DOMRADIO.DE: Warum war es ihnen wichtig, nach Taybeh zu fahren?
Joachim Lenz (Evangelischer Propst von Jerusalem): Es gab eine Reihe von Angriffen und danach regelrechte Hilferufe von den Kirchen und den Menschen, die dort leben.
Wir haben gesagt, die Menschen dort sollen wissen, dass sie nicht vergessen sind. In der letzten Woche war der neue Bischof der evangelischen Kirche in Deutschland fürs Ausland, Frank Kopania, im Heiligen Land.
Ein Antrittsbesuch hat nicht geklappt, weil die Straße nach Taybeh gesperrt war. Ich bin dann als EKD-Repräsentant im Heiligen Land zu einem nachgeholtem Solidaritätsbesuch geschickt worden.
Außerdem wollen wir bei den Menschen sein und für die Menschen Werbung machen. Wir wollen von ihnen erzählen. Die, die da leben, fühlen sich doppelt bedroht. Einmal, weil sie Palästinenser sind, und weil sie Christenmenschen sind.
DOMRADIO.DE: Welche Spuren der jüngsten Übergriffe haben Sie gesehen?
Lenz: Die alte St. Georgskirche, die angezündet worden ist. Ich habe die Kapelle in der Kirche gesehen, das Gelände außen, die Brandspuren sozusagen. Ich habe den Journalisten Jeries Azar dort besucht, dem ist das Auto verbrannt worden, mit verbrannten Kindersitzen drin.
Als ich durch den Ort geführt wurde, habe ich von meinem Gastgeber Jeries gehört, ich solle mich nicht wundern, wenn die Menschen mir ins Gesicht gucken. Da ist viel Verunsicherung und Angst, was vorher mal anders war. Es waren Spuren in jeder Hinsicht.
DOMRADIO.DE: Sie haben vor Ort verschiedene Gespräche geführt. Mit wem konnten Sie reden?
Lenz: Zum einen mit dem Ehepaar Azar, Jeries und Celina. Das ist ein griechisch-orthodoxes Ehepaar mit einem zweijährigen Söhnchen, Charbel. Ihnen wurde das Auto angezündet und sie sind dann aus ihrem Haus geflohen.
Mutter und Kind trauen sich nach vier Wochen immer noch nicht zurück, weil sie sich unsicher fühlen.
Ich habe auch den römisch-katholischen Pfarrers des Ortes, Bashar Fawadleh, besucht. Er erzählte vor allem von dem, was trotz allem immer noch an Arbeit, ob kirchlich, sozial oder karitativ, möglich ist.
DOMRADIO.DE: Was hat Sie besonders bewegt? Welche Gedanken waren präsent, als Sie vor Ort waren?
Lenz: Wenn man in ein verbranntes Auto reingreift, da etwas rausholt und fragt, was es ist und als Antwort bekommt, das es das verbrannte Spielzeugauto für den kleinen Charbel ist, dann ist der Eindruck von unfassbarem Hass, der da gewirkt hat, klar.
Auf der anderen Seite hat der Journalist ein Ersatzauto bekommen. Das Leihauto wird ihm von der römisch-katholischen und der Melkitischen Griechisch-katholische Kirche, gestellt. Da funktioniert Ökumene. Die Menschen helfen sich wirklich gegenseitig.
Es hat mich bewegt, zu wissen, dass Taybeh nur ein Beispiel für die bedrückende Gesamtsituation im Heiligen Land ist. Wir haben den Nahost-Konflikt hoffentlich in seiner Vielschichtigkeit im Blick.
Es gibt die schrecklichen Bilder aus Gaza oder von den Geiseln der Hamas in den Tunneln. Aber zum großen Problem gehört auch das Leid der Menschen im Westjordanland. Das wollen wir und dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren.
DOMRADIO.DE: Welche Eindrücke von diesem Besuch werden bleiben? Überlegt man weiter auch nach Lösungen?
Lenz: Zum einen bleibt der Eindruck, dass es dort eine unfassbare Not der Menschen gibt, die wir kaum wahrnehmen. Sie wünschen sich Unterstützung. Der deutsche Außenminister ist vor drei Wochen da gewesen.
Diplomatische Hilfe ist gefordert, um die Besatzungsmacht Israel dazu zu bringen, die Einwohnerinnen und Einwohner im Westjordanland zu schützen.
Zum anderen gibt es die große Freude über einen Krankenbesuch. Eine kranke Stadt und mindestens an der Seele kranke Menschen freuen sich über Besuche und über Unterstützung.
Was Geld angeht, habe ich erlebt, dass das in den griechischen, orthodoxen, römisch-katholischen oder melkitischen Kirchen für die Menschen eingesetzt wird. Deswegen weiter unterstützen, hingucken und mitbeten.
Das Interview führte Dagmar Peters.