Pfarrer Meurer hält Kommunalwahl für wichtigste Wahl in Deutschland

"Man muss an der Basis beginnen"

Der Kölner Sozialpfarrer Franz Meurer hält mit seiner politischen Meinung nicht hinterm Berg. Im Interview erklärt er, warum die kommende Kommunalwahl für ihn die wichtigste Wahl ist und wie man Demokratie in der Pfarrei lernt.

Autor/in:
Verena Tröster
Pfarrer Franz Meurer von der katholischen Kirchengemeinde St. Theodor und St. Elisabeth, Köln Höhenberg-Vingst (privat)
Pfarrer Franz Meurer von der katholischen Kirchengemeinde St. Theodor und St. Elisabeth, Köln Höhenberg-Vingst / ( privat )

Himmelklar: Sie sind seit 57 Jahren Mitglied der CDU.

Pfarrer Franz Meurer (Katholische Kirchengemeinde St. Theodor und St. Elisabeth, Köln Höhenberg-Vingst): Ja klar, bei uns gab es damals nur die CDU. Wo ich jetzt arbeite, sage ich manchmal aus Blödsinn, dass ich das jüngste CDU-Mitglied bin. 

Himmelklar: Passt die Arbeit der Partei immer zu Ihren Überzeugungen?

Meurer: Ich werde wenig von der CDU eingeladen. Ich werde oft von der Linken eingeladen. Ich werde auch von den Grünen und von der SPD  eingeladen. 

Die wollen dann etwas über christliche Soziallehre hören. Damit meinen sie das, was unser Papst als Namen genommen hat (Anmerkung der Redaktion: als Namens-Nachfolger von Papst Leo XIII. und dessen Verdienst um die katholische Soziallehre). 

Franz Meurer

"Die Soziallehre der Kirche ist rheinischer Kapitalismus."

Die Soziallehre der Kirche ist rheinischer Kapitalismus. Das heißt, ein Kapitalismus, der nicht nur die Shareholder, sondern auch die Stakeholder sieht, die die Arbeit machen. 

In Köln sagt man: "Ich loss dich nit em Riss" ("Ich lasse dich nicht zurück"). Das ist das Versprechen der Kommunalpolitik, dass man sich darauf verlassen kann. 

Franz Meurer

"Ich würde fast sagen, mehr Demokratie als Weihnachten kann man sich doch nicht vorstellen." 

Himmelklar: Wo genau ist Ihr Platz in der Partei? 

Meurer: Ich bin in der CDU bei den Sozialausschusslern. Wir Sozialausschussler sind, wenn man so will, viel linker als die meisten SPD-Leute und Grüne sowieso. Wir hätten nichts gegen Verstaatlichung, wenn es dem Menschen nützt. 

Dieses Denken vom Menschen her, inkarnativ, ist zutiefst theologisch begründet. Gott ist Mensch geworden. Der hat nicht irgendetwas heruntergebeamt, ein Programm geschmissen oder einen Blitz vom Himmel. Nein, der hat an unserem Leben teilgenommen. Das muss man nur mal bedenken. Ich würde fast sagen, mehr Demokratie als Weihnachten kann man sich doch nicht vorstellen. 

Himmelklar: Sie äußern sich gerne politisch. Das haben Sie immer getan. Es gibt auch viele, die machen das bewusst nicht. Warum gehen Sie mit Ihrer politischen Meinung raus? 

Meurer: Weil Mission herausgehen heißt, das ist überhaupt keine Frage. Die Basis der Kirche ist Diakonie, in unserer Kirche ist das auch wirklich so – auf über 800 Quadratmetern. 

Die Mitte ist Liturgie, dass wir Gottesdienst feiern, Gott die Ehre geben und ihn in den Mittelpunkt stellen. Die Auswirkung ist "Koinonia", die Gemeinschaft, Kirchencafé, dass man etwas zusammen macht und dass man die Räume allen zur Verfügung stellt. 

Und "Martyria" – Glaubenszeugnis – heißt, auf Anfrage zu sagen, welchen Beitrag wir Christen leisten können, wie wir uns eine gerechte Welt vorstellen, wie wir meinen, dass Kommunalpolitik sein muss. 

Himmelklar: Welche Themen sind Ihnen dabei die dringlichsten? 

Meurer: Zum Beispiel: "Housing First". Das ist wissenschaftlich nachgewiesen. Bevor man Obdachlosen, Drogensüchtigen und Menschen in Not mit allen möglichen Sachen wie Entschuldung, medizinischer Versorgung, Essen und Trinken hilft, hilft es zuerst mal, ein Obdach zur Verfügung zu stellen. Eine Verteilungsgerechtigkeit herzustellen, die auch klug ist, ist wichtig.

Wir gehen als Christen aber weiter. Wir sagen mit Amartya Sen, dem berühmten indischen Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften: Wir brauchen eine Ermöglichungsgerechtigkeit. Deswegen haben wir doch Kindergärten als Kirche. Wir sagen, dass alle Kinder die Chance haben müssen, zu lernen. Sie müssen Deutsch lernen können. Sie müssen in die Lage versetzt werden, überhaupt etwas aus sich zu machen. 

Ermöglichungsgerechtigkeit, nicht nur Chancengerechtigkeit, was ich als FDP-Mitglied sagen würde. Nein, als Christ muss ich sagen Ermöglichungsgerechtigkeit.

Himmelklar: In Ihren Gemeinden sind Sie zuständig für 23.000 Menschen. 4.000 davon beziehen Sozialleistungen. Stecken Sie diese Menschen mit Ihrer Leidenschaft, die Sie für die Kommunalpolitik mitbringen, an? 

Meurer: Das ist verschieden. Wichtig ist, dass wir was machen. Man muss an der Basis beginnen.

Wir machen zum Beispiel jeden Morgen an unserer Gesamtschule ein Frühstück. Der Leiter der Gesamtschule macht da mit. Wir finanzieren das über Spenderinnen und Spender. Wir haben das Schulcafé eingerichtet. 

Oder wenn wir eine multireligiöse Feier haben, zum Beispiel an den letzten Tagen vor Weihnachten, wird vom Imam aus dem Koran gesungen. Da singt aber auch a cappella der Lehrerinnenchor "Maria durch ein Dornwald ging". Da sind die Schüler völlig außer sich. Wir essen das Brot, wir leben vom Glanz, sagt Hilde Domin. Wir müssen es schön machen. Wo es arm ist, darf es nicht ärmlich sein. Das ist Kommunalpolitik. 

Himmelklar: Sie setzen sich für diese Menschen ein und Bundeskanzler Friedrich Merz spricht zeitgleich von mehr Sanktionen für Bürgergeldempfänger. Das Wort "Arbeitspflicht" geistert da herum. Reiben Sie sich daran? 

Franz Meurer

"Es ist doch gerade der Sinn einer Volkspartei, dass völlig verschiedene Sichten der Wirklichkeit zusammenkommen."

Meurer: Ich bin da persönlich relativ rigoros. Ich sage, wer arbeiten kann, wer fit ist, der soll auch irgendwas machen. Da müssen die Bedingungen aber gut sein. 

Es ist doch gerade der Sinn einer Volkspartei, dass völlig verschiedene Sichten der Wirklichkeit zusammenkommen. Was aber diese Parteien, die SPD und auch die Grünen verbindet, ist doch, dass wir sagen: Wir wollen es nach demokratischen Regeln organisieren. Das ist der entscheidende Faktor. 

Franz Meurer

"Manchmal muss man, um dem Gesetz und der Gerechtigkeit zu genügen, gegen das Gesetz handeln." 

Himmelklar: Sie haben mal Wahlplakate der AfD abgehängt. Wieso haben Sie das gemacht? 

Meurer: Das habe ich aus Gründen der Demokratie gemacht. Eine türkische Frauengruppe, mit der ich Ausflüge gemacht habe, fragte mich, ob ich meine Meinung geändert hätte. Ich fragte, warum? Da fragten sie, ob ich nicht vor meiner Kirche die Plakate gegen die Großmoschee gesehen hätte. Da bin ich herumgefahren und habe gesehen, dass die in ganz Köln waren. Die hatten die Plakate schlauerweise so hoch gehängt, dass man sie nicht sieht, wenn man als Radfahrer nur auf die Straße guckt. 

Dann blieb mir nichts anderes übrig, als ein Signal zu setzen und die Plakate abzuhängen. Dann musste ich vor Gericht und Strafe zahlen, weil es Diebstahl war. 

Wenn Sie so wollen, können Sie das mit dem fünften Buch der Nikomachischen Ethik wieder glattbügeln. Manchmal muss man, um dem Gesetz und der Gerechtigkeit zu genügen, gegen das Gesetz handeln. 

Das Interview führte Verena Tröster. 

Himmelklar: Der katholische Podcast

Kirche? Was hat die mir im 21. Jahrhundert überhaupt noch zu sagen? Viel. Schönes wie Schlechtes, Relevantes wie Banales, Lustiges und Wichtiges. Wir stellen euch jede Woche Menschen vor, die heute Kirche bewegen. Bischöfe, Politiker, Promis und Laien – Wir reden mit den Menschen aus Kirche und Gesellschaft, über die die katholische Welt spricht und fragen sie: Was bringt euch Hoffnung?

Himmelklar (DR)
Himmelklar / ( DR )
Quelle:
DR

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