DOMRADIO.DE: Welches Ausmaß hat die Katastrophe?
Veronika Staudacher (Caritas international): Die Zahlen, die wir haben, sind nur Schätzungen. Das gilt auch für die Angaben der De-facto-Autoritäten. Man geht im Moment von über 3.000 Verletzten aus. Die Weltgesundheitsorganisation geht von 12.000 Betroffenen insgesamt aus. Allgemein steigen die Zahlen jedoch mit fortschreitenden Rettungsarbeiten.
DOMRADIO.DE: Ist das Land in der Lage, die Situation zu bewältigen?
Staudacher: Es gibt für ein Erdbeben nie einen passenden Zeitpunkt, aber diese Katastrophe trifft Afghanistan zu einem wahrlich ungünstigen Zeitpunkt. Das Land ist von multiplen Krisen betroffen. Die Wirtschaftslage und die Menschenrechtssituation ist sehr schlecht.
Sehr viele Hilfsgelder wurden dieses Jahr bereits gestrichen. Es gibt zwei Flüchtlingskrisen von rückkehrenden Afghaninnen und Afghanen an beiden Grenzen zum Iran und in Pakistan. Dort wurden dieses Jahr bereits über zwei Millionen Menschen abgeschoben, die das System belasten.
Gleichzeitig gibt es viele Warnungen für eine anstehende Dürre. Das heißt, dass Land ist im Moment nicht in der Lage, die Bevölkerung für den kommenden Winter mit den eigens produzierten Nahrungsmitteln zu versorgen.
DOMRADIO.DE: Wo ist das Erdbeben passiert?
Staudacher: Besonders betroffen sind die Distrikte Chauki und Nurgal im Osten des Landes, nahe der Stadt Dschalalabad. Das ist eine sehr arme Region. Das große Problem ist, dass es an sich schon eine schwer zugängliche Region ist.
Durch das Beben ist die bereits kritische Infrastruktur betroffen, sodass es schwierig ist für Hilfeleistende, diese Regionen mit Fahrzeugen zu erreichen. Im Moment sind Hubschrauber im Einsatz. Das ist nicht der effektivste Weg, um möglichst schnell die Leute zu versorgen, die noch zu retten sind.
DOMRADIO.DE: Wie arbeiten Sie in dieser Situation mit Ihren Partnerorganisationen zusammen?
Staudacher: Wir arbeiten mit lokalen Partnerorganisationen zusammen, die in diesen Regionen tätig sind. Auch für die ist der Zugang erschwert. Wir koordinieren mit großen Hilfsorganisation und schauen im Moment, was möglich ist, um dort so schnell wie möglich hinzukommen und notwendige Hilfe zu leisten.
DOMRADIO.DE: Welche Hilfen brauchen die Menschen in den betroffenen Gebieten?
Staudacher: Am dringlichsten werden im Moment Notunterkünfte gebraucht. Die Menschen brauchen Zelte zum Schutz vor den kommenden Nächten, aber auch zum Schutz vor der brennenden Hitze am Tag. Es geht um Nahrungsmittelhilfen wie Lebensmittelpakete und Kindernahrung.
Ganz wichtig ist im Moment jedoch auch die medizinische Versorgung. Das betrifft sowohl Medikamente und Erste-Hilfe-Materialien, als auch die Versorgung der psychosozialen Gesundheit.
DOMRADIO.DE: Gibt es für die Verletzten genug Plätze in den Krankenhäusern?
Staudacher: Die Gesundheitsinfrastruktur ist in diesen Regionen sowieso schon an der Grenze. Große Krankenhäuser sind aus diesen entlegenen Distrikten schwierig zu erreichen. Es gibt im Moment auf keinen Fall genug Plätze für die Menschen in Krankenhäusern, geschweige denn die Möglichkeit für die Betroffenen in die Krankenhäuser zu kommen.
DOMRADIO.DE: Erschweren die Taliban die Arbeit der Hilfsorganisationen vor Ort?
Staudacher: In diesem Fall haben die Taliban direkt erste Maßnahmen eingeleitet. Sie leisten die Hilfe, die sie leisten können. Das ist nicht viel innerhalb der Kapazitäten, die das Land im Moment hat. Aber es werden uns gerade keine Steine in den Weg gelegt.
Im Gegenteil, es wird versucht, so viel wie möglich mit den internationalen Organisationen zu kooperieren und so viel Hilfe wie möglich direkt in diese Region zu lassen.
DOMRADIO.DE: Sind die Hilfeleistungen im Endeffekt nur Tropfen auf dem heißten Stein?
Staudacher: Es ist eine schwierige Situation. Gleichzeitig sind wir froh, dass wir als Caritas die Möglichkeit haben, wenigstens etwas zu tun und die wenige Hilfe, die wir leisten können, in dem Fall auch zu leisten.
DOMRADIO.DE: Was können Menschen in Deutschland tun?
Staudacher: Geld zu spenden ist das Sinnvollste. Das ist das, was wir dringend brauchen, um die Katastrophenhilfe hier zu leisten und die Menschen vor Ort zu unterstützen.
Das Interview führte Johannes Schröer.