Woran die Bestattungsbeauftragte Ursula Sänger-Strüder wirklich glaubt

"Gott wird für mich immer mehr zur zentralen Liebe"

Auch Glaubende haben Zweifel. Trotzdem halten sie sich an etwas fest, das ihnen Kraft gibt und sie trägt – jenseits aller Dogmen und frommen Glaubenssätze. So hilft Ursula Sänger-Strüder bei ihrem persönlichen Credo ihr Mitgefühl.

Autor/in:
Beatrice Tomasetti
Ursula Sänger-Strüder ist ehrenamtliche Bestattungsbeauftragte und arbeitet in der Grabeskirche St. Bartholomäus mit. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Ursula Sänger-Strüder ist ehrenamtliche Bestattungsbeauftragte und arbeitet in der Grabeskirche St. Bartholomäus mit. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Frau Sänger-Strüder, wie stellen Sie sich Gott vor, und wann wird er für Sie erfahrbar?

Ursula Sänger-Strüder (Mitglied des Leitungsteams in der Kölner Grabeskirche St. Bartholomäus und ehrenamtliche Bestattungsbeauftragte): Gott war immer schon für mich präsent – seit ich denken kann. Von klein auf gab es dieses starke Gefühl, dass da etwas Großes über mich wacht und meinen Lebensweg begleitet. Deshalb ist mir auch der Psalm 139 so wichtig: "Ob ich gehe oder ruhe, es ist dir bekannt; du bist vertraut mit all meinen Wegen." 

So oft habe ich schon die Nähe Gottes erfahren dürfen, zum Beispiel wenn ich mich aus brenzligen Situationen befreien konnte. Und als vor zwei Jahren plötzlich mein Mann starb, habe ich erlebt, was es heißt, getragen zu sein. Innerhalb einer halben Stunde waren meine Kölner Freunde vor Ort und blieben bis in den späten Abend bei mir. Sie schenkten mir Nähe und Trost, bis mein Mann, den ich tot im Hausflur gefunden hatte, vom Bestatter abgeholt wurde. In diesen Stunden konnte ich spüren: Gott ist da. Er hatte zwar eine Tür zugeschlagen, mir das Liebste genommen, aber gleichzeitig öffneten sich viele andere Türen im Laufe der Trauerzeit und schenkten mir Hoffnung und Zuversicht.

DOMRADIO.DE: Gab es schon Situationen, in denen Sie mit Gott gehadert oder Ihren Glauben infrage gestellt haben? Und wenn ja, was hat Ihnen da geholfen?

Sänger-Strüder: Natürlich, gab es in meinem Leben schon Momente der Resignation oder Gottesferne: in meiner Jugend, als ich selbst mit mir nicht im Reinen war und mir vieles in der Kirche nebulös erschien und darum so weit weg von der eigenen Lebenswelt war. Oder im ersten Berufsjahr, als ich von einer älteren Kollegin gemobbt wurde, aber dann später auf Gottes Spuren traf, wenn er mir in Menschen begegnete, die mir halfen, meinen Platz im Leben zu finden. Oft waren es kleine Gesten oder Begegnungen. In der Rückschau erkenne ich immer wieder, wann Gott ganz intensiv bei mir war. Die bekannte Geschichte von den "Spuren im Sand" ist für mich daher auch nicht plakativ, sondern durchaus etwas, was ich genau so für mich erlebt habe.

Ursula Sänger-Strüder beim Aufstellen einer Kerze an der Grabplatte ihres Mannes. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Ursula Sänger-Strüder beim Aufstellen einer Kerze an der Grabplatte ihres Mannes. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Mit dem zu frühen Tod meines Mannes habe ich eigentlich nie gehadert, eher war ich erschrocken und habe das als Zäsur empfunden, die mich in besonderer Weise herausfordert. Nach wie vor ist der Verlust für mich riesengroß, und wie oft wünschte ich, dass es anders wäre, er noch bei mir sein könnte. Von daher betrachte ich es als großes Geschenk, dass er mir in der Grabeskirche St. Bartholomäus, wo er bestattet ist und ich meinen Dienst versehe, sehr nahe ist. Immer, wenn ich meine Arbeit beginne, gehe ich als Erstes an seine Grabstelle und berühre zum Gruß seine Grabplatte. Da ist immer noch viel Traurigkeit, aber kein Hadern. Ich bin ohnehin davon überzeugt, dass alles in unserem Leben vorgezeichnet und Bestimmung ist.

DOMRADIO.DE: 28 Jahre lang waren Sie geschäftsführende Referentin der kfd im Erzbistum Köln und haben sich in dieser Zeit für die Frauen in Kirche und Gesellschaft stark gemacht. In Ihrem Ruhestand haben Sie nach einem ehrenamtlichen Engagement gesucht, das zu Ihnen passt, aber einen ganz anderen Fokus hat, und dann eine Ausbildung als Bestattungsbeauftragte absolviert. Ab 2020 haben Sie begonnen, im Team der Kölner Grabeskirche St. Bartholomäus mitzuarbeiten, und das besondere Konzept, das hinter dieser Art von Bestattung steht, für sich entdeckt. Wie sehr greift in Ihrem Alltag der Kompass Ihres katholischen Glaubens? Und welche Erfahrungen machen Sie mit trauernden Angehörigen, denen Sie bei Ihrer Arbeit begegnen?

Ursula Sänger-Strüder

"’Tote begraben’ gehört zu den Sieben Werken der Barmherzigkeit; für mich ist und bleibt das eine wichtige Christinnenpflicht."

Sänger-Strüder: Die Möglichkeit zur Mitarbeit im Team der Grabeskirche war wie ein Wink Gottes, so interpretiere ich das für mich. Hinter mir lagen die ersten Monate der Pensionierung und des "Nicht-mehr-Gebrauchtwerdens". So jedenfalls empfand ich diese Phase inmitten der Coronazeit. Und da verstand ich meine neue Tätigkeit wie ein Nachhause-Kommen, obwohl ich mir das vorher gar nicht so hätte vorstellen können. Aber "Tote begraben" gehört zu den Sieben Werken der Barmherzigkeit; für mich ist und bleibt das eine wichtige Christinnenpflicht. 

Blick in den Andachtsraum mit Altar und Kreuz. (Grabeskirche St. Bartholomäus in Köln-Ehrenfeld)

Dann fragte mein Heimatpfarrer an, ob ich mir vorstellen könnte, Bestattungsbeauftragte für die Gemeinde zu werden. Ich fand, dass ich das sehr gut mit meiner Tätigkeit in der Grabeskirche verbinden könne. In der frühen Phase der Ausbildung zur Bestattungsbeauftragten verstarb dann plötzlich mein Mann. Aber irgendwie fand ich die Kraft, trotzdem weiterzumachen und diese Ausbildung zu einem Abschluss zu bringen. Dabei tat das gemeinsame Lernen mit den anderen Kolleginnen und Kollegen gut und ließ die Trauer milder stimmen. Gott öffnet Türen. Davon bin ich überzeugt. 

Den Andachtsraum der Grabeskirche umspannt ein Netz.  (Grabeskirche St. Bartholomäus in Köln-Ehrenfeld)

So erlebe ich es auch an jedem Diensttag in der Grabeskirche und bei meinen Vorbereitungen zu Beisetzungen, die ich inzwischen in der Grabeskirche durchführen darf. Immer wieder bin ich dankbar – auch meinen Eltern –, dass ich auf soliden Glaubensfüßen stehen darf. Die Nadel meines Glaubenskompasses zeigt mir in den meisten Fällen die passende Richtung und lässt mich bei solchen Anlässen auch die richtigen Worte finden. 

Die Menschen, die zu uns kommen, um ihren Angehörigen bei uns eine "neue Wohnung" zu bereiten, sind oftmals eher kirchenfern und angesichts des Verlustes auch orientierungslos. Dann versuche ich immer, ihnen aus meiner eigenen Haltung und Überzeugung heraus Sicherheit, Licht und Trost zu geben. Dabei mache ich die Erfahrung, dass viel Glaubenssubstanz verschüttet ist und wachgerüttelt werden muss. Aber wenn man authentisch bleibt, nehmen die Menschen Worte, Gesten und Mitgefühl an. Dann ist man "glaub-würdig" im eigentlichen Sinne. 

Ursula Sänger-Strüder

"Ich bin, wie ich bin, und aus meiner echten Empathie für die Trauernden heraus versuche ich, mit ihnen gemeinsam ihren individuellen Weg der Trauer zu gehen."

Ein Beispiel der letzten Wochen: Eine hochbetagte Witwe fragte mich bei einem Trauergespräch, ob ich nur so sprechen würde, weil das meine Rolle hier und jetzt sei. Das habe ich erst gar nicht verstanden, zumal ich ja in einem solchen Augenblick des Mitgefühls ganz bei den Menschen bin, denen ich in ihrer Trauer beistehen und Trost spenden will. Da spiele ich doch nichts. 

Der Kreuzweg wurde von dem tschechischen Künstler Ludek Tichy gestaltet. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Der Kreuzweg wurde von dem tschechischen Künstler Ludek Tichy gestaltet. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Das habe ich ihr auch geantwortet und dabei gespürt, dass sie nach etwas gesucht hat, woran sie sich festmachen konnte. Ich bin, wie ich bin, und aus meiner echten Empathie für die Trauernden heraus versuche ich, mit ihnen gemeinsam ihren individuellen Weg der Trauer zu gehen. Um es mit einem Bild zu sagen: In einem solchen Moment des Beistands bin ich der Leuchtturm, dessen Licht den Schiffen auf den Meereswellen den Weg in den sicheren Hafen weist.

DOMRADIO.DE: Wie sehr wirkt sich das, was Sie tun, auf Ihren Glauben aus? Und umgekehrt: Wie notwendig ist der Glaube für Ihr eigenes Selbstverständnis, aber auch für Ihr Wirken innerhalb der Kirche?

Sänger-Strüder: Ich denke, die Arbeit in der Grabeskirche, aber auch meine ehrenamtlichen Aufgaben beim Bonifatiuswerk und in der Verbraucherzentrale stärken mich, lassen mich aber auch immer wieder reflektieren. Ich denke viel über das Leben und den Tod nach, aber vor allem auch darüber, was uns erwarten wird, wenn wir die Schwelle zur Ewigkeit übertreten. Gott wird für mich immer mehr zur zentralen Liebe. Zu wissen, ich kann nicht tiefer fallen als in seine Hand, der er meinen Namen in seine Handfläche geschrieben hat, ist tröstlich und gibt mir Sicherheit. 

Ursula Sänger-Strüder

"Der Geist Gottes weht. Das habe ich in meinem Leben so oft hautnah spüren dürfen."

In meinen nun mehr 45 Jahren im kirchlichen Dienst hat mich mein Glaube immer getragen. Er war stets der Antrieb für meine vielfältigen Aktivitäten. Dabei habe ich immer unterschieden zwischen dem persönlichen Glauben und der Kirche an sich. Vieles in der Institution Kirche sehe ich kritisch, gerade was die Rolle und Gleichwertigkeit der Frau angeht. 

Und traurig macht mich, dass wir in diesen Fragen nur langsam vorangehen und immer wieder Rückschritte hinnehmen müssen. Trotzdem bin ich mir sicher, das Wirken der Frauen in unserer Kirche ist unersetzlich und prägend. Der Geist Gottes weht. Das habe ich in meinem Leben so oft hautnah spüren dürfen. Und das schenkt mir Mut und Hoffnung.

Das Interview führte Beatrice Tomasetti.

Quelle:
DR

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