor/in:
Dagmar Peters
Eine der drei Glocken des Gütersloher Nachtsang-Geläuts. (privat)
Eine der drei Glocken des Gütersloher Nachtsang-Geläuts. / ( privat )

DOMRADIO.DE: Das Nachtsanggeläut in Gütersloh wird nachweislich seit 1790 gespielt. Diese besondere Form des Glockenmusizierens wurde kürzlich sogar ins Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes der UNESCO aufgenommen - unter der Rubrik "Glockenguss und Glockenmusik". Werden Sie ein bisschen ehrfürchtig, wenn Sie die Glocken läuten und so eine alte Tradition weiterführen dürfen? 

Die Glöckner des Gütersloher Nachtsang-Geläuts: Anke Wiemann, Christoph Muskat, Dr. Barbara Rohden und Claus Wiemann (v.l.n.r.) (privat)
Die Glöckner des Gütersloher Nachtsang-Geläuts: Anke Wiemann, Christoph Muskat, Dr. Barbara Rohden und Claus Wiemann (v.l.n.r.) / ( privat )

Claus Wiemann (ehrenamtlicher Glöckner des Nachtsang-Geläuts an der evangelischen Martin-Luther-Kirche in Gütersloh): Ja, definitiv. Hier in Gütersloh ranken sich viele Geschichten um das Nachtsang-Geläut und viele Bürger kennen es. Wenn man dann selbst da oben im Glockenraum sitzt und die Glocken betätigt, dann ist Ehrfurcht da, ganz bestimmt. 

DOMRADIO.DE: Drei Glocken werden oben im Kirchturm bedient. Wie muss man sich dieses manuelle Spielen vorstellen - mit den Händen und Füßen, noch dazu auf engem Raum? 

Wiemann: Wir hängen die Klöppel der einzelnen Glocken an Seile, an Drähte. Zwei von diesen Drähten verbinden wir mit Fußpedalen. Das dritte Seil nehmen wir in die Hand und können dann mit dem Treten der Fußpedale mit einem Flaschenzugsystem die Klöppel an die Glockenwand schlagen oder eben mit dem Handseil den Klöppel schlagen. Mit dieser Methode können wir die Töne erzeugen und spielen nach den überlieferten Stücken eine Melodie. 

DOMRADIO.DE: Wie lange läuten Sie am Stück? Das ist sicher anstrengend. 

Wiemann: Das ist anstrengend, definitiv. Wir haben es gerne kalt samstagabends, wenn wir spielen, weil wir dabei schon ins Schwitzen kommen. Wir spielen fünf Teile jeden Samstag, in Summe dauern sie 45 Minuten. 

DOMRADIO.DE: Mit wie vielen Menschen läuten Sie da oben? 

Wiemann: Wir sind vier Glöckner, um uns entsprechend abzuwechseln. Jeder spielt den Part, den er spielt, selbst, ohne weiteren Glöckner. Das macht uns allen vieren sehr viel Spaß. 

DOMRADIO.DE: Sie läuten nur im Winter, von Oktober bis Februar. Warum ausgerechnet in dieser Zeit? 

Wiemann: Eine Legende besagt, dass sich vor langer, langer Zeit ein Bischof an einem Wintertag im dunklen Wald verlaufen hat und dann nur durch die Glocken, die er in der Ferne hören konnte, den Weg zurückgefunden hat. Dann hat er der Legende nach veranlasst oder befohlen, dieses Läuten in der dunklen Jahreszeit entsprechend einzusetzen. 

Das ist wohl damals in vielen Orten praktiziert worden, ist aber dann überall wieder entsprechend eingeschlafen. Wir in Gütersloh sind weiterhin dabei.

DOMRADIO.DE: Sie selbst machen das schon seit acht Jahren und Ihre ganze Familie macht mit. Was braucht man denn, um Glöckner zu werden? 

Wiemann: Man muss sicherlich erst einmal viel Durchhaltevermögen haben, weil man sich das Ganze oft anhören muss. Üben kann man ja nicht so gut, weil es dann ganz Gütersloh hören würde. Deswegen muss man viel bei den anderen Glöcknern zuhören, das Ganze verinnerlichen und dann irgendwann sozusagen ins kalte Wasser springen und spielen. Eine gewisse Kondition ist auch nicht schlecht, weil man schon ein bisschen ins Schwitzen kommt. 

Der Glockenturm der Martin-Luther-Kirche in Gütersloh. (privat)
Der Glockenturm der Martin-Luther-Kirche in Gütersloh. / ( privat )

DOMRADIO.DE: Würden Sie sagen, dass das schwierig ist? 

Wiemann: Nein, das nicht. Man muss nur den Durchhaltewillen haben, um das Ganze entsprechend zu erlernen. Wenn man es kann, ist es nicht schwierig. 

DOMRADIO.DE: Suchen Sie denn Nachwuchs? 

Wiemann: Gerne. Wir sind vier Glöckler, wie gesagt, aber jeder kann auch nicht jeden Samstag. Von daher würden wir das gerne auch auf eine breitere Basis stellen. Wenn noch ein oder zwei Gütersloher sich dazu bereit erklären würden oder auch natürlich andere Bürger und Bürgerinnen, können sie sich gerne melden. 

Das Interview führte Dagmar Peters.

Quelle:
DR

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