Theologe Söding verteidigt Einmischung der Kirche im Richter-Streit

"Die Politik profitiert davon"

Der Streit um die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf hält auch nach deren Rückzug von der Bewerberliste für das Bundesverfassungsgericht an. Die Rolle der Kirchen in der Debatte wird dabei nach wie vor viel diskutiert.

Bundesverfassungsgericht / © Uli Deck (dpa)
Bundesverfassungsgericht / © Uli Deck ( dpa )

Der katholische Theologe Thomas Söding hat das Recht der Kirchen verteidigt, sich in Debatten um juristische und ethische Grundsatzfragen einzumischen.

In einem Gastbeitrag der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Montag) schrieb er: "Aufgabe der Theologie ist es nicht, sich aus dem öffentlichen Diskurs der Politik und der Jurisprudenz zurückzuziehen, sondern nachzuweisen, dass und wie die Kirchen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit fördern, die Menschenwürde verteidigen, die Menschenrechte begründen, der Gerechtigkeit dienen (...)"

Thomas Söding / © Harald Oppitz (KNA)
Thomas Söding / © Harald Oppitz ( KNA )

Mehrere Politiker hatten den Kirchen in den vergangenen Wochen vorgeworfen, mit Kritik an Richternominierungen für das Bundesverfassungsgericht ihre Kompetenzen zu überschreiten. Anlass war der Streit um die gescheiterte Wahl der designierten Verfassungsrichterin Frauke Brosius-Gersdorf. 

In der Debatte hatten sich auch Kirchenvertreter zu Wort gemeldet und Positionen der Juristin zu Lebensrecht und der Menschenwürde teils scharf kritisiert. Söding lehrt Neues Testament an der Ruhr-Universität Bochum und ist Vizepräsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.

"Die Gesellschaft profitiert davon"

Zur Rolle der Kirchen in moralischen und juristischen Grundsatzdebatten führte Söding aus: "Es ist eine uralte Tradition, das Menschsein nicht an Eigenschaften festzumachen, nicht an Intelligenz, Status, Geschlecht oder Religion, sondern am Menschsein selbst, theologisch: an der Bejahung durch Gott, der Leben schenkt und erhält. Diese Glaubensüberzeugung muss in den Kirchen - durch Theologie - immer wieder bedacht und vermittelt werden; die Gesellschaft hat darauf einen Anspruch, die Politik profitiert davon."

Die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf am 15. April 2024 in Berlin, während sie den Abschlussbericht der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin vorstellte. / © Britta Pedersen (dpa)
Die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf am 15. April 2024 in Berlin, während sie den Abschlussbericht der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin vorstellte. / © Britta Pedersen ( dpa )

Die Entscheidung konservativer Abgeordneter, Brosius-Gersdorf abzulehnen, verteidigte Söding in seinem Beitrag ebenfalls und erinnerte an die im Grundgesetz garantierte Religionsfreiheit. Er schrieb: "In derselben Konsequenz kann es aber auch Abgeordneten nicht verwehrt werden, sich bei parlamentarischen Abstimmungen in Gewissensfragen auf das zu beziehen, was ihnen ihr Glaube sagt. Der Schutz des ungeborenen Lebens war, ist und bleibt der empfindlichste Punkt, an dem der Staat seine Aufgabe zu erfüllen hat, die Menschenwürde zu schützen und Rechtsfrieden zu garantieren."

In seinem Beitrag erinnerte Söding auch daran, dass bereits Horst Dreier, der Lehrer der nun abgelehnten Juristin, im Jahr 2008 als Verfassungsrichter abgelehnt wurde. Auch Dreier habe damals die Meinung vertreten, "dass der Staat dem Embryo keine Menschenwürde zuerkennen solle".

Bundesverfassungsgericht

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wacht über die Einhaltung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland. Seit seiner Gründung im Jahr 1951 hat das Gericht dazu beigetragen, der freiheitlich-demokratischen Grundordnung Ansehen und Wirkung zu verschaffen. Das gilt vor allem für die Durchsetzung der Grundrechte. Zur Beachtung des Grundgesetzes sind alle staatlichen Stellen verpflichtet. Kommt es dabei zum Streit, kann das Bundesverfassungsgericht angerufen werden. Seine Entscheidung ist unanfechtbar. An seine Rechtsprechung sind alle übrigen Staatsorgane gebunden.

Außenansicht Bundesverfassungsgericht / © Harald Oppitz (KNA)
Außenansicht Bundesverfassungsgericht / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA