Wie ein Theologiestudent in Israel lernt und den Konflikt erlebt

"Mitten im theologischen Herz"

Der Theologiestudent Moritz Weidt verbringt acht Monate in Jerusalem – mitten in einer Region voller Spannungen. Warum er sich trotz Sicherheitsbedenken für das Studienjahr entschieden hat und was ihn dort besonders bewegt.

Autor/in:
Ina Rottscheidt
Dormitio-Abtei auf dem Berg Zion in Jerusalem / © ArtMediaFactory (shutterstock)
Dormitio-Abtei auf dem Berg Zion in Jerusalem / © ArtMediaFactory ( shutterstock )

Am aufregendsten bei der Anreise seien nicht etwa die politische Lage oder die endlosen Sicherheitschecks bei der Einreise am Flughafen Ben Gurion gewesen, sondern der Versuch, ohne Internet mit dem Zug nach Jerusalem zu fahren. Mit Google Maps bewege er sich normalerweise auch an unbekannten Orten sicher, erzählt Moritz Weidt, aber mit seinem deutschen Handy hatte er bei der Ankunft kein Internet: "Das war dann ein Suchen und Durchfragen, bis ich an der Dormitio ankam", erinnert er sich: "Ein ziemliches Abenteuer!"

Moritz Weidt vor der Dormitio-Abtei in Jerusalem. / © Moritz Weidt (privat)
Moritz Weidt vor der Dormitio-Abtei in Jerusalem. / © Moritz Weidt ( privat )

Der 22-Jährige studiert evangelische Theologie an der Augustana-Hochschule in Neuendettelsau und verbringt seit September ein theologisches Studienjahr in Jerusalem. Acht Monate lang lebt er in der Dormitio-Abtei, der deutschsprachigen Benediktinerabtei auf dem Zionsberg, mitten in einem der geschichtsträchtigsten und zugleich konfliktreichsten Orte der Welt. Moritz kennt Israel. Vor einigen Jahren nahm er bereits an Ausgrabungen unter Leitung des bekannten deutschen Theologen und Archäologen Dieter Vieweger teil.

Raketenalarm gehört zum Alltag

Trotzdem fiel ihm die Entscheidung angesichts der aktuellen politischen Lage in Nahost nicht leicht. Seit dem Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober 2023 führt Israel Krieg im Gazastreifen. Als Militärs im Juni dieses Jahres auch noch Angriffe auf iranische Atomanlagen flogen, kamen Moritz Zweifel: "Meine Oma hat mich angerufen und gesagt: 'Schalte sofort die Nachrichten ein, da kannst du nicht nach Israel fahren!'" Doch er entschied sich dafür. Auch, weil er sich gut vorbereitet fühlte. Vom Deutschen Akademischen Austauschdienst gab es eine umfassende Sicherheitseinweisung.

Schon Monate vorher hatte er viel über die historischen und politischen Hintergründe des Konfliktes gelernt. "Und unsere Studienleitung geht sehr verantwortungsvoll mit dem Thema Sicherheit um. Wenn sich die Lage zuspitzt, würden wir auch zurückgeholt." Zweimal gab es bereits Raketenalarm, seit er in Jerusalem ist. "Man hat fünf Minuten Zeit, dann geht man runter in den Keller. Nach zehn Minuten ist es vorbei", sagt Moritz fast beiläufig. Für die Menschen vor Ort gehöre das zum Alltag. "Erschreckend wenig" bekomme man von der Eskalation mit. Vieles erfahre er erst über deutsche Nachrichten.

Im Zentrum der Weltreligionen

Viel mehr prägt ihn das, was er täglich erlebt. "Hier pulsiert das religiöse Leben auf den Straßen", schwärmt er. "Ich spüre, wie hier das theologische Herz schlägt." Besonders eindrucksvoll war für ihn das 'Slichot' - das jüdische Vergebungsgebet - am Vorabend des Versöhnungstages Jom Kippur, mit zehntausenden Jugendlichen an der Klagemauer: "Ein Moment, der Gänsehaut macht." Die ersten Wochen waren vollgepackt mit Vorträgen, Exkursionen, Begegnungen mit jüdischen und palästinensischen Stimmen sowie archäologischen Führungen. Der Studienalltag ist intensiv. Oft gehen die Tage von acht bis 18 Uhr. Auch die Themen sind keine leichte Kost: Theologie, Archäologie, interreligiöser Dialog, Nahost-Konflikt, dazwischen spirituelle Erfahrungen.

"Man liest biblische Texte anders, wenn man hier ist", sagt Moritz, der mal Pfarrer werden möchte. Geschichte werde greifbarer, aber manches entzaubere sich auch, gesteht er. Diese Erfahrung machte er in Nazareth, wo Jesus der Überlieferung nach aufwuchs: "Man stellt sich ein idyllisches Dorf vor und steht dann in einer lauten Betonstadt, wo überall Müll herumliegt." Ganz anders dagegen sein Eindruck von der Grabeskirche, die derzeit wegen der politischen Lage nicht so überfüllt ist, wie sonst: "Eine total schöne Stimmung", erinnert er sich: "Weniger Touristen, das Kerzenlicht, die Mönchsgesänge. Ein tiefer, stiller Moment. Das war wirklich besonders."

Nahost-Konflikt ist immer Thema

Der Nahost-Konflikt ist allgegenwärtig – auch im Studienprogramm. Moritz und seine Mitstudierenden hören Perspektiven von Israelis und Palästinensern. Sie erleben ganz unterschiedliche Narrative. "Jeder hat hier eine Meinung – nicht nur zur Lösung, sondern auch zur Entstehung des Konflikts", erzählt er. "Es ist kompliziert, aber genau deshalb wollen wir zuhören." Die Gruppe – zehn Studierende, katholisch und evangelisch – diskutiert viel und reflektiert gemeinsam. "Niemand ist auf seine Meinung festgenagelt, aber natürlich bringen alle ihre Perspektiven mit." Manchmal sei es emotional anstrengend, sagt Moritz. Dann brauche es auch mal Gespräche über Fußball oder Alltagsthemen – eine Atempause vom Dauerkonflikt.

Was er unbedingt noch während seines Aufenthaltes bereisen möchte, ist das Westjordanland. Wegen der vielen theologisch bedeutsamen Ausgrabungsstätten und natürlich, um die Geburtsstadt Jesu zu besuchen. Derzeit können er und seine Mitstudierenden wegen der Reisewarnung des Auswärtigen Amtes nicht dorthin. "Wir hoffen, dass sich das in den kommenden Monaten noch ändert", sagt Moritz. Seit vielen Jahren wandern die Mönche der Dormitio in der Heiligen Nacht betend und singend nach Bethlehem, begleitet von vielen Pilgern. Eine Tradition, die trotz des Krieges bislang weitergeführt wurde. Moritz Weidt hofft, dass das auch in diesem Jahr möglich sein wird. Weihnachten in der Geburtskirche in Bethlehem, das wäre sein größter Wunsch.

Quelle:
DR

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