Giovanni Maria Mastai-Ferretti lenkte von 1846-1878 als Papst Pius IX. die Geschicke der katholischen Kirche. 2000 wurde er seliggesprochen, doch bleibt er eine der umstrittenen Figuren der jüngeren Kirchengeschichte.
Gleich mehrere Stolpersteine, so meinen Historiker, liegen auf dem Weg der Heiligmäßigkeit jenes Mannes, der als Hoffnungsträger der Liberalen begann und als entschiedener Kämpfer gegen den Liberalismus starb. Da sind etwa die Festschreibung des päpstlichen Primats und der Unfehlbarkeit in Fragen der Glaubens- und Sittenlehre beim Ersten Vatikanischen Konzil 1869/70, die vielen der Konzilsbischöfe als nicht opportun erschien und die bis heute Haupthindernisse für die Ökumene sind. Da ist der "Syllabus errorum": 80 Sätze, in denen Pius IX. 1864 "Irrtümer" der Zeit verdammte, darunter Kommunismus und Liberalismus, aber auch Menschenrechte wie Gewissens- und Pressefreiheit. Wenig im frühen Werdegang des Konzilspapstes deutete auf ein solch restauratives Wirken hin.
Kindheit und Jugend
Giovanni Maria Mastai-Ferretti wurde am 13. Mai 1792 hineingeboren in eine Familie des geistig aufgeschlossenen italienischen Landadels. "Giovannino der Gute", so nannten sie ihn als Kind in Senigallia, Provinz Ancona, wo er geboren wurde. Lebendig und verspielt wie alle Kinder, sammelte er jedoch jeden Freitagnachmittag große und kleine Leute auf dem Platz rund um das Kreuz, um ihnen vom Evangelium zu erzählen.
Er begann seine Ausbildung bei den Schulpianern, war ein regelmäßiger Beicht- und Kommunionempfänger, bis er mit 17 Jahren beschloss, Priester zu werden und nach Rom zog, um am Collegio Romano zu studieren.
Ruf als Liberaler
Nach seiner Priesterweihe 1819, für die er wegen regelmäßiger epileptischer Anfälle eine Dispens benötigte, wurde der so Ehrgeizige wie musisch Begabte 1827 -mit nur 35 Jahren- Erzbischof von Spoleto und 1832 Bischof von Imola. Dort erwarb er sich wegen seines auf Ausgleich bedachten Wirkens einen Ruf als "Liberaler" - der freilich den politischen Ideen des Liberalismus überhaupt nicht nahe stand.
1840 wurde er Kardinal. Als Hoffnungsträger für mehr kirchliche Offenheit wurde er im Juni 1846 von den italienischen Kardinälen zum Papst gewählt - ohne allerdings überhaupt die Ankunft der ausländischen Wähler abzuwarten.
Aufstand und Exil
32 Jahre lang war Pius IX. Papst – länger als irgendein anderer Papst der Kirchengeschichte. Zu Beginn seines Pontifikats galt er als liberal, als Bischof hatte er sich den Ruf eines eifrigen Seelsorgers erworben. Doch dann kamen die Probleme: Die langen Jahre, in denen Pius IX. die Kirche regierte, waren Jahre großer politischer Umwälzungen in Italien. Dort hatte sich der nationale Gedanke nach französischem Vorbild zu formen begonnen.
Diesem Einigungsprozess stellte sich der Papst in einem wichtigen Punkt entgegen. Er weigerte sich, den Kirchenstaat aufzugeben. Bis dahin war der Papst zugleich weltlicher Herrscher nicht nur über den Vatikan, sondern auch über einige umliegende Teile Italiens wie Umbrien, Latium und die Marken. Diese im Herzen Italiens gelegenen Regionen sollten natürlich auch Teil des neuen italienischen Königreiches werden. Pius IX. aber bestand darauf, seine Herrschaftsrechte für seine Kirche zu erhalten. Das führte 1848 zum Aufstand in Rom. Pius IX. musste ins Exil nach Gaeta fliehen, während in Rom die Römische Republik von Mazzini ausgerufen wurde, die die weltliche Macht des Papstes für verfallen erklärte.
Dogma der Unbefleckten Empfängnis Mariens
Historisch kann es als geistliche Reaktion auf diesen Verlust an Einfluss gesehen werden, dass Pius IX. 1854 das Dogma der Unbefleckten Empfängnis Mariens verkündete. Diese Lehre war nicht wirklich neu; sie stieß innerhalb der Kirche auf breite Anerkennung. Neu und umstritten war allerdings, dass der Papst aus sich heraus eine Lehre als unfehlbar, also nicht hinterfragbar oder ablehnbar, verkündet hatte. Durfte ein Papst das? Hat er diese Vollmacht? Für ein auf das Jahr 1870 einberufenes Konzil war diese Frage zunächst nicht vorgesehen, wurde schließlich aber doch auf die Tagesordnung gebracht. Auf dem Konzil wurde heftig diskutiert: Ein Teil der Bischöfe lehnte die Unfehlbarkeit des Papstes ab, ein anderer Teil – etwa der damalige Regensburger Bischof Ignatius von Senestréy – trat entschieden dafür ein. Das Konzil beschloss die Unfehlbarkeit letztlich mehrheitlich, eine Reaktion war allerdings die Abtrennung der altkatholischen Kirche.
1850 kehrte Pius IX. mit Hilfe katholischer Fürsten und französischer Intervention zurück. Von dort aus erlebte er die Ausrufung des Königreichs Italien 1861 und Rom, das 1871 zur Hauptstadt Italiens wurde.
Erstes Vatikanische Konzil und Dogma der Unfehlbarkeit
Am 8. Dezember 1869, unter dem Schutz der Jungfrau, eröffnete Papst Pius IX. das Erste Vatikanische Konzil, das Bischöfe aus aller Welt in Rom versammelte. 1870, mit der Pastor Aeternus, legte er das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes fest, wenn er ex cathedra lehrt, als Lehrer des Glaubens und des christlichen Lebens mit der Autorität, die ihm Christus verliehen hat. Er sah sich immer mehr mit einer Welt konfrontiert, die immer moderner wurde und auch immer moderner dachte.
Statt den Dialog mit den Wissenschaften zu suchen, verurteilte er in seinem "Syllabus errorum" bestimmte Ideen seiner Zeit – darunter auch einige grundlegende Menschenrechte, die für uns heute selbstverständlich sind. Nicht zuletzt deshalb ist Pius IX. wohl einer der umstrittensten Päpste der Kirchengeschichte, der schließlich im Jahr 1878 überraschend verstarb.
Widerstände gegen die Seligsprechung
Als ihn Papst Johannes Paul II. 2000 seligsprach, führte das zu deutlichem Widerspruch. Auch die jüdischen Gemeinde protestierte, da Pius IX. die Zwangstaufe eines jüdischen Kindes für gut befunden hatte. Das Zweite Vatikanische Konzil sollte weniger als hundert Jahre nach Pius IX. nicht nur die Religionsfreiheit anerkennen, sondern auch seine Wertschätzung für das jüdische Volk betonen. Die Lehren, die Pius IX. aus seiner Sicht so gut wie möglich formuliert hatte, wurden damit einer deutlich veränderten Welt angepasst.
Johannes Paul II. betonte dagegen einen anderen Aspekt im Wirken des Papstes Pius IX. für die Geschichte der Kirche. In seiner Predigt bei der Seligsprechung pries er ihn als ein Vorbild dafür, an der Offenbarung Christi auch in schwierigen Zeiten festzuhalten. Er unterstrich dabei auch die Bedeutung des Ersten Vatikanischen Konzils für die Lehre der Kirche.