DOMRADIO.DE: Während wir bei uns in Deutschland und Europa feststellen, dass die Kirchenbindung in vielen Bereichen mehr und mehr schwindet, entwickelt sich die Gesellschaft in den USA in eine andere Richtung. Gerade bei jungen Leuten stellt man seit der Pandemie mehr Interesse an Glaube und der katholischen Kirche fest. Woran merkt man das vor Ort? Sieht man zum Beispiel mehr junge Leute im Gottesdienst?
Rainer Maria Kardinal Woelki (Erzbischof von Köln): Auf jeden Fall. Man sieht dort viele junge Leute und junge Familien. Der Glaube ist hier eine wahre Realität und er wird lebendig gelebt. Nicht nur im Gottesdienst, sondern auch darüber hinaus in zahlreichen verschiedenen kleinen Gemeinschaften, die sich hier gebildet haben.
Das Glaubensleben wird bewusst seitens der Diözesen intensiviert und es wird bewusst eine Berufungspastoral in den Pfarreien initiiert. Das geht oft von den Bischöfen aus, aber auch diejenigen, die in der Leitung einer Diözese sind, unterstützen die Bischöfe darin sehr.
Das ist sicherlich etwas, was ich für unsere Diözesen lernen kann, dass wir wirklich schauen müssen, wie es gelingt, ein Programm für eine Neu-Evangelisierung aufzulegen. Wie es gelingen kann, stärker das Glaubensleben zu intensivieren und wie wir wieder mutig sprechen und darum beten können, dass auch in unseren Gemeinden Berufungen wachsen.
DOMRADIO.DE: Deswegen haben Sie gesagt, dass Sie gerade am Nationalen Kongress der Berufungspastoral (NCDVD) in den USA teilnehmen. Wie sieht das im Konkreten aus: Was wird da für junge Leute gemacht? Gibt es da Gemeindeabende, Veranstaltungen oder wie kann ich mir das vorstellen?
Kardinal Woelki: Es ist zunächst so, dass hier 170 Diözesen vertreten sind. Das ist ein riesengroßer Kongress. Die Idee ist, dass man sagen muss: "train the trainer", also dass auch diejenigen, die in der Berufungspastoral tätig sind, immer eine entsprechende Inspiration brauchen.
Es geht um Vernetzung untereinander. Es sind 60 neue Priester hier, die jetzt neu in die Berufungspastoral von ihren Bischöfen hineingestellt worden sind. Auf dieser Konferenz gibt es unter anderem Psychologinnen und Psychologen, die die Trainer dahingehend trainieren, wie die Situation von Jugendlichen ist.
Welche sind die großen Lebensfragen? Wie gehen wir mit diesen Lebensfragen um? Wie können wir Jugendlichen helfen, eine Antwort aus dem Glauben zu finden? Wie können wir neue Jugendliche für den Priesterberuf, für die Ordensberufungen oder für Berufungen zur Ehe gewinnen und sie dafür sensibilisieren?
Es ist ein sehr breites und umfassendes Feld und entsprechend ist die Berufung in einem sehr weiten Sinn gefasst. Der Schwerpunkt liegt auf Priesterberufungen, da die Kirche Priester braucht. Ohne Priester kann sie nicht leben. Aber natürlich brauchen wir auch gute Eheleute und gute Familien. Auch das wird hier im Blick gehalten.
DOMRADIO.DE: Jetzt haben Sie sich in Köln dazu entschlossen, sogenannte pastorale Schwerpunkte zu setzen, also kirchliches Leben dort zu fördern, wo Neues entstehen kann. Wenn Sie das mit dem vergleichen, was Sie in den USA sehen, sehen Sie sich da in diesem Ansatz bestätigt?
Kardinal Woelki: Ja, auf jeden Fall. Das war gestern Abend ganz interessant. Ich hatte den Eröffnungsgottesdienst und die Eröffnungspredigt und danach war ein großes Zusammenkommen. Interessant war, dass die amerikanischen Diözesen, die anders organisiert sind als die deutschen, große Priorisierungsprogramme auflegen müssen und sehr sensibel mit Blick auf die Finanzierung der verschiedenen Aktivitäten in den Diözesen sein müssen.
Aber überall hört man: Wir sparen nicht in der Berufungspastoral. Das ist die Zukunft von uns und von unseren Diözesen. Es ist ein Investment in junge Menschen. Es ist ein Investment in den Glauben, der in die nächste Generation weitergegeben werden muss.
Deshalb haben wir in unserer Diözese die Berufungspastoral zu einem Schwerpunkt erklärt. Da soll ebenfalls nicht gespart werden, weil es ein Invest in unsere Zukunft des Erzbistums Köln ist.
DOMRADIO.DE: Ihre Reise geht jetzt in den nächsten Tagen zu Ende. Abseits von dem, was wir angesprochen haben. Was nehmen Sie als Erkenntnis, als Auftrag oder als Wunsch mit nach Hause?
Kardinal Woelki: Erst einmal etwas von der Lebendigkeit der Kirche in Amerika zu lernen und vielleicht bei uns zu implementieren. Eine weitere Stärkung der Berufungspastoral, eine Stärkung des Glaubenslebens. Dann, was mich total beeindruckt, ist, dass bei den Bischöfen hier, die ich getroffen habe, überall diözesane Visionen vorhanden sind.
Wenn ich zum Beispiel an das Gespräch mit Bischof Parkes in St. Petersburg denke: ein mutiges, lebendiges Leben des Evangeliums, Stärkung der Berufung und des Glaubenslebens. Alle Diözesen haben zudem sehr starke soziale Aspekte. In den Priesterseminaren geht es um eine kultursensible Ausbildung, weil sich hier der Klerus und die Bevölkerung aus sehr vielen Hispanics, also lateinamerikanischen Christen, zusammensetzen.
Alle Diözesen haben aus der Karibik und Lateinamerika, aber auch aus Kanada Berufungen und Priester, die hier leben. Das ist etwas, was wir, glaube ich, für Köln lernen können, wo wir sehr viele Nationen in unserem Erzbistum haben. Gerade die Gemeinden der IKS, der Internationalen Katholischen Gemeinschaft, wachsen sehr stark. Das wäre natürlich toll und großartig, wenn wir aus diesen Gemeinschaften Berufungen gewinnen würden, so wie die Amerikaner das hier gezielt tun.
Denn die meisten derjenigen, die aus Italien, Portugal, Polen, Kroatien, Indien oder Japan zu uns kommen, haben eine große Gemeinde hier und werden bei uns in Köln bleiben. Deshalb wäre es gut, wenn wir sie mit ihren Glaubenserfahrungen stärker in unsere Diözese und in eine Priesterausbildung integrieren können.
Das ist hier in den USA, soweit ich das sehe, eigentlich sehr gut gelungen. Was mir außerdem noch von großer Wichtigkeit war, ist die starke sozial-caritative Arbeit, weil hier so viele Migranten in Not sind. Wir haben täglich die vielen Obdachlosen in den Nachrichten in Deutschland. Die Bischöfe und die Diözesen leisten tolle Arbeit für diese Menschen. Dennoch ist es erschreckend zu sehen, wie viele Menschen hier auf den Straßen liegen und übernachten müssen.
Aber die Bischöfe haben in den USA "Homeless People Camps" eingerichtet, Zentren der Hoffnung, wo Menschen ein neues Zuhause bekommen, wo sie von Alkohol und Drogen herunterkommen und wo man dann Programme auflegt, damit sie wieder in Arbeit kommen und eine eigene Wohnung dann wieder bekommen und so in die Gesellschaft integriert werden können. Das sind ganz wunderbare Projekte, die ich hier kennengelernt habe.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.