"Wenn ich über Dominus Iesus mit meinen Studierenden spreche, dann tue ich das tatsächlich im Sinne eines historischen Dokumentes. Wenn wir heute mit Abstand drauf gucken, regen wir uns nicht mehr drüber auf", sagt Johanna Rahner. Die Lehrstuhlinhaberin für Dogmatik, Dogmengeschichte und Ökumenische Theologie an der Universität Tübingen kann mit dem vatikanischen Dokument heute ganz entspannt umgehen. Aber von vorne.
Als die vatikanische Kongregation für die Glaubenslehre unter Kardinal Joseph Ratzinger am 6. August 2000 die Erklärung "Dominus Iesus. Über die Einzigkeit und die Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche" veröffentlichte, sorgte sie für eine Welle der Empörung.
Grund dafür sei eine im Wortlaut anstößig klingende Denkform, "nämlich die Unterscheidung zwischen Kirchen im eigentlichen und im nicht eigentlichen Sinne", erklärt Theologin Rahner im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Weil deutlich gewesen sei, dass nur die orthodoxen Kirchen des Ostens als Kirchen im eigentlichen Sinne bezeichnet wurden, sei klar gewesen, dass die Kirchen des Westens - und damit die Kirchen der Reformation - mit dem abwertend klingenden Begriff "im nicht eigentlich Sinne" umschrieben worden sind.
Vatikanum neu interpretiert
Auch katholische Theologinnen und Theologen reagierten empört - und zwar nicht nur aus Sorge um die ökumenischen Beziehungen: Der von Kardinal Ratzinger maßgeblich verfasste Text habe als Begründung dieser Unterscheidung aus den Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) eine Differenzierung herausgelesen, "die dort nicht so drin stand".
Im Gegenteil, sagt Rahner: Ein Blick in die Textgeschichte zeige, dass diese Auslegung von der Mehrheit der Konzilsväter ausdrücklich nicht gewollt worden war. Diesen sei es nachweislich um eine Öffnung in Richtung Ökumene gegangen. Dominus Iesus liefere stattdessen eine Abgrenzung. "Man kann fast schon von einer Ratzingerschen Interpretation bestimmter Passagen des Konzils sprechen, die eigentlich mit dem Originalsinn wenig zu tun hatten."
Das habe die katholische Theologie belastet: "Wenn Sie nicht mal das Konzil im Original mehr zitieren können, sondern Schwierigkeiten kriegen, weil eine bestimmte Interpretation des Textes, die nicht unbedingt dem Text entspricht, für die Geltende gehalten wird, dann ist das für in der Theologie arbeitende Menschen sehr schwierig."
Abgrenzend statt wohlwollend
Rückblickend schätzt Rahner die gesamte Argumentationsstruktur des Dokuments als "schwierig" ein: Die Kriterien, die die eigene Kirche kennzeichneten, würden als Maßstäbe für andere angelegt. Anhand eigener Selbstaussagen eines sehr eng geführten katholischen Kirchenbegriffs werde entschieden, ob andere "die Latte reißen". Das sei keine "wohlwollend offene ökumenische Hermeneutik, sondern eine exklusive".
Auch das Verhältnis der katholischen Kirche zum Judentum wurde durch das Dokument auf die Probe gestellt: So behandelte Dominus Iesus die Beziehung der Kirche zum Judentum genauso wie andere interreligiöse Beziehungen. Dabei habe sich das Konzil ausdrücklich dafür entschieden, die Beziehung zum Judentum als besonders anzusehen: "Das Judentum gehört nicht zu den anderen, sondern gehört in unsere eigene Identität hinein", so formuliert es die Theologin.
Entschärfung durch Kardinal Kasper
Kardinal Walter Kasper, der zeitgleich Präfekt des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen war, konnte zumindest den ökumenischen Konflikt etwas entschärfen: Er habe von "Kirchen in unterschiedlicher Art und Weise" gesprochen, erinnert Rahner. Das bedeute, jeder bestimme das Kirche-Sein auf seine eigene Art und Weise. So lasse sich der Kirchenbegriff unterschiedlich füllen und die abwertend klingende Floskel von "eigentlich und uneigentlich" werde vermieden.
Die Tatsache, dass Kardinal Kasper als für den Einheitsrat zuständiger Amtskollege Ratzingers, in die Entstehung von Dominus Iesus nicht eingebunden war, zeigt laut Rahner eine "etwas seltsame Vorgehensweise".
Die Frage nach dem Warum
Nicht nur die Entstehungsgeschichte des Dokuments ist ungewöhnlich: Dominus Iesus thematisiert hauptsächlich die Haltung der katholischen Kirche zu den nichtchristlichen Religionen. "Wenn man das Ganze in einem Duktus durchliest, hat man den Eindruck, dass diese beiden Paragrafen, in denen es um die Ökumene geht, gar nicht so richtig in dieses Dokument reinpassen", analysiert die Professorin. Ihre Einschätzung: "Man hätte die beiden Passagen einfach weglassen können und hätte diesen ökumenischen Ärger nicht provozieren müssen."
Einige Jahre später habe man das Dokument als Versuch interpretiert, nach dem sehr entgegenkommenden und wertschätzenden Dokument "Communio Sanctorum", zwischen dem Lutherischen Weltbund und dem Einheitssekretariat, "die katholischen Kanten einzuschärfen". Unterm Strich habe Dominus Iesus der Ökumene, offenen Gesprächen und offener Forschung nicht gut getan.
Nachwirkungen eines schwierigen Dokuments
Dominus Iesus ist laut Rahner "ein insgesamt schwieriges Dokument, das man heute, mit dem Abstand von 25 Jahren, als eine Ratzingersche Hermeneutik (Art der Textauslegung) bezeichnen kann". Diese finde in der Breite der katholischen Theologie nur in bestimmten Kreisen Resonanz. Andere hielten sich näher an den Konzilstext.
Papst Franziskus habe, wie es seine Art gewesen sei, durch Handlungen und Gesten Wertschätzung gegenüber anderen Konfessionen ausgedrückt. In der evangelisch-lutherischen Kirche in Rom habe er pastorale Signale gesetzt, indem er der Gemeinde - ebenso wie allen katholischen Gemeinden, die er besuchte - eine Patene und einen Kelch mitgebracht habe. Das zeige auf symbolische Weise eine Wertschätzung des lutherischen Gottesdienstes und Kirche-Seins. Diese Haltung von Franziskus entspricht laut Rahner der Grundhaltung des Konzils.
Nachdem die Wellen der Empörung über Dominus Iesus mit den Jahren abebbten, wurden die Diskussionen um das Dokument auf das reduziert, was sie nach Rahners Meinung sind: "eine theologische Fachdiskussion." In den vergangenen zehn Jahren sei die wertschätzende Grundeinstellung des Konzils in den ökumenischen Diskurs zurückgekehrt.
Aktuelle Herausforderungen
Aktuell sieht Rahner die Ökumene vor ganz anderen Herausforderungen: "Wenn Dominus Iesus heute käme - ich glaube, da würde man sich nicht empören. Da wäre nur Staunen, und man würde sagen: Mein Gott, haben die Probleme." Denn in den vergangenen zwei Dekaden hätten sich die Blickpunkte verschoben - weg von konfessionskundlichen Differenzmarken zu Themen wie Eucharistieverständnis, Amtsverständnis und Kirchenverständnis, hin zu globalen und konkreten gesellschaftlichen Herausforderungen. Heute lauteten die Fragen: "Was heißt Christsein in einer säkularen Gesellschaft? Und: Wie trägt man die Botschaft gemeinsam weiter?"
Die Theologin erwartet, dass Papst Leo XIV. eher auf die großen Linien setzen und Ökumene als gemeinsames Handeln angesichts der globalen Herausforderung priorisieren wird. Bezogen auf die besondere ökumenische Situation in Deutschland, mit der äquivalenten Mischung der Konfessionen, kann sie sich vorstellen, dass der Papst die Ortskirchen "einfach mal Dinge für sich machen lässt". So dass man auf Ebene der Ortskirchen im konkreten Zusammenarbeiten eine Ökumene lebe, die "sowieso schon da" sei.