"Das Leben kann manchmal ganz schön hart sein", stellt Domkapitular Hans-Josef Radermacher zu Beginn seiner Predigt fest.
In der Tageslesung aus dem Lukasevangelium biete Jesus eine Alternative zu Resignation und Verdrängung an, erklärt Prälat Radermacher: "das Gebet. Er fordert seine Jüngerinnen und Jünger auf, allzeit zu beten und nicht darin nachzulassen."
Zugleich wolle der Evangelist er die Menschen, für die er schreibt, mit Jesu Gleichnis vom ungerechten Richter und der armen Witwe ermutigen, führt Domkapitular Radermacher aus. "Wir können darauf vertrauen, das Reich Gottes wächst. Diese Zuversicht und das Gebet gehören zusammen."
"Verheißen ist uns Gottes Reich und Leben in Fülle. Wir können das nicht selber machen, aber mit Zuversicht könnten wir uns und unsere Welt ein Stück auf diese Verheißung hinzubewegen. Auch dazu sind wir als Christinnen und Christen auserwählt und berufen", so der Kölner Domkapitular zum Ende seiner Predigt.
Kapitelsamt am neunundzwanzigsten Sonntag im Jahreskreis
DOMRADIO.DE übertrug am neunundzwanzigsten Sonntag im Jahreskreis das Kapitelsamt aus dem Kölner Dom mit Domkapitular Hans-Josef Radermacher. Kantor war Domkapellmeister Alexander Niehues. Die Orgel spielte Matthias Wand.
Im Gottesdienst erklangen deutschsprachige Lieder und Gesänge aus dem Gotteslob, darunter Kyrie und Sanctus aus der Alban-Messe von Heinrich Rohr und Gloria-Hymnus in einer Vertonung von Hans Haselböck.
Evangelium vom 29. Sonntag im Jahreskreis im Lesejahr C: Lukas 18,1-8
In jener Zeit sagte Jesus seinen Jüngern durch ein Gleichnis, dass sie allezeit beten und darin nicht nachlassen sollten:
In einer Stadt lebte ein Richter, der Gott nicht fürchtete und auf keinen Menschen Rücksicht nahm. In der gleichen Stadt lebte auch eine Witwe, die immer wieder zu ihm kam und sagte: Verschaff mir Recht gegen meinen Widersacher!
Und er wollte lange Zeit nicht. Dann aber sagte er sich: Ich fürchte zwar Gott nicht und nehme auch auf keinen Menschen Rücksicht; weil mich diese Witwe aber nicht in Ruhe lässt, will ich ihr Recht verschaffen. Sonst kommt sie am Ende noch und schlägt mich ins Gesicht.
Der Herr aber sprach: Hört, was der ungerechte Richter sagt! Sollte Gott seinen Auserwählten, die Tag und Nacht zu ihm schreien, nicht zu ihrem Recht verhelfen, sondern bei ihnen zögern? Ich sage euch: Er wird ihnen unverzüglich ihr Recht verschaffen.
Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt, den Glauben auf der Erde finden? (Lk 18,1-8)
Auslegung zum Sonntagsevangelium von Eugen Biser
In der vorliegenden Form ist die Frage Jesu ("Wird der Menschensohn, wenn er wiederkommt, auf der Erde noch Glauben finden?" Anm. d. Red.) mit seiner Aufforderung zu inständigem Gebet verbunden und auch darin einer genaueren Überlegung bedürftig. Denn nach weitverbreiteter Ansicht liegen Glaube und Gebet auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Das Gebet ist danach vor allem eine Sache des Herzens, der Glaube jedoch des von einem Willensentschluss bewogenen Denkens.
Doch diese Zweiteilung hält einer genaueren Überprüfung nicht stand. Denn im Gebet geht es nicht nur um die Anrufung der göttlichen Hilfe in unseren menschlichen Anliegen und Nöten; im Gebet geht es vielmehr, mit Paulus gesprochen, um Gott. Darin stimmte ihm sogar sein großer Kritiker, der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber, zu. Auch für ihn ist das Gebet letztlich "die Bitte um Kundgabe der göttlichen Gegenwart, um das dialogische Spürbarwerden dieser Gegenwart".
Unsere Anliegen und Nöte sind somit nur der Anlass unseres Betens; sein Gegenstand ist dagegen kein anderer als Gott. Im Gebet führen wir somit, ob es uns bewusst ist oder nicht, einen Gottesbeweis, und umgekehrt hat der als "Vater der Scholastik" bekannte Anselm von Canterbury den nach ihm benannten Gottesbeweis in Form einer betenden Anrufung Gottes entwickelt.
So gesehen ist das Gebet die mit der ganzen Existenz gestellte und von Gott mit der Fühlung seiner Gegenwart zum Schweigen gebrachte Gottesfrage. Doch eine Frage will nicht nur beschwichtigt werden, und sei dies mit der Fühlung der göttlichen Gegenwart. Sie zielt vielmehr ihrer innersten Absicht nach auf eine Antwort. So auch hier. Um die von Gott gegebene Antwort aber geht es im Glauben. Denn der Glaube ist die Annahme der Gottesoffenbarung und die verstehende Zustimmung zu ihr.
Damit treten Gebet und Glaube in einen gegenseitigen Verweisungszusammenhang. Mit seiner Anrufung Gottes legt das Gebet das Fundament zum Glauben; der Glaube aber ist die Krönung dessen, was mit dem Gebet beginnt. Auch das klingt in der bewegenden Frage Jesu, ob er bei seiner Wiederkunft noch Glauben finden werde, an, wenn diese Frage nur auf seine Ermahnung zu inständigem Gebet zurückbezogen wird.
Eugen Biser (dt. Theologe, 1918–2014), aus: Ders., Gott für uns. Predigten zum Lesejahr C, Düsseldorf 1997, 142–143, © Eugen-Biser-Stiftung, München