DOMRADIO.DE: Warum veröffentlicht die EKD denn jetzt eine neue Friedensdenkschrift?
Benjamin Lassiwe (Journalist und evangelischer Kirchenexperte): Die letzte Friedensdenkschrift, die die EKD veröffentlicht hatte, ist aus dem Jahr 2007. Das ist jetzt fast 20 Jahre her und in der Zwischenzeit hat sich einiges getan. Es gab den Überfall Russlands auf die Ukraine, es gab das Aufflammen der Gewalt im Nahen Osten und es gibt die neuen Methoden der Kriegsführung durch Drohnen, die hybride Kriegsführung und die Cyberangriffe.
Kurz, die Welt hat sich verändert, die ist nicht mehr die gleiche wie vor 20 Jahren. Also müssen auch die Herausforderungen rund um Krieg und Frieden neu bedacht und neu formuliert werden.
DOMRADIO.DE: Was sind denn die großen Veränderungen im neuen Dokument?
Lassiwe: Die EKD ist aus meiner Sicht politisch mehr in die Mitte gerutscht. Die Zeitenwende macht sich auch in der Friedensethik der evangelischen Kirche bemerkbar. Was vor 20 Jahren völlig undenkbar war, dass man nämlich sagt, unter bestimmten Umständen braucht man auch weiterhin Atomwaffen zur Abschreckung, findet sich jetzt in diesem offiziellen Text der evangelischen Kirche.
Oder zum Beispiel das Thema Aufrüstung. Es kann Gründe geben, um verteidigungsfähig zu bleiben, dass man also aufrüsten muss. Das ist etwas, was man in der Zeit der 80er, 90er Jahre vermutlich in einer Friedensdenkschrift der Evangelischen Kirche auch nie gesagt hätte.
DOMRADIO.DE: Wie wird denn das Dokument wahrgenommen?
Lassiwe: Das Dokument hat schon am Tag seines Erscheinens zu deutlichen Protesten bei kirchlichen Friedensgruppen geführt, die der EKD im Grunde genommen vorwerfen, die Tradition der kirchlichen Friedensarbeit verraten zu haben. Auf der Synode hat nun der Friedensbeauftragte der EKD, der mitteldeutsche Landesbischof Friedrich Kramer gesprochen, der sehr deutlich gesagt hat, dass er beim Thema atomare Abschreckung weiterhin anderer Meinung ist als es dieser Text der Friedensdenkschrift ausdrückt.
Dazu muss man aber auch sagen, dass der Rat der EKD selbst diesen Text als Diskussionspapier, als eine Grundlage für Debatten versteht. So wird es zum Beispiel am Donnerstagabend in Berlin eine Veranstaltung geben, wo die Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs mit unserem Bundesaußenminister über diesen Text diskutieren wird.
Dieser Text ist aber kein lehramtlicher Text, wie man ihn vielleicht in der katholischen Kirche erwarten würde. Es ist nichts, das vom Vatikan kommt, sondern ein Arbeitspapier des Rates der EKD.
DOMRADIO.DE: Wie will die evangelische Kirche glaubwürdig gegen Hass und Angst in Zeiten von Populismus und Polarisierung auftreten und selbst zu einer Stimme der Versöhnung werden?
Lassiwe: Da beziehen sie sich natürlich auf den gestrigen Tag, als Bischöfin Fehrs ihren Ratsbericht gehalten hat. Da hat sie sehr deutlich gemacht, dass die evangelische Kirche in Deutschland die AfD für eine Partei hält, die nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes steht. Aber sie hat eben auch gesagt, mit deren Wählern müssen wir reden.
Wir brauchen Gespräche, wir brauchen Foren, wo unterschiedliche Meinungen aufeinander prallen, wo man sich austauschen kann und wo man vermeidet, dass am Ende des Tages die Gesellschaft auseinanderbricht. Die EKD hat solche Gesprächsorte deutschlandweit betrieben in den letzten Wochen und Monaten.
Es gab immer wieder Aufforderungen zum Dialog und das wird man auch weiter machen. Fehrs hat gestern gesagt, es braucht bundesweit ein Jahr zur Demokratie, ein Bekenntnis zu unserer Staats- und Gesellschaftsform und daran will sich die evangelische Kirche beteiligen.
Das Interview führte Dagmar Peters.