35 Jahre nach der Wiedervereinigung sehen sich nach Einschätzung des Berliner Erzbischofs Heiner Koch viele Menschen in Ostdeutschland zu wenig anerkannt. "Eine Verletzung der eigenen Wertschätzung - das ist aus meiner Sicht das Hauptproblem für viele", sagte Koch in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur und des Portals katholisch.de.
"Dass die Menschen nicht genug geachtet worden sind, ist zweifelsohne das Grundübel." Der katholische Erzbischof warnte vor pauschalen Urteilen über Ostdeutschland: "Der Osten ist viel differenzierter als man denkt. Zumal viele Gegenden, das kann ich auch aus meinem Bistum sagen, westlich 'überformt' sind."
Sind Ostdeutsche undankbar?
Koch wies den Vorwurf zurück, viele Menschen in der ehemaligen DDR seien undankbar und wüssten nicht zu schätzen, wie gut es ihnen gehe: "Das erlebe ich so nicht. Ich bin fest davon überzeugt, dass die meisten diese Entwicklung zur Deutschen Einheit wollten und sie bis heute nicht bedauern." Stattdessen seien aber viele im Osten der Meinung: "Wir wollen uns von euch im Westen nicht vorschreiben lassen, wie wir leben und wie wir wählen sollen."
Nach Kochs Einschätzung wollen die meisten AfD-Wähler nicht, dass die rechtsextreme Partei in die Regierung kommt. Falls ein AfD-Ministerpräsident ins Amt käme, "müssen wir demokratisch damit leben", aber die Kirche werde nicht von ihren Überzeugungen abrücken. "Die werden wir dann erst recht hochhalten." Die Deutsche Bischofskonferenz warnte bereits mehrfach davor, die AfD zu wählen. Heiner Koch (71) stammt aus Düsseldorf. 2006 wurde er Weihbischof in Köln, 2013 Bischof von Dresden-Meißen und 2015 Erzbischof von Berlin.