Es war eine der kürzesten Amtszeiten der Papstgeschichte: Nur 33 Tage nach seiner Wahl, am 28. September 1978, starb Johannes Paul I. Dennoch oder vielleicht gerade deswegen beschäftigt Albino Luciani auch heute noch die Gemüter. Am 4. September 2022 sprach Papst Franziskus seinen beliebten Vorgänger selig.
Johannes Paul I. war der erste Papst, der einen Doppelnamen wählte. Auch sonst brach er mit vatikanischen Gepflogenheiten. Bislang sagten Päpste, wie bei Monarchen üblich, "Wir", wenn sie von sich sprachen. Johannes Paul I. sagte "Ich". Den tragbaren Papstthron benutzte er nur widerstrebend auf Drängen der Kurie. Und der Schweizergarde erließ er den bis dahin verpflichtenden Kniefall in Anwesenheit des Papstes.
Albino Luciani wurde am 17. Oktober 1912 in Forno di Canale – dem heutigen Canale d'Agordo – geboren, das in der Provinz und Diözese Belluno-Feltre liegt. Das erstgeborene der vier Kinder von Giovanni Luciani und Bortola Tancòn wurde noch am Tag seiner Geburt von der Hebamme zu Hause getauft.
Luciani stammte aus armen Verhältnissen. Sein Vater war Saisonarbeiter in Frankreich, Deutschland oder Österreich und kaum zu Hause. Sein Elternhaus im norditalienischen Forno di Canale, wo er am 17. Oktober 1912 zur Welt kam und mit drei Geschwistern und zwei Stiefschwestern aufwuchs, erinnert an "Don Camillo und Peppone": der Vater Mitglied der antiklerikalen Sozialisten, die Mutter strenggläubig.
Am 17. Oktober 1923 begann Albino Luciani seine Ausbildung am Priesterseminar von Feltre; 1928 trat er in das Seminar "Gregoriano" von Belluno ein. Am 10. Februar 1935 empfing er in der Kirche "S. Pietro" in Belluno die Priesterweihe.
Nach einer kurzen Zeit als Kaplan in Canale d'Agordo widmete er sich zwanzig Jahre lang am Priesterseminar von Belluno der Lehre der Dogmatik und des Kirchenrechts und - je nach Bedarf - auch anderen Disziplinen. Am 16. Oktober 1942 erwarb Luciani das Lizentiat in Theologie an der Päpstlichen Universität Gregoriana; 1947 machte er an derselben Universität seinen Doktor in dogmatischer Theologie.
Trotz der seit Kindertagen angeschlagenen Gesundheit machte Luciani, der am liebsten Dorfpfarrer geblieben wäre, Kirchenkarriere. "Ich hoffe, dass du, wenn du Priester wirst, auf der Seite der Armen stehst, denn Christus war auf ihrer Seite", schrieb ihm sein Vater in dem Brief, in dem er ihm die Erlaubnis zum Eintritt ins Priesterseminar erteilte.
Ein Leben in Demut
Am 15. Dezember 1958 wurde Albino Luciani zum Bischof von Vittorio Veneto ernannt. Am 27. Dezember empfing er im Petersdom von Johannes XXIII. die Bischofsweihe. Von 1959-1969 war er in der Seelsorge tätig. Sein Bischofsmotto "Humilitas" (Demut), das Luciani von den Heiligen Karl Borromäus und Augustinus entlehnt hatte - und das er zusammen mit den drei Sternen, die für Glaube, Hoffnung und Liebe stehen, in sein Wappen aufnehmen ließ -, ließ keinen Zweifel an der Ausrichtung seines Dienstes.
Albino Luciani suchte vor allem den direkten Kontakt zu den Gläubigen und hatte stets ein offenes Ohr für die sozialen Probleme seiner Region. Er forderte die aktive Beteiligung der Laien am Leben der Kirche und legte Wert auf eine gute Ausbildung des Klerus. Er zeichnete sich auch als Prediger aus. Während seines Episkopats nahm er an allen Sitzungen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) teil.
Am 15. Dezember 1969 wurde seine Ernennung zum Patriarchen von Venedig bekannt gegeben; am 5. März 1973 erhob ihn Paul VI. in den Kardinalsstand. In Venedig blieb Patriarch Luciani der Arbeitsweise und dem pastoralen Stil treu, den er schon in Vittorio Veneto praktiziert hatte. Noch im Juli 1978 sagte er, es sei ein Fehler gewesen, dass Papst Paul VI. ihn dazu berufen habe. Am 26. August wählten ihn die Kardinäle gar zu dessen Nachfolger. Er nahm den Doppelnamen "Johannes Paul I." an.
Schon die ersten Gesten seines Pontifikats ließen den ursprünglichen Charakterzug eines Lebensstils erkennen, der von Dienst und von evangeliumsgemäßer Einfachheit geprägt war. In seinem Dienst wollte er es seinem berühmten Vorgänger Gregor dem Großen nachtun, und zwar sowohl in seinem Amt als Lehrer als auch als Leiter und Seelsorger. Er ahmte Gregor den Großen in seinen Katechesen nach, die er an die Fähigkeiten der Zuhörer anzupassen wusste, was man an seinen vier Generalaudienzen sehen kann.
Spekulationen über frühen Tod
Ein theologischer Sturmgeist war Johannes Paul I. nicht. Er stand fest in der Tradition seiner Vorgänger. Wie er als Papst wirklich dachte, dafür geben 33 Tage Amtszeit wenig her. Für Spekulationen umso mehr. Sein früher Tod ließ Mutmaßungen ins Kraut schießen. Am späten Abend des 28. September 1978, nach knapp vierunddreißig Tagen Pontifikat, verstarb Johannes Paul I. plötzlich.
Am 29. September 1978 schob Schwester Vincenza Taffarel um 4.30 Uhr wie gewöhnlich ein Kännchen Kaffee ins Arbeitszimmer - und klopfte an der Schlafzimmertür. Als abermaliges Klopfen ohne Antwort blieb, öffnete sie und fand den Papst reglos im Bett sitzen. Johannes Paul I. hatte seine Brille auf, der Kopf hing leicht zur Seite. In seinen Händen hielt er einige Blätter; die Leselampe brannte. Herzversagen, so die Diagnose des Leibarztes Renato Buzzonetti. Als Todeszeitpunkt nahm er 23 Uhr an.
Laut später veröffentlichten Details klagte der Papst wenige Stunden vor seinem Tod über starke Schmerzen im Brustbereich, wollte aber keinen Arzt rufen lassen. Dies stützt die offizielle Darstellung über einen Herzinfarkt. Im Bericht von Leibarzt Buzzonetti für das vatikanische Staatssekretariat soll sich eine entsprechende Notiz über die Schmerzattacke befinden.
Er wurde am 4. Oktober 1978 in den Vatikanischen Grotten beigesetzt. Der Seligsprechungsprozess in der Diözese Belluno-Feltre wurde am 23. November 2003 eröffnet und am 9. November 2017 mit dem Dekret zur Verkündigung der heroischen Tugenden abgeschlossen.
Informationspannen und ein Thriller
Bald wurden allerdings Stimmen laut, die an einem natürlichen Tod zweifelten. Die Kurie habe den zu Reformen entschlossenen Papst beiseite schaffen wollen. Genährt wurden solche Spekulationen durch Informationspannen des Vatikans. So verheimlichte die offizielle Verlautbarung, dass Schwester Vincenza den toten Papst fand - offenbar weil diese Vorstellung nicht opportun erschien. Und statt eines Redeskripts sollte der Papst zur Todesstunde angeblich das Buch "Die Nachfolge Christi" gelesen haben.
Dieser Legende setzte der britische Autor David Yallop 1984 einen Thriller entgegen: "Im Namen Gottes?" Seine These: Johannes Paul I. starb durch vergiftete Medikamente. Hinter dem Mord sollen Machenschaften der Vatikanbank, der Mafia und der geheimnisvollen Loge "P2" gestanden haben. Das Buch erreichte eine Auflage von über sechs Millionen Exemplaren in 40 Sprachen.
"Zusammengebrochen unter einer Bürde"
Seriöse Historiker mochten Yallop allerdings nicht folgen. Vieles spricht dafür, dass Lucianis Konstitution den Herausforderungen des Amtes einfach nicht gewachsen war. Sein Privatsekretär sagte es so: "Er ist zusammengebrochen unter einer Bürde, die zu groß war für seine schmalen Schultern - und unter der Last seiner unermesslichen Einsamkeit."
Am 13. Oktober 2021 wurde das Dekret veröffentlicht, mit dem Papst Franziskus das der Fürsprache von Johannes Paul I. zugeschriebene Wunder zugunsten eines kleinen Mädchens aus der Erzdiözese Buenos Aires anerkannte, das von einer unheilbaren Gehirnkrankheit geheilt wurde.