Abt der Dormitio-Abtei berichtet über Lage im Heiligen Land

Zwischen Sorge und Aufatmen

Vor etwas mehr als einem Monat wurde eine Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas vereinbart. Von echter Ruhe kann aber nicht wirklich die Rede sein. Über die aktuelle Lage berichtet Abt Nikodemus Schnabel von der Dormitio-Abtei.

Autor/in:
Carsten Döpp
Absperrungen und Sicherheitskräfte am Jaffator in Jerusalem / © Andrea Krogmann (KNA)
Absperrungen und Sicherheitskräfte am Jaffator in Jerusalem / © Andrea Krogmann ( KNA )

DOMRADIO.DE: Das Friedensabkommen zwischen Israel und der Hamas schenkt den Menschen zunächst einmal neue Hoffnung. Aber die Lage bleibt wackelig. Was ist Ihr Eindruck über die Lage der Menschen dort? 

Abt Nikodemus Schnabel OSB (Leiter der Benediktinerabtei Dormitio in Jerusalem): Es ist eine sehr fragile Lage. Die Hölle auf Erden hat erst einmal geendet, also diese tägliche Gewalt, das tägliche Zittern ums Leben. Auf israelischer Seite das tägliche Zittern um das Schicksal der Geiseln und auf palästinensischer Seite einfach die pure Angst ums Überleben und das Auf-der-Flucht-sein. 

Abt Nikodemus Schnabel OSB (Dormitio)
Abt Nikodemus Schnabel OSB / ( Dormitio )

Dieser richtige, dieser "heiße Krieg" hat geendet. Aber es wäre zynisch zu sagen, das jetzt Frieden ist. Jetzt haben wir einfach ein Schweigen der Waffen. Das ist erst einmal ein Aufatmen. 

Wir merken das auch bei unseren Festen. Wir hatten das Tabgha-Fest und andere große Feste. Die Leute haben einen Nachholbedarf, was Feiern betrifft. Aber natürlich schaut jeder, mit dem man spricht, mit gemischten Gefühlen in die Zukunft.

DOMRADIO.DE: Im August haben Sie in einem Interview gesagt: "Uns Christen geht es schon ziemlich an den Kragen". So haben Sie die Bedrohungen beschrieben, denen Christen im Heiligen Land ausgesetzt sind. Wie ist das jetzt, drei Monate später? 

Schnabel: Es hat sich zugespitzt, leider. Der Punkt ist die zunehmende Siedlergewalt. So sehr Gaza sich vielleicht in eine friedlichere Richtung entwickelt, umso mehr Sorgen haben wir um die Westbank. Da steht besonders das einzige vollständige christliche palästinensische Dorf Taybeh im Fokus, was früher eigentlich vor allem wegen der ältesten palästinensischen Brauerei bekannt war. 

Kirche in Taybeh / © Jeries Azar (EKD)
Kirche in Taybeh / © Jeries Azar ( EKD )

Mittlerweile ist es bekannt wegen der täglichen gewaltsamen Siedlerattacken auf die Olivenbäume und auf die Häuser. In Israel und Palästina gibt es jeweils etwa nur 1,8 Prozent Christen unter der Gesamtbevölkerung, das muss man noch einmal klarmachen. Anders formuliert, die neuen Bundesländer mit ihren 20 Prozent Christen sind für uns volkskirchliche Phänomene, davon träumen wir. 

Die Christen sind also wirklich eine ganz, ganz kleine Minderheit. Und sie wissen nicht: Wer steht denn für uns auf? Da ist auch noch die Erfahrung dieser Kriegsmonate ganz tief unter die Haut gegangen. 

Es gab so viele Demonstrationen. Wir haben diesen Hashtag "I stand with Israel" mit der Israel-Flagge und den Hashtag "Free Palestine" mit der Palästina-Flagge. Das Ganze war immer sehr mit jüdischen und muslimischen Symbolen verbunden. Da haben die Christen gesagt: Wer steht denn für uns auf, wer interessiert sich eigentlich für unser Schicksal? Da sind auch viele Verwundungen entstanden. 

DOMRADIO.DE: Viele Christen haben die Region verlassen. Sie und Ihre Mitbrüder sind geblieben und haben das auch immer wieder unterstrichen. Das haben viele nicht verstanden. Steckte dahinter der Glaube an eine Lösung des Konflikts, an ein gutes Miteinander? 

Abt Nikodemus Schnabel OSB

"Uns sind Menschen anvertraut. Deswegen bleiben wir."

Schnabel: Es war ein Moment des Bleibens. Es gibt sehr viele Christen, die sich entschieden haben, zu bleiben, und das verbindet uns mit ihnen. Am 7. Oktober hat die Hamas ja auch einige Katholiken ermordet. Das waren Filipinos, Altenpfleger, die sich entschieden haben, bei den alten Menschen zu bleiben, die ihnen anvertraut sind. 

In Gaza haben die Priester und Ordensfrauen gesagt: Wir bleiben mit den Menschen in den Kirchengebäuden, weil viele von ihnen behindert oder bettlägerig sind. Das ist sozusagen der ganz große Kitt, der uns zusammenhält, dass sehr viele aus dem Glauben heraus gesagt haben: Uns sind Menschen anvertraut. Deswegen bleiben wir. 

Brotvermehrungskirche des Benediktinerklosters Tabgha / © Andrea Krogmann (KNA)
Brotvermehrungskirche des Benediktinerklosters Tabgha / © Andrea Krogmann ( KNA )

Und das würde ich genauso sagen. Uns als Dormitio und Tabgha - unseren beiden Klöstern - sind Menschen anvertraut. Ich habe keinen meiner Mitarbeiter entlassen. Meine Mitbrüder haben das mitgetragen. Wir haben 24 lokale Mitarbeiter, die ich nicht brauchte in den letzten Jahren. Wofür brauche ich einen Parkplatzwächter, oder jemanden, der die Pilgertoilette putzt oder jemanden, der die Cafeteria aufhält, wenn ohnehin niemand kommt? 

Aber diese Mitarbeiter haben 29 Kinder im schulpflichtigen Alter. Das heißt, wir sind an unsere Altersvorsorge gegangen und haben gesagt: Gott wird uns irgendwann nicht fragen: Hast du immer an die Altersvorsorge gedacht? Aber er wird fragen: Wie seid ihr mit den Menschen umgegangen, die ich euch anvertraut habe? Das ist ein großes Leitmotiv. Menschen sind uns anvertraut, die wollten wir nicht im Stich lassen. 

DOMRADIO.DE: Am Mittwoch ist Red Wednesday. Als Zeichen für verfolgte Christen weltweit werden viele Kirchen an diesem und den nächsten Tagen rot angestrahlt. Welche Bedeutung hat für Sie diese gesamte Woche? 

Symbolbild Angeleuchtete Kirche zum Red Wednesday / © Simlinger (shutterstock)
Symbolbild Angeleuchtete Kirche zum Red Wednesday / © Simlinger ( shutterstock )

Schnabel: Religionsfreiheit ist oft ein übersehenes Menschenrecht. Religionsfreiheit ist ein Menschenrecht, genauso wie Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit und viele andere international anerkannte Menschenrechte. Ich finde es schade, dass gerade in Deutschland die Religionsfreiheit als eine Art sekundäres Menschenrecht angesehen wird.

Oder sie wird total auf die negative Religionsfreiheit verkürzt, sprich, von Religion in Ruhe gelassen zu werden. Das gehört dazu, Religion soll kein Zwang sein. Aber zur Religionsfreiheit gehört auch die positive Religionsfreiheit, seinen Glauben ausüben zu dürfen. Und zwar öffentlich, nicht nur hinter verschlossener Tür und heimlich. 

Abt Nikodemus Schnabel OSB

"Religionsfreiheit ist ein unglaublich guter Lackmustest für andere Menschenrechte."

Es gibt ein ganz großes mangelndes Verständnis für positive Religionsfreiheit. Ich durfte ja ein Jahr im Auswärtigen Amt arbeiten und dort das Referat 612 "Religion und Außenpolitik" als Berater mit aufbauen. Meine Erfahrung ist: Religionsfreiheit ist ein unglaublich guter Lackmustest für andere Menschenrechte. Ich wage die These: Wo es mit der Religionsfreiheit im Argen liegt, liegt es auch mit vielen anderen Menschenrechten im Argen. 

DOMRADIO.DE: Was genau kommt Ihnen zu kurz bei uns in Deutschland beim Stichwort Religionsfreiheit? 

Schnabel: Wir haben einen großen Mangel an Sensibilität. 84 Prozent der Menschheit definieren sich als religiös. Der Fall, den wir in Deutschland haben, dieses "Ich glaube nichts, mir fehlt nichts", ist eine absolute Ausnahme weltweit. Das findet man vielleicht noch in Tschechien, das findet man noch in einigen skandinavischen Ländern, aber auf der großen weiten Welt gibt es da Kopfschütteln. 

Das heißt, viele Menschen weltweit sagen: Mein Glaube ist mir ganz wichtig und ich möchte ihn ausleben dürfen, ich möchte Liturgie feiern dürfen. Mein Glaube ist einfach zentral für mich, ich möchte das nicht abspalten. 

In Deutschland haben wir eher diese Haltung: "Glaub, was du willst, aber lass mich in Ruhe". Glaube soll nicht in der Öffentlichkeit sein, Glaube soll nicht nerven, Glaube soll nicht sichtbar sein. Viele befürworten ja auch ein Kopftuchverbot, ein Verbot von Kreuzen, ein Verbot von religiösen Symbolen. 

Ein aufgeschlagenes Grundgesetz liegt auf einem Tisch / © Harald Oppitz (KNA)
Ein aufgeschlagenes Grundgesetz liegt auf einem Tisch / © Harald Oppitz ( KNA )

Das finde ich schon heftig, denn vieles andere akzeptieren wir. Wir haben kein Problem, wenn jemand mit einem Fußballtrikot durch die Stadt läuft. Da würde keiner sagen: "Das gehört verboten." Seine Fußballfanclub-Mitgliedschaft kann man offensiv tragen, damit hat keiner ein Problem. Aber bei Glauben werden auf einmal ganz viele getriggert und sagen: Hier geht es aber um Menschenrechte, hier geht es eben nicht nur um Fußball, hier geht es um etwas ganz Zentrales. 

Da muss ich wirklich sagen, da liegt in Deutschland ganz viel im Argen. Es gibt ein Primitivverständnis von Religionsfreiheit. Die negative Religionsfreiheit ist wichtig. Aber es gehört auch die positive Religionsfreiheit dazu. Da habe ich das Gefühl, dass es ganz viele Hausaufgaben zu machen gilt, um dafür zu sensibilisieren. Wir reden eben nicht über etwas, was nice to have ist, wir reden über ein fundamentales Menschenrecht. 

Das Interview führte Carsten Döpp.

Quelle:
DR

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