DOMRADIO.DE: Wie bewerten Sie die humanitäre Situation im Gazastreifen nach der Bodenoffensive der israelischen Armee?
Dr. Josef Blotz (Großhospitalier bei den Maltesern): Die humanitäre Situation im Gazastreifen ist schon seit längerer Zeit besorgniserregend, nicht erst seit den jüngsten Ereignissen der vergangenen Tage. Das war auch der Grund dafür, warum der Lateinische Patriarch von Jerusalem, Kardinal Pizzaballa, den Großmeister des Malteserordens schon im März 2024 gefragt hat, ob wir in einer koordinierten Aktion helfen können. Dem haben wir gerne zugestimmt.
Seit Juli 2024 laufen vor allem Lebensmittelversorgungstransporte nach Gaza City. Es gibt dort eine katholische Gemeinde, die als Verteilungspunkt dient. Das läuft bis jetzt ausgezeichnet. Mittlerweile hat das Lateinische Patriarchat diese Lebensmittelversorgungen komplett von uns übernommen und wir konzentrieren uns neuerdings auf etwas ganz Neues: die Vorbereitung des Aufbaus einer kleinen Gesundheitsklinik in Gaza City.
DOMRADIO.DE: Das heißt also, auch bei der medizinischen Versorgung muss einiges getan werden? Wie engagieren Sie sich in dem Bereich?
Blotz: Hilfe ist in jeder Hinsicht erforderlich, in gewaltigen Maßstäben. Dem stellen wir uns gerne nach den Möglichkeiten, die wir haben. Bei der Gesundheitsversorgung geht es vor allem um die Vorbereitung des Aufbaus einer "Primary Healthcare Clinic", wie wir das auf Englisch nennen, also einer improvisierten, aber sehr funktionsfähigen kleinen medizinischen Einrichtung, wie ein kleines Hospital. Sie besteht aus vier voll ausgestatteten Containern, die mobil sind und dorthin gebracht werden können, wo der Bedarf gegeben ist.
Im Moment ist es allerdings so, dass aufgrund der Sicherheitslage und der täglich wechselnden politischen und militärischen Lage ein Aufbau noch nicht möglich ist. Wir sind aktuell im Stand-by. Die Container stehen zur Verfügung und wir warten auf grünes Licht, um die Einrichtung aufzubauen.
DOMRADIO.DE: Wie kann man überhaupt noch unter diesen erschwerten Bedingungen Hilfe leisten?
Blotz: Im Moment ist es besonders schwierig und man kann es auch nicht erzwingen. Im Übrigen gilt es auch, verantwortlich gegenüber unseren Mitarbeitern zu handeln. Unsere Mitarbeiter wurden vor allem lokal rekrutiert. Für diese kleine Klinik haben wir in Gaza einen Arzt, Krankenschwestern und ausgebildetes Personal unter Vertrag genommen. Man kann nicht einfach ungeachtet der durchaus gegebenen Risiken weiter voranschreiten. Deshalb muss man jetzt – so bitter es ist – auch noch ein bisschen Geduld aufbringen.
DOMRADIO.DE: Welche Bedeutung haben Hilfsorganisationen wie die Malteser in dieser Situation?
Blotz: Ich denke, dass jede Hilfe – auch in großem Maßstab – gebraucht wird: im Bereich Lebensmittelversorgung und Gesundheitsversorgung. Langfristig sprechen wir sicherlich auch von der Notwendigkeit eines umfangreichen Wiederaufbaus. Ob die Malteser da helfen können, wird sich zeigen. Wir gehen Schritt für Schritt vor und überfordern uns und diejenigen, die vor Ort auf unsere Hilfe warten, nicht. Ich hoffe, so wie alle anderen Vertreter von Hilfsorganisationen, dass die Lage sich so entwickelt, dass wir die Hilfe wirklich an den Mann bringen können.
DOMRADIO.DE: Aktuell sind Sie in Polen, denn auch in der Ukraine wird Hilfe dringend benötigt. Sie waren zuvor in Lwiw. Von wo aus wird die Hilfe der Malteser in den Krisengebieten organisiert?
Blotz: Unter anderem von Lwiw aus, ich war aber auch in Kiew und in Iwano-Frankiwsk. Insgesamt sind die Malteser in der Ukraine an 74 verschiedenen Orten aktiv. Und es handelt sich um ein großes Spektrum von Engagement. Zum Beispiel geht es um die posttraumatische Versorgung und Betreuung von Kindern, von Kriegswaisen, aber auch von verletzten Soldaten. Es geht um die Beschaffung und die Anpassung von Prothesen für verwundete Soldaten, um die Versorgung mit Lebensmitteln und Bedarf aller Art und so weiter.
Das ist ein riesengroßes Spektrum und es gelingt deswegen besonders gut, weil die Malteser schon seit 1991 in der Ukraine aktiv sind. Wir haben schon begonnen nachhaltige Strukturen aufzubauen, da war von den Entwicklungen, wie wir sie heute sehen, noch nicht die Rede.
Man kann sagen, dass die Ukraine ein Modellfall ist, bei dem die Malteser rundum mit einem guten Netzwerk anpacken. Ich habe nicht nur die Einrichtungen des Ordens besucht, sondern auch Gespräche auf Regierungsebene geführt, zum Beispiel mit dem stellvertretenden Außenminister der Ukraine oder mit der stellvertretenden Ministerin für soziale Entwicklung, Familie und Gesundheit der Ukraine. Es kommt eben darauf an mit Partnern zusammenzuarbeiten, sodass man den größtmöglichen Effekt erzielen kann.
DOMRADIO.DE: Die Situation im Nahen Osten und der Ukraine scheint zurzeit hoffnungslos. Wie gelingt es Ihnen zuversichtlich in die Zukunft zu blicken und sich auch in Ihrem Einsatz für die Malteser zu motivieren?
Blotz: Ich stimme Ihnen nicht zu, dass das alles hoffnungslos ist. Hoffnung gibt es immer. Wenn Sie den Menschen in die Augen sehen, denen wir helfen – ich denke hier an die jungen Soldaten, die schwer verwundet wurden, die Gliedmaßen verloren haben und denen wir mit Prothesen und psychosozialer Betreuung helfen – und sich nach relativ kurzer Zeit schon wieder Hoffnung auf den Gesichtern erkennen lässt, weil sie gut betreut werden, dann gibt das auch uns Helfern viel Kraft und Hoffnung.
Und bei allem Realismus, der natürlich gefordert ist, können wir Zeichen dafür setzen, dass es eben nicht hoffnungslos ist. Die Menschen schauen durchaus nach vorne. Ich war vor zweit Tagen in Butscha, der Ortschaft in der Nähe von Kiew, die sehr schwer betroffen war. Selbst dort gibt es schon gute Ansätze dafür, wieder hoffnungsvoll auf die Zukunft zu setzen. Und dafür wollen wir den Menschen auch als Partner beistehen.
Das Interview führte Johannes Schröer.