"Gedenken ist nicht das richtige Wort", sagt Abraham Lehrer. Er ist Vorsitzender der Synagogen-Gemeinde in Köln: "Wir müssen den 60. Geburtstag von 'Nostra Aetate' feiern". Die Erklärung über die Haltung der katholischen Kirche zu nicht-christlichen Religionen sei gar nicht hoch genug einzuschätzen. Am 28. Oktober 1965 hatte das Zweite Vatikanische Konzil "Nostra Aetate" veröffentlicht. Damit relativierte die katholische Kirche ihren Wahrheitsanspruch und erkannte das Wahre und Heilige in anderen Religionen an.
Zur Geburtstagsfeier trafen sich am 28. Oktober im NRW-Landtag Vertreterinnen und Vertreter der drei Weltreligionen. Statt "Clash of Culture" müsse es heißen "Dialog of Culture" betonte der Präsident des Landtags André Kuper als Gastgeber in seiner Begrüßung. In ihrem Impulsreferat bedauerte die Professorin Anja Middelbeck-Varwick, dass der interreligiöse Dialog unterbewertet werde, denn der Dialog der Religionen fördere den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie. "Interreligiöse Dialoge können gesellschaftliche Entwicklungen positiv beeinflussen", sagte die Theologin.
Podiumsteilnehmer bei einer Sache einig
Zum regen Austausch kam es dann in der Podiumsdiskussion mit Abraham Lehrer als Vertreter des Judentums, Minister Nathanael Liminski, Birgül Karaaslan, der Vorsitzenden des Verbandes muslimischer Lehrkräfte und mit dem Vorsitzenden der SPD Fraktion im Landtag Jochen Ott.
Religiöse Bildung sei wichtig, um überhaupt sprachfähig zu sein, waren sich die Podiumsteilnehmer einig. Birgüt Karsaalan erzählte, dass das Hamas-Attentat vom 7. Oktober 2023 ein großer Einschnitt gewesen sei. Als Lehrerin habe sie unter muslimischen Lehrern, Eltern und Schülern eine Ohnmacht und Sprachlosigkeit erlebt. "Uns fehlten die Worte, so dass wir gar kein Instrument hatten, mit diesem Schock umzugehen", sagt sie. "Die Verantwortung des Führungspersonals ist in diesen emotional aufgeladenen Zeiten viel größer als vorher", sagte Jochen Ott: "Wir benötigen eine Ent-Empörisierung", forderte Abraham Lehrer.
"Da brauchen wir uns im Erzbistum Köln nicht zu verstecken"
Aber welche Rolle spielt Religion überhaupt noch in der säkular geprägten Welt des Westens? "Was bedeutet es für den interreligiösen Dialog, wenn den Menschen Religion ganz egal ist?", fragte Nathanael Liminski. In einem Interview mit DOMRADIO.DE im Anschluss an die Podiumsdiskussion betonte er die Bedeutung von religiöser Bildung. "Wir müssen doch wissen, woran wir glauben, um dialogfähig zu sein. Der Respekt vor anderen Religionen kann nur dann ernsthaft und nicht nur ritualhaft entwickelt werden, wenn wir unseren Glauben kennen." Als Tabula Rasa bezeichnete er das Glaubenswissen heute. Der religiösen Bildung komme daher eine zentrale Aufgabe zu. Nur so könnten Religionen ihre positiven Kräfte entfalten.
Als ungeheuren Durchbruch bezeichnete der Kölner Weihbischof Rolf Steinhäuser das Zweite Vatikanische Konzil. "Da brauchen wir uns im Erzbistum Köln nicht zu verstecken", meinte Steinhäuser, der im Erzbistum für den interreligiösen Dialog zuständig ist: "Wir haben eine ganz tolle Arbeitsgruppe im Generalvikariat für Dialog, die jetzt auch mit dem Weltkirchenbereich eng zusammenarbeitet. Wir sind da auf einem sehr, sehr guten Weg."
Austausch unter den Kindern
Und dann erzählte er, dass er sich gut daran erinnern könne, wie es in seiner Kindheit auf dem Schulhof zwischen katholischen und evangelischen Kindern eine ganz klare Trennungslinie gegeben habe. Da sei in den vergangenen Jahrzehnten viel passiert. Weihbischof Steinhäuser freute sich darüber, dass Abraham Lehrer als lobendes Beispiel für gelungenen interreligiösen Dialog den Jüdisch-Katholischen Arbeitskreis nannte, der sich mit der Aufarbeitung antisemitischer Artefakte im Kölner Dom unter Leitung von Steinhäuser beschäftigt hat.
"Ich sehe keinen anderen Weg als den interreligiösen Dialog", unterstrich Abraham Lehrer und erzählte von der beglückenden Erfahrung des Projektes "Weißt du, wer ich bin". Schulkinder werden dabei in eine Moschee und nachher in eine Synagoge und in eine Kirche geführt. "Wenn sie das miterlebt haben, wie das christliche Kind das muslimische Kind gefragt hat: Was ist das für eine Malerei an der Wand? Und das muslimische Kind hat das erklärt. Oder das muslimische Kind fragt, das Stück Holz mit dem Männlein darauf, warum hängt das da? Nach diesem Austausch unter den Kindern werden sie nicht mehr so leicht rassistischen Tendenzen auf dem Leim gehen."