DOMRADIO.DE: Mitte Juli hat Bischof Wiesław Mering im polnischen Wallfahrtsort Częstochowa eine Predigt gehalten, in der er gegen Deutsche gerichtete Verse eines Gedichts zitiert hat. Das hat in Polen zu großer Kritik geführt, die bis heute anhält. Können Sie erklären, was da passiert ist?
Michał Szułdrzyński (Chefredakteur der polnischen Tageszeitung "Rzeczpospolita"): Die Aussagen von Bischof Mering sind wirklich sehr problematisch. Um sie einordnen zu können, muss man vor allen Dingen zwei Punkte bedenken: Zum einen ist Mering emeritierter Bischof von Włocławek und weil er sozusagen im Ruhestand ist, nicht mehr Mitglied der Polnischen Bischofskonferenz. Er kann sich also sehr frei äußern und ist nicht an die Veröffentlichungen oder Standpunkte der Bischofskonferenz gebunden.
Zum anderen hat er seine problematische Predigt im Kloster Jasna Góra gehalten, wo sich das Gnadenbild der Schwarzen Madonna von Częstochowa befindet.
DOMRADIO.DE: Ein besonderer Ort im kulturellen Gedächtnis Polens.
Szułdrzyński: Ganz genau, denn Jasna Góra ist der bedeutendste Wallfahrtsort Polens und eng mit der Unabhängigkeit unseres Landes verbunden. Er steht seit vielen Jahrhunderten für die besondere Beziehung der Polen zur Gottesmutter.
Mering predigte bei einer Wallfahrt der Familie von Radio Maryja, einer Bewegung von großer religiöser, aber auch politischer Bedeutung. Radio Maryja hat eine besondere Nähe zu konservativen Parteien bis hin zur extremen Rechten. Diese Bewegung hat lange Jahre die Regierung der nationalkonservativen PiS-Partei unter Jarosław Kaczyński unterstützt. Deshalb waren bei den Wallfahrten der Familie von Radio Maryja meistens der Premierminister und viele Mitglieder der Regierung anwesend.
Daher kann man sagen, dass es immer auch eine wichtige politische Veranstaltung war, nicht nur eine religiöse. Das ging sogar so weit, dass Politiker von PiS während des Gottesdienstes gesprochen haben und die Bischofskonferenz deshalb mit einer Veröffentlichung klarstellen musste, dass das nicht erlaubt ist. Nichtsdestotrotz ist aber klar, dass ein Großteil des polnischen Episkopats Radio Maryja stark unterstützt.
DOMRADIO.DE: Bei dieser Wallfahrt hat sich Mering anti-deutsch geäußert. Warum?
Szułdrzyński: Ich denke, was Bischof Mering über Deutsche gesagt hat, ist als Teil des Narrativs rechter Parteien über die aktuelle Lage Polens zu verstehen. Denn Mering hat in seiner Predigt vor allem gegen die aktuelle Regierung von Donald Tusk gewettert und sie als korrupteste Führung des Landes aller Zeiten beschrieben – was natürlich eine maßlose Übertreibung ist. So etwas darf ein Bischof einfach nicht von sich geben.
Zudem muss man wissen, dass Mering auf ein heimlich aufgezeichnetes und danach veröffentlichtes Telefonat zwischen Tusk und seinem Anwalt angespielt hat. Darin bezeichnete sich der Premierminister in einem Witz als Deutscher. Das hat Mering kritisiert. Seine anti-deutschen Äußerungen sind also in erster Linie gegen unseren polnischen Premierminister gerichtet und nicht gegen Deutschland.
DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielte dabei die Situation an der deutsch-polnischen Grenze, an der inzwischen Beamte beider Länder Kontrollen eingerichtet haben?
Szułdrzyński: Mering stimmte in seiner Predigt ausdrücklich in die Kritik nationalkonservativer Politiker gegen Deutschland ein, die sich auf die Kontrollen und Rückführungen von Flüchtlingen an der Grenze bezieht. In diesem ganzen Zusammenhang zitierte Mering den polnischen Dichter Wacław Potocki aus dem 17. Jahrhundert mit einem Vers, der sagen will, dass Deutsche und Polen niemals Brüder sein können.
Natürlich ist das eine gegen Deutsche gerichtete Aussage, aber es war vor allem Merings Art, sich in eine aktuelle und sehr kontroverse politische Debatte einzuschalten – und zu zeigen, dass er auf der Seite der PiS-Partei steht.
Das Problem dabei ist aus meiner Sicht, dass es keine Predigt war, sondern eine rein politische Ansprache anstelle einer Predigt. Teilweise war sie sogar gegen die Lehre der Kirche gerichtet, wenn man etwa an seine Aussagen zu Flüchtlingen denkt.
DOMRADIO.DE: Gab es Reaktionen auf die Predigt von Mering aus der Kirche in Polen?
Szułdrzyński: Der Erzbischof von Wrocław, Józef Kupny, setzte auf der Plattfom "X" einen Post ab, in dem er Mering kritisierte. Er verwies auf die gemeinsame Botschaft der polnischen und deutschen Bischöfe aus dem Jahr 1965, in dem sie sich zur Aussöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg bekannten.
Auch Kardinal Grzegorz Kardinal Ryś, der Erzbischof von Łódź meldete sich zu Wort, allerdings nur indirekt. Er ließ in den Gottesdiensten in seinem Bistum einen Brief verlesen, in dem er kritisierte, dass in der Öffentlichkeit schlecht über Flüchtlinge gesprochen wird. Er bezeichnete den Glauben als etwas für alle Menschen und lehnte eine nationalistische Interpretation des Christentums ab. Man könne nicht Katholik sein und andere Menschen und Länder herabwürdigen, so Ryś.
DOMRADIO.DE: Gibt es denn auch Bischöfe, die die Meinung ihres Mitbruders Mering teilen?
Szułdrzyński: Davon muss man stark ausgehen. Ich denke, deshalb gab es auch keine Stellungnahme der Bischofskonferenz zu den Äußerungen von Bischof Mering. Es gab allerdings eine außergewöhnliche Reaktion des polnischen Außenministeriums: Der polnische Botschafter beim Heiligen Stuhl wurde angewiesen, eine offizielle Beschwerde der Regierung gegen Mering bei Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin im Vatikan einzulegen. Das hat es so bisher noch nie gegeben.
DOMRADIO.DE: Vor einigen Tagen hat sich auch die deutsche Minderheit in Polen wegen der Predigt von Bischof Mering zu Wort gemeldet. Welche Bedeutung hat diese Minderheit?
Szułdrzyński: In der vorherigen Regierung unter der Führung von PiS wurde die deutsche Minderheit einiger Sonderrechte beraubt. Zum Beispiel gab es viele Jahre meist zwei Abgeordnete der deutschen Minderheit im polnischen Parlament. Sie benötigten zwar entsprechend viele Stimmen für einen Platz, waren aber von der Hürde von 5 Prozent für Parteien ausgenommen. Nach einer Gesetzesänderung gibt es aktuell aber keinen Abgeordneten der deutschen Minderheit mehr im Sejm. Das zeigt, dass ihre Bedeutung also immer geringer wird und die nationalkonservative Regierung auf Kosten der deutschen Minderheit Identitätspolitik betrieben hat.
DOMRADIO.DE: Ist der Konflikt um die Predigt von Bischof Mering weiterhin aktuell?
Szułdrzyński: Er ist inzwischen etwas abgeebbt, aber ich denke, die Auseinandersetzung weist vor allem auf ein wachsendes Problem der katholischen Kirche in Polen hin. Ein Teil der Kirche wendet sich immer mehr den rechten Parteien zu und wird eindeutig nationalistischer.
Ähnliche Konflikte werden von Zeit zu Zeit also immer wieder aufkommen. Gleiches gilt für die ganze Gesellschaft: Die öffentliche Debatte verschiebt sich stetig weiter nach rechts. In Polen sind zudem immer mehr Menschen unzufrieden damit, wie Deutschland sein eigenes Problem mit der Migration zu lösen versucht, weil sie glauben, dass es zu Lasten der Polen geht. Ich fürchte, das wird zu immer größeren Spannungen zwischen unseren beiden Ländern führen.
Das Interview führte Roland Müller.