DOMRADIO.DE: Der Überfall der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 jährt sich zum zweiten Mal. Seitdem hat sich in Deutschland die Stimmung gegen Juden verschärft. Wie ernst ist die Lage?
Daniel Zander (Hauptstadtkorrespondent der Katholischen Nachrichten-Agentur, KNA): Sehr ernst. Das zeigt auch eine Studie, die die Folgen des 7. Oktobers auf Juden in Deutschland untersucht. Da wurde erst kürzlich ein Zwischenbericht veröffentlicht. Viele von Antisemitismus Betroffene erzählen von starken Anfeindungen und Attacken. Auch die Zahlen der Meldestelle des Bundesverbandes der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus e.V. (RIAS). Demnach gab es 2024 über 8.600 antisemitische Vorfälle, 2023 waren es noch etwa 4.800. Es gibt also einen klaren Anstieg. Viel berichten auch über Ausgrenzung und eine Isolierung aus dem öffentlichen Leben.
DOMRADIO.DE: Diese Ausgrenzung hatte auch Kulturstaatsminister Wolfram Weimer kritisiert. Welche Beispiele gibt es in der aktuellen Debatte?
Zander: Ausgrenzung erleben wir nicht nur, aber vor allem im Bereich der Kultur. Da wäre zum einen die Entwicklungen rund um den Eurovision Song Contest. Mehrere Rundfunksender - aus Irland, Island, Slowenien, Spanien und den Niederlande - fordern einen Ausschluss Israels. Diese Länder drohen auch mit einem Boykott des ESCs, falls Israel im kommenden Jahr in Wien teilnehmen darf. Die Entscheidung dazu soll im November fallen. Zuletzt standen auch die Münchner Philharmoniker im Fokus. Die werden geleitet von Lahav Shani, der in Israel geboren wurde. Bei einer Veranstaltung in Belgien wurden die Philharmoniker wieder ausgeladen, spielten dafür aber ein Ersatzkonzert in Berlin.
Das sind die prominenten Fälle, die in den Medien stehen. Man darf nicht vergessen, dass es viele kleinere Fälle gibt. Auch im Lokalen werden Künstler und Musiker ausgeladen. Auch die Berliner Club-Szene rund um die Techno- und DJ-Szene zeigt sich mittlerweile tief gespalten. Seit dem 7. Oktober werden auch einige Partys von Juden boykottiert.
DOMRADIO.DE: Begleitet werden solche Boykott-Aufrufe auch von Protesten, die teils eine antisemitische Prägung haben. Gibt es da neue Zahlen?
Zander: Ja. Die Meldestelle RIAS hat am Montag Morgen akuelle Zahlen genannt. Seit dem Überfall bis Ende Dezember 2024 gab es über 2.200 Versammlungen mit antisemitischen Parolen. Das ist ein deutlicher Anstieg im Vergleich zu dem Zeitraum vor dem Angriff. Natürlich gibt es auch friedliche Proteste gegen Israels umstrittene Kriegsführung, aber judenfeindliche Parolen häufen sich und auch Qualität der Anfeindungen steigt.
DOMRADIO.DE: Schauen wir auf die Lage in Gaza. Unlängst hat US-Präsident Donald Trump einen 20-Punkte-Plan vorgeschlagen. Wie ist der Stand?
Zander: Die Vereinigten Staaten haben den Entwurf "Neues Gaza" veröffentlicht. Wenn Hamas und Israel jeweils das Abkommen annehmen, soll der Krieg sofort enden. Ein Teil dieses Entwurfs ist, dass alle Geiseln - egal ob Tod oder Lebendig - innerhalb von 72 Stunden freikommen sollen.
Der Plan sagt auch, dass Israel seine Truppen abzieht, sobald die Hamas entwaffnet ist und internationale Sicherheitskräfte im Gazastreifen sind. Der Gazastreifen soll dann zunächst von einem Komitee regiert werden, das aus Palästinensern und Experten aus aller Welt bestehen soll. Die Leitung des Komitees soll US-Präsident Donald Trump und anderen Staatschefs obliegen. Langfristig soll eine reformierte palästinensische Autonomiebehörde den Gazastreifen regieren.
DOMRADIO.DE: Und wie sind die Reaktionen dazu?
Zander: Die sind tatsächlich relativ positiv. Bundeskanzler Friedrich Merz lobte Trumps Plan als "bislang beste Chance auf ein Ende des Krieges". Auch die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Reem Alabali Radovan hat den Plan begrüßt und Unterstützung des Ministeriums bei einem Wiederaufbau angeboten. Die Deutsch-Israelische Gesellschaft e.V. ist für den Plan. Aus kirchlicher Sicht unterstützt Papst Leo XIV. den Plan und hat ihn als einen realistischen Vorschlag bezeichnet.
Aber bei der Hamas herrscht noch Skepsis. Im Plan fehle ein konkreter Zeitplan für den Rückzug der israelischen Truppen. Da ist die Sorge der Hamas, dass sich der Abzug noch Jahrzehnte verzögern könnte. Auch der rechtsradikale israelische Finanzminister Bezalel Smotrich kritisiert den Plan. Er sagt, dass die Sicherheit Ausländern anvertraut würde.
DOMRADIO.DE: Zum Jahrestag des 7. Oktober kommt eine Wanderausstellung über den Überfall nach Berlin. Was können die Besucher dort sehen?
Zander: Die Ausstellung öffnet morgen auf dem Gelände des ehemaligen Berliner Flughafens Tempelhof. Sie bildet das Gelände des Nova-Festivals nach, also einen der Orte, die die Hamas überfallen hat. Es sollen verbrannte Autos und zerschossene Toiletten zu sehen sein. In der Ausstellung geht um die persönlichen Geschichten der Angehörigen der Opfer und war unter anderem schon in New York, Tel Aviv und Buenos Aires zu sehen. Berlin ist die erste Station in Europa. Wir von der KNA werden natürlich auch von der Ausstellung berichten.
Das Interview führte Carsten Döpp.