Studien zur Religiosität junger Menschen lösen Kontroversen aus

Rückkehr des Religiösen?

Immer wieder berichten Studien von neu wachsender Religiosität bei jungen Menschen. Deutet sich hier nach jahrzehntelanger Säkularisierung ein Trendwechsel an? Die Reaktionen sind unterschiedlich, wie auch das Phänomen divers ist.

Autor/in:
Jan Hendrik Stens
Eine junge Frau lässt sich taufen / © Corinne Simon (KNA)
Eine junge Frau lässt sich taufen / © Corinne Simon ( KNA )

"Nun sag', wie hast du's mit der Religion?" – Die berühmte Gretchenfrage aus Goethes Faust scheint aktueller denn je. In der Öffentlichkeit praktizierte Religiosität scheint zumindest in der westlichen Welt seit Jahrzehnten auf dem Rückzug. Betroffen ist davon vor allem die christliche Religion, was hierzulande durch die Verdünnung des Gottesdienstangebots aufgrund von sinkender Nachfrage oder gar durch die Schließung einer Vielzahl von Kirchen deutlich wird. Kirchliche Verbände verzeichnen den Rückgang ihrer Mitgliederzahlen, was nicht nur, aber auch demografische Gründe hat. Christentum und Kirche scheinen in unseren Breiten eine Art Auslaufmodell zu sein.

Doch weisen in mehreren Ländern jüngste Studien darauf hin, dass junge Menschen wieder stärkeres Interesse an Religion und Spiritualität zeigen. Diese Entwicklung wird unterschiedlich interpretiert – als Zeichen einer Sinnsuche in unsicheren Zeiten, als kulturelles Gegenphänomen zur Säkularisierung oder als Ausdruck individueller Spiritualität jenseits kirchlicher Institutionen. Gleichwohl bleiben Fachleute vorsichtig: Von einer eigentlichen "Rückkehr der Religion" könne kaum die Rede sein.

Katholische Gemeinden profitieren

In Großbritannien etwa registrieren Meinungsforscher seit einiger Zeit ein wachsendes religiöses Bewusstsein unter 18- bis 24-Jährigen. Umfragen der "Bible Society" und von "YouGov" zeigen, dass in dieser Altersgruppe der Anteil derjenigen, die an Gott oder eine höhere Macht glauben, in den letzten Jahren deutlich gestiegen sei. Auch der regelmäßige Kirchgang junger Menschen habe zugenommen. Auffällig sei, dass katholische Gemeinden hier stärker profitieren als die anglikanische Kirche.

Ähnliche Entwicklungen lassen sich in den Vereinigten Staaten beobachten: Dort gewinnt die sogenannte "TradCath"-Bewegung – eine Strömung junger, oft konservativer Katholiken mit Vorliebe für traditionelle Liturgie – an Sichtbarkeit. Ihre Anhängerinnen und Anhänger sehen im Glauben einen stabilen Orientierungspunkt in einer als polarisiert und unübersichtlich empfundenen Gesellschaft.

Mehr Unbefangenheit

Auch im deutschsprachigen Raum gibt es neue Befunde. In Österreich sorgte die Studie "Was glaubt Österreich?" der Universität Wien für Aufmerksamkeit. Sie legt nahe, dass die jüngere Generation, insbesondere die 14- bis 25-Jährigen, offener gegenüber religiösen Themen ist als lange angenommen.

Regina Polak ist Professorin für Praktische Theologie und Interreligiösen Dialog an der Wiener Universität. / © Regina Polak (privat)
Regina Polak ist Professorin für Praktische Theologie und Interreligiösen Dialog an der Wiener Universität. / © Regina Polak ( privat )

Die Wiener Pastoraltheologin Regina Polak betont in einem Beitrag in der "Herder Korrespondenz", dass junge Menschen heute "unbefangener" über Religion sprechen und weniger von kirchlicher Sozialisation geprägt seien. Den Alltag strukturierende Rituale, eindeutige Antworten auf komplexe Fragen, spirituelle Erfahrungen und unbekannte alte Traditionen machten Religion als Option interessant. In der Tat ist im Gespräch mit Jugendlichen im katechetischen Kontext vermehrt zu beobachten, dass kirchenpolitische Reizthemen wie Zölibat und Frauenfrage kaum noch interessieren, die Frage nach Gott hingegen noch eine Rolle spielt.

Gleichzeitig weist Polak darauf hin, dass sich Glaube zunehmend individualisiere und nicht notwendigerweise an Institutionen gebunden bleibe. Religion werde stärker "nach Bedarf" gelebt – in Formen, die persönliche Relevanz besitzen, ohne dass sie automatisch in Kirchlichkeit münden. Außerdem warnt die Theologin vor einer Tendenz zum Anti-Intellektualismus bei jungen Menschen, die ihren Glauben möglicherweise nicht genügend reflektieren.

Kritisch und reflektiert

Zustimmung erhält Polak vom Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ). Kirchliche Jugendarbeit sei immer auch Bildungsarbeit, betont Bundesvorsitzender Volker Andres gegenüber DOMRADIO.DE. "Junge Katholik*innen können und wollen sich kritisch und reflektiert mit ihrem Glauben auseinandersetzen und daraus engagiert die Kirche und Gesellschaft mitgestalten."

Die pastorale und theologische Rezeption dieser Befunde fällt unterschiedlich aus. Die Pastoralreferentin Katharina Goldinger mahnte vor dem Hintergrund des Erstarkens konservativer Ansichten in einem Beitrag auf katholisch.de, dass die Kirche nicht "um jeden Preis" neue Gläubige wollen dürfe. Sie müsse sich entschieden davon distanzieren, "auf der Welle neuer rechtskonservativer, populistischer Strömungen mitzuschwimmen".

Manuel Schlögl

"Es sind sehr unterschiedliche und oft auch dramatische Lebensgeschichten, die sie zur Frage nach Gott führen."

Benjamin Leven hielt dem im Portal "Communio" entgegen, eine Kirche, die sich vor Zulauf fürchte, verrate ein gestörtes Selbstverständnis. Wenn Glaube lebendig bleibe, müsse sich die Kirche über Interesse freuen, statt es zu relativieren. Außerdem sei der Glaube bei neugetauften Erwachsenen und Konvertiten nach seiner Erfahrung wesentlich reflektierter als von manchen Skeptikern kolportiert.

Vor Skepsis angesichts des Interesses junger Menschen an Glaube und Kirche warnt auch Manuel Schlögl, Professor für Dogmatik und ökumenischer Dialog an der Kölner Hochschule für Katholische Theologie (KHKT). Man solle sich ihnen zuwenden, bevor man sie kritisiert. "Es sind sehr unterschiedliche und oft auch dramatische Lebensgeschichten, die sie zur Frage nach Gott führen." Die Annäherung an das Christentum geschehe eher praktisch: über soziale Projekte, über die Liturgie oder über die intellektuelle Auseinandersetzung. Bei den Studierenden an der KHKT gebe es zum Beispiel einige, die über die Schriften von C.S. Lewis oder John Henry Newman zum Glauben gefunden haben, so Schlögl.

Zwischen Hoffnung und Skepsis

Die Debatte zeigt ein breites Spektrum zwischen vorsichtiger Hoffnung und realistischer Skepsis. Deutlich wird: Religion hat für viele junge Menschen wieder eine Orientierungsfunktion – nicht unbedingt im klassischen, kirchlich verfassten Sinn, sondern als Möglichkeit, sich in einer unruhigen Welt zu verorten. Dass Krieg, Klimakrise, gesellschaftliche Polarisierung und Zukunftsangst die Sinnsuche intensivieren, darin sind sich die meisten Beobachter einig. Unklar bleibt, ob diese Tendenz von Dauer ist oder vor allem Ausdruck eines momentanen Bedürfnisses nach Halt.

Prof. Dr. Jan Loffeld (privat)
Prof. Dr. Jan Loffeld / ( privat )

Genau an diesem Punkt setzt die Analyse des Pastoraltheologen Jan Loffeld an, der die derzeitige Aufbruchsrhetorik kritisch relativiert. In mehreren Beiträgen – unter anderem in der "Herder Korrespondenz" und in Interviews mit DOMRADIO.DE – warnt er davor, aus vereinzelten Zahlenreihen eine Trendumkehr zu konstruieren. Loffeld sieht weniger eine Rückkehr der Religion als vielmehr deren "Transformation": Glaube verliere seine selbstverständliche kulturelle Einbettung und werde neu ausgehandelt – häufig außerhalb kirchlicher Strukturen, insbesondere in digitalen Formaten oder durch Kontakte mit den Großeltern zum Beispiel.

"Entbettung des Religiösen"

In diesem Prozess wachse zwar die Offenheit für spirituelle Fragen, doch zugleich schwinde die Bindungskraft institutioneller Religion. Auch bleibe die institutionelle Rückbindung entscheidend, etwa bei der Anfrage nach Erwachsenentaufen oder dem Wunsch nach einem Theologiestudium, wie die Situation in den Niederlanden zeigt. Der Theologe spricht deshalb von einer "Entbettung des Religiösen": Der Glaube werde individueller, fluid und fragmentarisch – eine Entwicklung, die pastoral weder ignoriert noch vorschnell als Hoffnungssignal gedeutet werden dürfe.

Prof. Dr. theol. Manuel Schlögl, Lehrstuhlinhaber Dogmatik und Ökumenischer Dialog, Kölner Hochschule für Katholische Theologie  (KHKT)
Prof. Dr. theol. Manuel Schlögl, Lehrstuhlinhaber Dogmatik und Ökumenischer Dialog, Kölner Hochschule für Katholische Theologie / ( KHKT )

Auch Manuel Schlögl empfiehlt in der gegenwärtigen Debatte eine Differenzierung zwischen "religiös", "christlich" und "in der katholischen Kirche engagiert". Seiner Erfahrung nach seien es bisher zahlenmäßig überschaubare Gruppen junger Menschen, die zu Glaube und Kirche finden. "Aber ihre Entschiedenheit ist wohl größer als bisher." Aus einem nicht christlich geprägten Umfeld kommend entdeckten sie den Glauben für sich neu. Die persönliche Beziehung zu Jesus Christus und der Empfang der Sakramente nähmen einen hohen Stellenwert in ihrem Alltag ein. "Viele beten täglich und besuchen auch fast jeden Tag die Heilige Messe oder die Anbetung", so der KHKT-Professor.

Stärker ritualisierte Liturgie

Ein möglicher Indikator dieses Phänomens war vor einigen Wochen das Pontifikalamt mit Kardinal Burke im Petersdom, welches in der alten Form der Liturgie nach den liturgischen Büchern von 1962 gefeiert wurde und bei dem überraschend viele junge Menschen anwesend waren. Der Bonner Liturgiewissenschaftler Andreas Odenthal sieht im Festhalten an der sehr reglementierten, ritualisierten Form der Alten Messe ein "Grundbedürfnis unserer Zeit", nämlich die Suche nach Beständigkeit: "In den vielfältigen Wandlungen unserer Gesellschaft und unserer Kirche, in den vielen Herausforderungen, die wir ja kaum noch bewältigen können, möchte man den einen festen Halt haben. Das kann ich sehr gut verstehen", sagte Odenthal im Deutschlandfunk.

Odenthals Beobachtungen passen sehr gut zu jenem in Konvertitenkreisen oftmals zitierten Ausspruch Gilbert K. Chestertons, die katholische Kirche sei das Einzige, das einen Menschen vor der entwürdigenden Sklaverei rettet, ein Kind seiner Zeit zu sein. So gesehen wird deutlich, weshalb die Alte Messe oder stärker ritualisierte Liturgie auf manche anziehender wirkt als ein Gottesdienst mit selbstgeschriebenen moralinsauren Gebeten im Stil der siebziger Jahre und mit unter Applaus vorgetragenen kirchenpolitisch motivierten Fürbitten.

Kardinal Burke an der Mensa des Kathedraaltars im Petersdom / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Kardinal Burke an der Mensa des Kathedraaltars im Petersdom / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

Der BDKJ positioniert sich jedoch in dieser Frage eindeutig. Die katholischen Jugendverbände ständen für einen Glauben, "der nicht zur Passivität führt, nicht zu einer Flucht in eine vermeintlich bessere Vergangenheit und Tradition, sondern für einen Glauben, der zum Engagement führt – für mehr Gerechtigkeit und eine bessere Welt, besonders für die Schwächsten", so Bundesvorsitzender Andres.

Aber wird die Alte Messe die Kirche vor der Säkularisierung retten, wie manche ihrer Anhänger glauben? Jan Loffeld betont, dass die gegenwärtige Krise der Kirchen strukturell und tiefgreifend ist. Sie betreffe nicht nur den Mitgliederschwund, sondern das Verhältnis von Religion, Gesellschaft und Alltag insgesamt. Eine Pastoral, die vor allem auf Zuwachs zielt, verfehle daher die Lage. Stattdessen brauche es neue Formen kirchlicher Präsenz, die realistisch mit Minderheitensituationen umgehen, Ressourcen bündeln und Menschen auf ihrer Suche begleiten, ohne sie vereinnahmen zu wollen. Die Chance liege nicht im Traum von vollen Kirchen, sondern in einer geistlichen und intellektuellen Präsenz, die glaubwürdig bleibt, auch wenn sie kleiner wird.

Debatte Spiegelbild der Situation

So wirkt die jüngste Debatte um die vermeintliche religiöse Rückkehr der Jugend wie ein Spiegel der gesamten Situation des Christentums in Europa: Sie zeigt, dass Sehnsucht, Spiritualität und Glaubensfragen keineswegs verschwunden sind – wohl aber ihre traditionelle Verortung. Hoffnung und Ernüchterung liegen dicht beieinander. Der Impuls, junge Menschen in ihrer Sinnsuche ernst zu nehmen, bleibt bedeutsam. Doch, so Jan Loffelds nüchterne Bilanz: Eine religiöse Offenheit ist noch kein kirchliches Comeback. Wer die Zeichen der Zeit verstehen will, muss den Wandel anerkennen – und aus ihm neue Wege entwickeln, statt alte zu beschwören.

Die voranschreitende Entchristlichung dürfe nicht ängstigen oder beklagt werden, warnt auch der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki. Anlässlich der Eröffnung der Diaspora-Aktion des Bonifatiuswerks am vergangenen Sonntag im Kölner Dom warb Woelki für einen nüchternen Blick und erinnerte daran, "dass dies eigentlich der Normalzustand für Christen in der Welt ist". Christen hätten keinen Grund, mutlos zu sein, wenn "vom verborgenen Wachstum des Gottesreiches" heute nicht viel zu sehen sei.

Neuevangelisierung

Der Begriff Neuevangelisierung bezeichnet eine vom Papst und der katholischen Kirche seit dem späten 20. Jahrhundert intensiv verwendete Bezeichnung für die Erneuerung der missionarischen Dynamik des Christentums in ehemals christlich geprägten Gesellschaften. Er zielt nicht auf eine "zweite" oder "andere" Evangelisierung, sondern auf die Wiederbelebung des Glaubens dort, wo er durch Säkularisierung, Individualisierung und gesellschaftliche Umbrüche an Kraft und Selbstverständlichkeit verloren hat.

Eine Frau betet mit Kreuz in der Hand über einer Bibel / © Doidam 10 (shutterstock)
Eine Frau betet mit Kreuz in der Hand über einer Bibel / © Doidam 10 ( shutterstock )
Quelle:
DR

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