Theologe sieht in Bibel verantwortungsvolles Mensch-Tier-Verhältnis

Haustiere verwöhnen, Nutztiere verspeisen?

Das Europäische Parlament hat im Sommer einen Gesetzentwurf angenommen, der erstmals EU-weite Mindeststandards für die Unterbringung und Zucht von Katzen und Hunden festlegt. Was sagt die Bibel über das Tier-Mensch-Verhältnis aus?

Autor/in:
Annika Weiler
Viel Liebe für Haustiere, aber sieht es bei "Nutz"-Tieren aus? / © el-ka (shutterstock)
Viel Liebe für Haustiere, aber sieht es bei "Nutz"-Tieren aus? / © el-ka ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Welche Verantwortung ergibt sich denn aus dem biblischen Schöpfungsauftrag im Umgang mit Haustieren, besonders bei Themen wie Qualzucht oder Verstümmelung?

Rainer Hagencord, Theologe und Biologe, sowie Leiter des Instituts für Theologische Zoologie / © Lars Berg (KNA)
Rainer Hagencord, Theologe und Biologe, sowie Leiter des Instituts für Theologische Zoologie / © Lars Berg ( KNA )

Dr. Rainer Hagencord (Theologe und Biologe, Leiter des Institutes für Theologische Zoologie e. V. in Münster): Wenn man die Bibel aufschlägt, stellt man fest, dass schon auf den ersten Seiten in den Schöpfungserzählungen das Mensch-Tier-Verhältnis reflektiert wird. Wenn das Ganze als Auftakt für alle weiteren theologischen Ausführungen, Gottesfrage, christliche Ethik verstanden werden muss, dann ist das Mensch-Tier-Verhältnis ein zentrales Element in christlicher und auch darüber hinausgehender Theologie. Papst Franziskus hat das vor zehn Jahren in seiner Enzyklika "Laudato si'" sehr stark und sehr tief entfaltet.

DOMRADIO.DE: Gibt es in der christlichen Tradition oder Theologie ein Verständnis von Würde oder Mitgeschöpflichkeit für Tiere und wie wirkt sich das auf die Haustierhaltung aus?

Hagencord: Es ist im Grunde die Überschrift über allem. Den Begriff "Mitgeschöpflichkeit" findet sich so in der Bibel noch nicht. Wenn man genauer hinschaut, wie das Mensch-Tier-Verhältnis durchdekliniert wird – und das ist unsere Aufgabe hier im Institut für Theologische Zoologie – dann stellen wir sehr schnell eine dreifache Beschreibung dieses Mensch-Tier-Verhältnisses fest. 

Rainer Hagencord, Priester und Zoologe

"Der Mensch kann offenbar nicht im Frieden leben, weder mit seinesgleichen noch mit den Tieren."

Das Erste, das ist die ethische Dimension. Die zweite ist die partnerschaftliche und die dritte ist die mystische Dimension. Im Grunde ist eine Erzählung in der Bibel hochaktuell, nämlich die der Arche-Noah-Erzählung. In dieser Erzählungen, in diesem Mythos, wenn man so will, verbirgt sich dieses indigene Wissen einer agrarischen Kultur. 

Da ist zunächst für Theologen und Theologinnen der Hinweis sehr spannend, dass da von einem Gott die Rede ist, der sich ärgert, den es reut, dass er überhaupt den Menschen geschaffen hat. Denn der Mensch kann offenbar nicht im Frieden leben, weder mit seinesgleichen noch mit den Tieren. 

Das ist der Auftakt dieser Schöpfungserzählung, die man im Grunde als Schöpfung 2.0 beschreiben kann. Dann finden wir diesen großartigen Noah, diese Gestalt des Friedens, der diesen Frieden eben mit allen Geschöpfen lebt. 

Die Arche Noah im Nachbau (anf)
Die Arche Noah im Nachbau / ( anf )

Der zweite Aspekt, der in dieser Geschichte aufleuchtet, ist, dass auf die Arche alle sollen, also von jeder Art ein Paar. Da ist nicht die Rede von den niedlichen und den nützlichen. Das heißt, die Tiere sind mit uns in einem Boot, das ist die partnerschaftliche Dimension. 

Die dritte Dimension, die mystische, leuchtet am Ende auf, wenn vom Regenbogen die Rede ist. Da werden sich viele erinnern. Gott hat diesen Regenbogen in die Wolken gesetzt, um an den Bund zu erinnern. Dieser Bund ist ein Bund zu dritt. Die Tiere sind auch Bündnispartner Gottes und somit kommt von ihnen so etwas wie Segen zu uns. Das ist die mystische Dimension des Mensch-Tier-Verhältnisses.

Rainer Hagencord, Priester und Zoologe

"Offenbar haben wir hier das Recht auf möglichst viel billiges Fleisch etabliert."

DOMRADIO.DE: Halten Sie gesetzliche Regelungen allein für ausreichend, oder glauben Sie, es braucht auch einen kulturellen und ethischen Wandel im Denken über Tiere wie Hunde und Katzen?

Hagencord: Ein Anthropologe hat mal gesagt, dass es in unserer Kultur nur noch zwei Kategorien von Tieren gibt. Die einen verwöhnen wir mit Haustierfutter und die anderen werden dazu verarbeitet. Damit ist eine sehr deutliche Diagnose gefällt worden. Das eine ist die juristische Dimension, die ist sehr wichtig. 

Das zweite ist die Bewusstseinsveränderung. Das ist unsere Arbeit im Institut für Theologische Zoologie. Ich glaube, dass das grundlegend ist, um eine Gesetzgebung im Bewusstsein der Menschen zu verankern. Wenn wir weiterhin auf der einen Seite die sogenannten Haustiere verwöhnen und tätscheln und natürlich finde ich es wunderbar, dass da Gesetze jetzt stattfinden, um nicht eine Verzweckung der Tiere zu zementieren.

Halbe Schweine hängen in einem Schlachthof an Haken / © Mohssen Assanimoghaddam (dpa)
Halbe Schweine hängen in einem Schlachthof an Haken / © Mohssen Assanimoghaddam ( dpa )

Aber auf der anderen Seite sind die sogenannten Nutztiere und da finden wir immer noch ein Tierschutzgesetz, das im Grunde dafür sorgt, dass die Tiere an die Systeme angepasst werden und nicht das System an die Tiere. 

Das heißt, hier werden weiter Schnäbel kopiert, Schwänze abgeschnitten, Antibiotika gegeben. Offenbar haben wir hier das Recht auf möglichst viel billiges Fleisch etabliert. Das heißt, es braucht in allen Feldern der Tierhaltung klarere Gesetzgebungen.

DOMRADIO.DE: Wie kann die Kirche heute zu einem bewussteren Umgang mit Tieren beitragen, auch im Spannungsfeld zwischen dieser Tierliebe und dem Konsumverhalten?

Hagencord: Ich sehe da mindestens zwei Bereiche, in denen die Kirchen eine enorme Macht haben. Der erste Bereich ist der der Bildung. Viele Kinder und Jugendliche sind noch in kirchlichen Schulen und haben Religionsunterricht. 

Hagencord: "Eine ökologische Spiritualität, wie der Papst sie nennt, ist jetzt dringend dran." (shutterstock)
Hagencord: "Eine ökologische Spiritualität, wie der Papst sie nennt, ist jetzt dringend dran." / ( shutterstock )

Wie viele Kinder und Jugendliche gehen noch zur Erstkommunion oder zur Firmung oder zur Konfirmation. Hier sehe ich inzwischen ganz viele Bestrebungen von Lehrerinnen oder auch Katechetinnen, das Thema "Mensch-Tier-Verhältnis" zu etablieren. Das Zweite ist die Macht der Kirche sowohl über die Kantine als auch über Flächen. 

Hier in Münster sind fast alle Altenheime und viele Krankenhäuser in kirchlicher Trägerschaft. Das heißt, hier hat die Kirche bei der Auswahl der Lebensmittel enorme Macht. Da gilt es, die fleischliche Ernährung zurückzuschrauben, beziehungsweise, wenn Fleisch angeboten wird, dann welches aus Bioland- oder Demeter-Kriterien. 

Das Zweite: Im Osten gibt es schon Bestrebungen von Kirchen, die sagen, dass keine Tierfabriken mehr auf Kirchenland stehen dürfen. Also die Macht der Kirchen in diesen beiden Sektoren ist schon enorm und die könnte noch viel stärker auch genutzt werden. 

Das Interview führte Annika Weiler.

Enzyklika "Laudato si"

Klimawandel, Artenvielfalt, Trinkwasser: Diese Themen bestimmen die Umweltenzyklika von Papst Franziskus. Er wendet sich damit an "alle Menschen guten Willens" - und erklärt, warum eine ökologische Umkehr auch soziale Gerechtigkeit bedeutet. Papst Franziskus hat die reichen Industrienationen zu einer grundlegenden "ökologischen Umkehr" aufgefordert, um globale Umweltzerstörung und Klimawandel zu stoppen.

Deutsche Ausgabe der Enzyklika "Laudato si" / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Deutsche Ausgabe der Enzyklika "Laudato si" / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )
Quelle:
DR

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