Die Pilgergruppe aus dem Erzbistum Köln zieht langsam den Hügel hinauf, Schritt für Schritt, mit Rosenkranz in der Hand. Gemeinsam beten sie. Mitten unter ihnen ist Osvaldo Donoso. Neben ihm geht seine Frau Blanca. Seine Schritte sind klein, sein Atem kurz. Dann hält er kurz inne. Fast entschuldigend sagt er: "Das sind alles noch Folgen von Covid."
Ein Forscher auf neuen Wegen
Osvaldo war in Chile Forscher an einer Universität. "Ich war immer gläubig, aber eher in familiärer Tradition", erzählt er. Vor sechs Jahren heiratete seine Tochter einen Deutschen. Blanca reiste nach Bonn, um das Enkelkind zu sehen, blieb und fand Arbeit. Osvaldo kam nach, "erst nur für ein paar Monate", wie er damals dachte. Doch die Monate wurden zu Jahren.
Das Haus in Tabasco, Mexiko, Blancas Heimat, steht noch immer leer. Rom kennt er von vorherigen Reisen. Doch was ihn heute hierherführt, ist neu: die Nachbildung der Grotte von Lourdes inmitten der vatikanischen Gärten. Die Maria von Lourdes. Sie steht für ihn und seine Familie für einen Wendepunkt in einer schweren Zeit.
"Die Ärzte sagten, sie sollen sich verabschieden"
Während der Corona-Pandemie wird Osvaldo schwer krank. Seine Lungenwerte werden immer schlechter und er wird ins künstliche Koma verlegt, insgesamt acht Wochen lang. "Als ich im Koma lag, sagten die Ärzte zu meiner Familie, sie sollen kommen und sich verabschieden", erzählt er mit brüchiger Stimme. Seine Frau und Tochter gehen in dieser Nacht zur Lourdes-Grotte des St. Marien-Hospitals in Bonn. Sie beten und hoffen, dass ihr Vater und Ehemann gesund wird. "In den darauffolgenden Tagen wurden meine Werte plötzlich besser. Die Lunge sah wieder gut aus. Die Ärzte verstanden es nicht", erzählt Osvaldo.
Er selbst erinnert sich an diese Zeit wie an einen langen, stillen Traum. "Ich war ruhig. Kein Schmerz, keine Angst. Nur Stille. Aber meine Familie hat gelitten, haben sie mir später erzählt. Jeden Tag mussten sie mit Ärzten sprechen, hoffen und beten." Nachdem er aufgewacht ist, beginnt der mühsame Weg zurück ins Leben: monatelange Reha, Übungen, Atemtherapie, neu lernen zu laufen. Auch körperlich und psychisch muss er sich erholen. Ein Jahr dauert die Regeneration. Und als endlich alles besser scheint, kommt die nächste Diagnose: Prostatakrebs. Operation, Chemo und vor allem wieder ein Jahr Kampf. "Ich habe es geschafft. Gott sei Dank", sagt er.
Maria von Lourdes
Seit seiner Genesung betet Osvaldo jeden Tag. Er betet jeden Tag den Rosenkranz von Lourdes. "Die Maria", sagt er und Tränen füllen seine Augen, "sie hat mir geholfen. Sie hilft mir bis heute." Sobald er wieder reisen konnte, ging er mit Blanca und der Tochter nach Lourdes in Frankreich. An jenen Ort, wo Maria erschienen sein soll.
Jetzt, während der Prozession, steht er in Rom, vor einer Grotte, die der in Lourdes nachempfunden ist. Die Grotte ist in einen Felsen eingelassen. Die Felswand ist mit Moos übersät. Oberhalb ist eine Nische, im Stein steht die Statue der Heiligen Jungfrau. Osvaldo senkt den Blick und faltet die Hände.
Während Kardinal Rainer Maria Woelki die Andacht leitet, sitzt Osvaldo. Er ist still. Nur seine Lippen bewegen sich. Er summt die deutschen Lieder leise mit.
Als dann das "Ave Maria" erklingt, singt er laut mit. "In jedem Land gibt es eine andere Maria", sagt er später. "Ich hatte nie eine Beziehung zu der aus Lourdes. Aber sie war da, als ich sie brauchte." Blanca legt ihm eine Hand auf die Schulter, als ihm seine Stimme bricht. "Seitdem beten wir jeden Tag zu ihr", sagt Osvaldo wieder unter Tränen. "Sie taucht immer wieder in unserem Leben auf."
Am Ende der Prozession bleibt Osvaldo noch einen Moment vor der Grotte sitzen. "Man kann Maria um etwas bitten", sagt er leise, "und dann das Leben laufen lassen und sehen, wie sie antwortet." Jetzt klingt seine Stimme wieder ruhig.