In seiner Predigt hat sich Domkapitular Hans-Josef Radermacher mit dem Gebet beschäftigt, besonders beim Evangelisten Lukas. Das Evangelium nach Lukas sei bekannt für seine detaillierten Darstellungen von Gebetsmomenten, wie etwa bei Zacharias und Elisabeth. Radermacher betonte, dass das Gebet eine Unterbrechung des Alltäglichen sei und dem Alltag Richtung und Orientierung gebe. Es bringe die größeren Möglichkeiten Gottes ins Spiel, was zu Wundern führen könne. Besondere Aufmerksamkeit widmete der Domkapitular dem Vaterunser. Er verwies auf die Komplexität der Bitte darum, dass Gottes Wille geschehe.
Radermacher betonte die Wichtigkeit des hinhörenden Betens und das Erkennen von Gottes Sprache in alltäglichen Zeichen und Begegnungen. Dabei zog er Parallelen zur ignatianischen Spiritualität, die den Prozess der Unterscheidung der Geister stark macht, bei dem der Einzelne ein immer feineres Gespür für Gottes Willen entwickelt. Echtes Beten sei ein Ausdruck der vollständigen Ausrichtung auf Gott.
Evangelium am 17. Sonntag im Jahreskreis C: Lk 11,1-13
Jesus betete einmal an einem Ort; als er das Gebet beendet hatte, sagte einer seiner Jünger zu ihm: Herr, lehre uns beten, wie auch Johannes seine Jünger beten gelehrt hat! Da sagte er zu ihnen: Wenn ihr betet, so sprecht: Vater, geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Gib uns täglich das Brot, das wir brauchen! Und erlass uns unsere Sünden; denn auch wir erlassen jedem, was er uns schuldig ist. Und führe uns nicht in Versuchung!
Dann sagte er zu ihnen: Wenn einer von euch einen Freund hat und um Mitternacht zu ihm geht und sagt: Freund, leih mir drei Brote; denn einer meiner Freunde, der auf Reisen ist, ist zu mir gekommen und ich habe ihm nichts anzubieten!, wird dann der Mann drinnen antworten: Lass mich in Ruhe, die Tür ist schon verschlossen und meine Kinder schlafen bei mir; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben? Ich sage euch: Wenn er schon nicht deswegen aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, so wird er doch wegen seiner Zudringlichkeit aufstehen und ihm geben, was er braucht.
Darum sage ich euch: Bittet und es wird euch gegeben; sucht und ihr werdet finden; klopft an und es wird euch geöffnet. Denn wer bittet, der empfängt; wer sucht, der findet; und wer anklopft, dem wird geöffnet. Oder welcher Vater unter euch, den der Sohn um einen Fisch bittet, gibt ihm statt eines Fisches eine Schlange oder einen Skorpion, wenn er um ein Ei bittet?
Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisst, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist denen geben, die ihn bitten.
(© Ständige Kommission für die Herausgabe der gemeinsamen liturgischen Bücher im deutschen Sprachgebiet)
Auslegung zum Sonntagsevangelium von Peter Köster
Irgendwo unterwegs erleben die Jünger Jesus im Gebet. Diese Erfahrung beeindruckt sie so tief, dass in ihnen der Wunsch geweckt wird, auch so beten zu können. Einer äußert dann die Bitte: "Herr, lehre uns beten!"
Auf die Sehnsucht der Jünger nach einer ähnlich innigen persönlichen Beziehung zu Jahwe, wie sie ihnen an Jesus aufgeleuchtet ist, antwortet er mit einem Gebet. Er nimmt sie damit gleichsam in sein eigenes Gottesverhältnis hinein. Diese einzigartige Ich-Du-Beziehung kommt in der Anrede "Vater" zum Ausdruck. Jahwes Wirklichkeit, die Jesus "Vater" nennt, umfasst auch die mütterliche und weibliche Seite Gottes. Alles genuin Väterliche und Mütterliche hat in Gott seinen Ursprung.
Die Anrede vermittelt einerseits familiäre Nähe, andererseits ehrfürchtige Distanz, ein Gespür, dass Gott Geheimnis ist. Sie sammelt das Herz des Beters, sein ganzes Sein auf dieses "Du" wie in einem Brennpunkt und führt ihn über sich selbst hinaus.
Peter Köster SJ (Theologe, geistlicher Lehrer, * 1936), aus: Ders., Das Lukas-Evangelium – Orientierung am Weg Jesu. Eine geistliche Auslegung auf fachexegetischer Grundlage, 148, © EOS Verlag, St. Ottilien 2004