Ordensschwester sieht im Gebet mehr Beziehung als Pflichterfüllung

Der Ruf nach oben

Für Schwester Edith ist Beten keine Pflichtübung, sondern eine Beziehung. Es ist eine Suchbewegung nach einem Gott, der selbst den Menschen sucht. Gebet heißt für sie, sich hinzuhalten – mit allem, was das Leben trägt.

Autor/in:
Verena Tröster
Ein Holzrelief mit den gefalteten Händen "Betende Hände" von Albrecht Dürer / © Julia Steinbrecht (KNA)
Ein Holzrelief mit den gefalteten Händen "Betende Hände" von Albrecht Dürer / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Himmelklar: Beim Gebet treten wir in Verbindung mit Gott, so würde ich das Gebet für mich definieren. Wie definieren Sie Beten für sich? 

Schwester Edith Kürpick (Gemeinschaft der Schwestern von Jerusalem): Ich würde es nicht definieren wollen, ich versuche es zu leben – in ganz kleinen Schritten. Und ich sage gleich dazu: Auch wenn meine Lebensform das Ordensleben ist, und es meine Berufung ist, in Gemeinschaft ein Gebetsleben zu führen, verstehen wir Schwestern uns nicht als Expertinnen des Gebets. Wir sind Suchende. 

Schwester Edith Kürpick / © Mongi Taleb
Schwester Edith Kürpick / © Mongi Taleb

Von daher: Eine Definition finden Sie im Lexikon, die würde ich Ihnen nicht geben. Ich kann das Thema aber einkreisen – diese Suchbewegung, in eine Beziehung mit diesem Gott zu gehen, von dem ich glaube, dass er in Beziehung treten will mit mir und mit uns. Da geht es mir gar nicht darum, dass ich irgendwie eine große Anstrengung vollziehe. Natürlich möchte und muss ich meinen Teil dazu beitragen, aber zuallererst hängt es mit dem Gottesbild zusammen. Gott ist ein Gott, so glaube ich, mit der Kirche, der den Menschen sucht. 

Augustinus sagt: Gottes Sehnsucht ist der Mensch. Gott sehnt sich nach uns Menschen, nach einer Beziehung mit uns. Das impliziert sofort, dass es ein unendlich freilassender Gott ist. Also nicht wie man sich das manchmal vorstellt, so ein himmlischer Strippenzieher, der Freude daran hat, dass ich da irgendwelche Kniebeugen vollziehe, nein, sondern der in eine Lebens- und Liebesbeziehung mit mir eintreten will. Das sind große Worte, aber auf eine andere Karte hätte ich nicht mein Leben gesetzt. 

Himmelklar: Sie verbringen sehr viel Zeit mit ihm, investieren mehr als andere in diese Beziehung, die kein kontemplatives Leben führen. 

Sr. Edith: Das würde ich gar nicht so sagen. Ich würde auch nie – weder mein Gebet noch das Gebet anderer – bewerten wollen. Wer kann das? Gott allein kennt das Herz. Ich werde bestimmt nicht oben im Himmel ankommen, nur weil ich meinen Ordenshabit irgendwann schön getragen habe und regelmäßig beim Gebet war. Nein.

Jede Lebensform, ob ich verheiratet bin, in Partnerschaft bin, allein bin, Ordensfrau bin oder Priester oder sonst was, jeder Mensch ist eingeladen, in diese Beziehung zu gehen. Da kommt es, würde ich mal behaupten, nicht so sehr auf die Quantität an, sondern auf die Qualität. 

Ich denke, das ist ähnlich in jeder Beziehung, auch in menschlichen Beziehungen. Ich lebe jetzt nicht in der Partnerschaft. Wenn Sie jemanden lieben, verbringen Sie Zeit mit der Person, die Sie lieben. 

Das geht über Worte, aber oft sind das auch Gesten, stille Zeiten zusammen, man unternimmt was oder man diskutiert oder wirft sich Dinge vor, also eine lebendige Beziehung mit Haut und Haar und ganz und gar, und mit Gott, den ich zwar nicht sehe und anfassen kann, das stimmt, aber es ist schon ähnlich. 

Himmelklar: Wenn ich bete, dann rede ich in Gedanken. Bei dem, was Sie gerade gesagt haben, habe ich sofort gedacht: Es geht natürlich auch sehr viel ums Zuhören. 

Sr. Edith: Ja, da sagen mir natürlich manchmal Menschen: Ja, schön und gut, ich höre aber nichts im Gebet. Und dann sage ich dazu: Mit meinen Ohren höre ich auch nichts, also keine Angst, ich habe hier keine Erscheinung auf dem Gebetsteppich, das kommt vielleicht noch, aber das habe ich nicht gehabt und das brauche ich auch nicht. Der Glaube und das Gebet sind etwas anderes, viel Tieferes. 

Wenn Sie einen Menschen lieben, denke ich, gibt es ja auch Zeiten, wo Sie Dinge gar nicht mehr ins Wort bringen können oder wollen, oder vielleicht auch gar nicht Worte hören, aber doch spüren, wie es der anderen Person geht, die Sie lieben. Was sie auf dem Herzen hat. 

Gebet sind nicht unbedingt Worte. Sie können es sein, und sie sind es auch in meiner Tagesstruktur durch das Stundengebet. Das Stundengebet der Kirche, das Gebet der Psalmen, das sind uralte Texte der Kirche, aus dem Judentum natürlich, was wir hier in der Kirche übernommen haben. Da gibt es auch für jede Lebenslage mindestens einen Psalm – für die Klage, für das Traurigsein, das Frohsein, das Danken. 

Es gibt aber auch Momente im persönlichen Gebet, wo keine Worte mehr kommen oder wo es vielleicht ein Weinen ist. Es kommt vor, dass ich im Gebet weine, aber ich tue das nicht im luftleeren Raum oder in einer Blase, sondern vor einem Gott, den ich nicht sehe, aber von dem ich glaube, dass er mich hält und liebt.

Himmelklar: Können Sie das an jedem Tag? 

Sr. Edith: Ehrlich gesagt, ich kann das überhaupt nicht, und jeden Tag schon mal lange nicht. Für mich ist das kein Können, sondern ein permanentes Mich-einüben. Ich spüre oder ich glaube: Der Weg geht da lang. Warum? Weil Jesus uns in der Schrift dazu einlädt, die Tradition der Kirche, die großen Beter und Heiligen führen uns auf diesen Weg. Ich muss das aber nicht können. Das kann ich auch nicht. 

Es kann manchmal sein, dass im Ablauf ein Lobpsalm auf der Tagesordnung steht, und mir ist innerlich gar nicht danach. Ich bin vielleicht traurig oder etwas belastet mich. Dann schweige ich trotzdem nicht, wenn wir diesen Psalm singen, weil ich das auch stellvertretend für die Menschen machen möchte, die keine Hoffnung haben. Ich möchte dadurch die Hoffnung für alle zum Ausdruck bringen und mich prägen lassen. 

Also ich kann das nicht und jeden Tag schon mal lange nicht, aber ich möchte mich darauf einlassen, weil ich weiß, dass dieser Gott, der mich und uns so annimmt, wie wir sind, mich durch diese Zeit trägt und mit mir ins Gespräch kommen möchte.

Himmelklar: Was würden Sie sagen, wo Sie heute stehen, was das Thema Gebet angeht? Das ist ja auch was Dynamisches, etwas, was sich im Leben verändert. 

Sr. Edith: Ich bin Anfängerin. Ich fange jeden Morgen neu an. Mit zunehmendem Alter glaube ich schon zu spüren, dass es sich vereinfacht. Ich habe immer weniger Worte. Das ist manchmal wie so ein innerliches Schauen oder Gott-Hinhalten. 

Ich halte mich hin, und nicht nur mich, sondern meine Gemeinschaft, die Menschen, die mir lieb sind, aber auch die Not der Welt. Die Welt ist in Flammen und ich habe darauf keine Antwort, aber ich möchte das diesem Gott immer wieder hinhalten. 

Himmelklar: Ist das Ihre Lebensaufgabe? 

Sr. Edith: Ja, sicherlich auch. Und alles andere, der Herr hat unendlich viele Ideen, die er mir noch zeigen wird. Meine Spiritualität, unsere Spiritualität ist keine menschenfreie Zone. Diese Welt, die Gott so unendlich geliebt hat und liebt, dass er Mensch geworden ist, die hat Platz in dem Gebet. Dann ist es letztlich egal, ob ich in Groß St. Martin auf dem Gebetsteppich sitze, ob da fünf Leute mit uns beten oder 50 oder noch mehr, oder ob ich über die Domplatte gehe und Menschen sehe. Ich möchte diesen Blick auf die Menschheit in mir tragen und dieses Gebet auch. 

Es gibt nicht eine Gebetszeit und dann gehe ich raus und dann kommt was anderes. Das ganze Leben soll davon durchdrungen sein. Das wünsche ich mir. Und eben auch meine Kontakte mit den Menschen. Was nicht heißt, dass ich Gott immer sofort ins Wort bringe. Ich möchte aber so leben, dass die Menschen irgendwann fragen: Warum machst du das denn, was ist denn anders bei dir? Warum bist du so unterwegs? Und dann geht es nicht um mich, sondern um diesen Gott, der so menschenfreundlich und erlösend ist. 

Himmelklar: Es bedeutet aber natürlich, dass Sie einen deutlichen Ruf gehört haben, sonst hätten Sie dieses Leben für sich nicht gewählt. 

Sr. Edith: Also ich habe keine WhatsApp gekriegt und auch keine E-Mail. Ich habe aber gehört, natürlich nicht mit meinen Ohren, sondern in meiner Suchbewegung und in meinem Herzen. Wenn Sie jemanden lieben, kann man Sie natürlich fragen, woher Sie denn wissen, dass Sie den lieben. 

Die Frage habe ich meiner eigenen leiblichen Schwester gestellt, als sie in der Familie ankündigte, dass sie meinen Schwager heiratet. Da habe ich sie gefragt: "Erklär mir noch mal, woher weißt du denn, dass er der Mann deines Lebens ist?" Dann habe ich gesagt: "Du wirst mir doch nicht sagen, er hat so schöne blaue Augen und er ist nett. Woher weißt du, dass du ihn so liebst?" Und dann sagte sie: "Ja, der hat schöne blaue Augen, der ist nett, aber ich kann es dir nicht erklären, aber ich weiß es, innerlich diese Gewissheit." 

Und so ähnlich ist das. Es gibt Zeichen, ich habe diese Berufung natürlich auch geprüft. Ich habe Exerzitien gemacht, ich habe mich begleiten lassen, ich habe viel nachgedacht, ich habe auch mit Freunden gesprochen. Irgendwann stehen Sie aber vor einer Lebensentscheidung, die nur Sie alleine treffen, und dann setzen Sie den Fuß aufs Wasser und es trägt. 

Himmelklar: Sie beten im Umfeld von Groß St. Martin in Köln. Die Kirche ist sehr karg, sie tragen ein ganz schlichtes Baumwolltuch um den Kopf gebunden. Man muss schon das Setting und die Umgebung dafür schaffen, um in diese Stille zu kommen, oder?

Sr. Edith: Ja und nein. Wie in jeder Beziehung brauchen Sie Momente der Intimität. Eine Freundschaft muss man pflegen. Wenn Sie jemanden lieben, werden Sie der anderen Person nicht sagen: Ich liebe dich, aber ich habe dir das schon vor drei Wochen gesagt. Das muss dir reichen. – Nein, Sie brauchen Momente der Intimität, in denen Sie diese Liebe in Worten und in Gesten zum Ausdruck bringen. Und im Gebet ist das ähnlich. 

Es stimmt natürlich, ich kann überall beten, aber diese Freundschaft muss ich auch pflegen. Wenn Sie nur außenorientiert sind, dann verlieren Sie diese innere Ausrichtung auch. Diesen Ort und diese Zeiten braucht es, und dazu muss man nicht ins Kloster gehen. Ich glaube, Gott traut uns da eine Menge zu, selber erfindungsreich kreativ zu werden. 

Wenn Sie Frühaufsteherin sind, ist vielleicht die Zeit zwischen Aufstehen und Zähneputzen ein Moment, in dem Sie innerlich Ihr Herz zu Gott erheben und den Tag Gott anvertrauen. Wenn Ihnen in der Stadt auf einmal eine Kirche über den Weg läuft, können Sie sagen: Ich setze mich mal fünf Minuten rein, es ist zwar ganz leer und es passiert nichts, kein Gottesdienst, aber ich setze mich hin und nehme mir die Zeit. 

Oder ob das die Anbetung ist, oder ob Sie sagen: Ich stehe hier am Bahnhof, warte auf den Zug und ich gucke mir jetzt nicht die Werbeplakate an, sondern ich schaue mir die Menschen an und segne sie innerlich. Ich mache das sehr gerne. Ohne etwas zu sagen. Kinder kriegen immer einen Segen, aber auch die anderen. 

Gucken Sie, was zu Ihnen passt. Es gibt nicht die eine Art zu beten. Solche Momente kann man pflegen, sich wirklich auch mal herausziehen oder in die Natur gehen. Aber ich glaube, es geht noch mehr darum, das nicht zu trennen, also zu sagen: Okay, sonntags ist der Gebetstag und die anderen Tage in der Woche mache ich was ganz anderes, sondern Gott ist immer im Jetzt. 

Wenn ich hier sitze und gleich in die Stadt gehe, wartet er an jeder Straßenecke auf mich. Dafür einen Blick zu bekommen, das ändert auch meinen Blick auf die Menschen.

Das Interview führte Verena Tröster.

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Himmelklar (DR)
Himmelklar / ( DR )
Quelle:
DR

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