Dikasterium für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse im Porträt

Wenn der "Advokat des Teufels" mitmischt

Im Sommer stellt DOMRADIO.DE gemeinsam mit Radio Vatikan die Institutionen des Heiligen Stuhls vor. Die Aufgabe des Dikasteriums für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse steckt bereits im Namen. Was prägt das Dikasterium noch?

Autor/in:
Mario Galgano und Stefan von Kempis
Unterlagen zum Seligsprechungsverfahren / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Unterlagen zum Seligsprechungsverfahren / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

Wie ist die oberste Vatikanbehörde für Selige und Heilige entstanden?

Sie gehört zu den ältesten Organen der römischen Kurie: Papst Sixtus V. hat im 16. Jahrhundert die sogenannte Heilige Ritenkongregation eingerichtet. Zu deren Aufgaben gehörte auch die Durchführung der Verfahren für Heiligsprechungen. 

Die Verfahren gab es schon länger, wir haben bereits Beispiele aus dem 13. Jahrhundert: Die hl. Ordensgründer Franz von Assisi und Dominikus wurden damals von Päpsten heiliggesprochen, der erste 1226 – das war nur zwei Jahre nach Franziskus‘ Tod –, der zweite 1234, gleichfalls wenige Jahre nach dem Tod. Klar war schon damals, dass nur der Papst als Haupt der Weltkirche Heiligsprechungen verbindlich durchführen konnte. 

Nach dem II. Vatikanischen Konzil hat Papst Paul VI. die Ritenkongregation sozusagen in zwei Teile gespalten. Daraus entstanden die Kongregationen für Liturgie und eben die für eine Selig- und Heiligsprechung. 

Johannes Paul II., der in seinem Pontifikat über 480 Heiligsprechungen vorgenommen hat, zeichnete dann 1983 für eine Reform des Verfahrens für Selig- und Heiligsprechungen verantwortlich, vor allem wurde die Dauer des Prozesses erheblich verkürzt. Und Papst Franziskus sorgte schließlich mit einer Finanzreform dafür, dass die Verfahren erschwinglich bleiben, auch für nicht so gut betuchte Antragsteller.

Wie wird man denn nach katholischen Massstäben selig oder heilig?

Zunächst ist erforderlich, dass jemand nach seinem Tod im Ruf der Heiligkeit steht. Dann muss der zuständige Ortsbischof bzw. der zuständige Orden oder die entsprechende katholische Gemeinschaft ein Verfahren aufnehmen. Das ist die sogenannte diözesane Phase. Dabei werden Zeugen gehört, die Schriften des Heiligkeitskandidaten gesammelt, mögliche Wunder unter die Lupe genommen. 

Wenn dieses Dossier fertig ist, geht es nach Rom, wird dort genau geprüft und im Erfolgsfall – wir reden hier von Prozessen, die jahre- oder sogar jahrzehntelang dauern! – schließlich in einer Sitzung der Mitglieder des Dikasteriums, der Kardinäle und Bischöfe, eingebracht. Das letzte Wort hat dann der Papst, dem der Präfekt, also der Leiter des Dikasteriums, die verschiedenen Fälle zur Genehmigung vorlegt. 

Sind all diese Hürden überwunden, kann zunächst eine Seligsprechung vorgenommen werden, das heißt, der Kult wird lokal erlaubt. Für eine Heiligsprechung, die dann universal gilt, wird nochmal ein ganz neues Verfahren geführt.

Wie sieht die Bilanz des Heiligen-Dikasteriums in diesen 56 Jahren seit seiner "Neugründung" durch Paul VI. aus?

Bis 2020 – das sind die Zahlen, die mir jetzt vorliegen – hat es 3.003 Seligsprechungen gegeben und 1.479 Heiligsprechungen. Die bei weitem meisten Heiligsprechungen – mehr als 900 bis zum Jahr 2022 – hat Papst Franziskus durchgeführt. Da in der Regel zwei ordentliche Sitzungen des Dikasteriums im Monat stattfinden und in jeder Sitzung drei bis vier Fälle geprüft werden, liegt die Zahl der in einem Jahr abgeschlossenen Fälle bei 70 bis 80.  

Schauen wir nochmal genauer auf die "römische Phase" eines Seligsprechungsverfahrens. Wie sieht die aus?

Ja: Der Fall kommt nach Rom an das Dikasterium, und da wird ihm ein Berichterstatter zugewiesen, der den Postulator begleitet. Der Postulator ist die Person, die die Seligsprechung des Betreffenden hauptsächlich betreibt. Dieser Postulator erstellt einen dicken Bericht, in dem die in der Diözese gesammelten Dokumente zusammengefasst werden, um das Leben zu rekonstruieren und die Tugenden oder das Martyrium sowie den relativen Ruf der Heiligkeit und der Zeichen des "Dieners Gottes" aufzuzeigen.

Dieser Bericht heißt Positio er wird dann von einer Gruppe von Theologen und im Falle einer "antiken Angelegenheit", d.h. bei einem Kandidaten, der lange vorher gelebt hat, auch von einer Historikerkommission geprüft. 

Fällt deren Stellungnahme positiv aus, wird das Dossier den Kardinälen und Bischöfen des Dikasteriums zur weiteren Beurteilung vorgelegt.  

Und die Seligsprechung ist sozusagen ein Zwischenschritt zur Heiligsprechung?

Ja, so kann man das sagen. Wenn der Kandidat zum Märtyrer erklärt wird, wird er sofort selig, andernfalls muss ein Wunder anerkannt werden, das auf seine Fürsprache zurückzuführen ist: eine Heilung, die von einer medizinischen Kommission, die sich aus gläubigen und nichtgläubigen Fachleuten zusammensetzt, als wissenschaftlich unerklärlich eingestuft wird.

Die theologischen Berater und dann die Kardinäle und Bischöfe des Dikasteriums äußern sich ebenfalls zu dem Wunder, und der Papst genehmigt das entsprechende Dekret.

Damit der Selige zum Heiligen erklärt werden kann, muss ihm die wirksame Fürsprache eines zweiten Wunders zugeschrieben werden, das allerdings erst nach der Seligsprechung geschehen ist. 

Das klingt alles ziemlich bürokratisch, oder?

Das kann man wohl sagen! Selig- und Heiligsprechungsprozesse sind ein komplexes und vielschichtiges Unterfangen. Wie bei allen Prozessen gibt es eine Art Anklage und eine Verteidigung. Der Verteidiger, wenn wir diesen Begriff verwenden wollen, ist der Postulator, der den Auftrag hat, die Heiligkeit des Kandidaten zu beweisen. 

Derjenige, der qua Amt dagegenhalten soll, ist der Verfechter des Glaubens (gemeinhin als "Advokat des Teufels" bezeichnet). Das sind die beiden großen Gegenspieler im Prozess: der Postulator der Heiligkeit und der Advokat des Teufels.

Quelle:
VN