"Ich bin ein alter, schwarzer, jüdischer Mann. Ich ziehe mich an, als wären wir in den Fünfzigern." Mit diesem Satz brachte Jazz-Ikone Amy Winehouse in einem Interview mit Harper’s Bazaar auf die Frage nach ihrem Kleidungsstil einst ihren trockenen und unverblümten Humor auf den Punkt. Sie war weder alt, noch schwarz, noch männlich. Aber Jüdin war sie.
Das jüdische Selbstverständnis
Geboren in Southgate, einem Vorort von London, wuchs sie in einer großen, jüdischen Gemeinde auf. Viele ihrer Familienmitglieder waren jazzbegeistert. So auch ihre jüdische Großmutter Cynthia, die selbst Jazzsängerin war. Zu ihr pflegte sie eine sehr enge Verbindung und manchmal haben sie auch gemeinsam gesungen.
"Musik ist identitätsstiftend und hat eine besondere Kraft", sagt Musikwissenschaftler und Theologe Prof. Dr. Meinrad Walter. Sie könne Identität stiften, weil viele Lieder oft wichtige Themen und Werte benennen. Noch viel bedeutender für die Identität sei aber, dass Musik gemeinsam gesungen oder gespielt werde. Über diese Gemeinschaft definierte Winehouse auch ihr jüdisches Selbstverständnis. Zu Lebzeiten sagte sie: "Jüdischsein bedeutet für mich, als echte Familie zusammen zu sein. Es geht nicht darum, Kerzen anzuzünden und eine Bracha zu sprechen".
Aufwachsen im "Kulturellen Biotop"
Auch von zu Hause kam nicht der Druck, sich über religiöse Inhalte zu definieren. "Sie ist in einem sehr jüdischen, aber überhaupt nicht religiösen Umfeld aufgewachsen. In einem dieser ganz eigenen kulturellen Biotope", erklärt Yves Kugelmann, Chefredakteur des Jüdischen Wochenmagazins "tachles". Dieser kulturelle Kontext, geprägt von Familie, Musik und einem Gefühl von Anderssein, bildet auch eine Brücke zum Jazz, bestätigt der Musikliebhaber Kugelmann: "Auf den ersten Blick zeigt sich in der Musik selbst das Wesen des Jazz. Er verbindet und vermischt viele Einflüsse".
Dabei sei die Offenheit des Charakters dieser Musik zentral. Jazz sei keine strikt interpretierte und festgelegte Musik, sondern eine, die "für alles offen" sei, so Kugelmann.
Eigenwillig und unkonventionell
Amy Winehouse besuchte die jüdische Grundschule notgedrungen. Nach Angaben verschiedener Biografien und Berichte fiel es ihr aber schwer, sich anzupassen. Das änderte sich auch später nicht. Insgesamt fünf Mal wechselte sie die weiterführende Schule. Im Alter von 12 Jahren hat sie sich selbst bei der Sylvia Young Theatre School beworben, von der sie aber auch verwiesen wurde.
Die Schauspielerin Billie Piper war die Mitschülerin von Amy Winehouse an dieser Schule. In einer Episode des "Table Manners with Jessie and Lennie Ware" Podcast aus Großbritannien sagte Piper über Winehouse, sie sei immer "frech" gewesen. "Sie hat oft verrückte, abstrakte Sachen gemacht. Ich mochte das wirklich sehr", erzählt Piper.
Yves Kugelmann hat die Sängerin damals live gesehen und beschreibt sie als einen Menschen, der "viel über den Rand hinauslebt". Ihre Musik befasst sich größtenteils mit dem Aufwachsen als junge Frau. "Es geht um die Suche nach Liebe und Nähe, aber auch um ein sehr komplexes Verhältnis zur eigenen Körperlichkeit", sagt Kugelmann. Das sei nicht nur im Kontext von Beziehungen zu verstehen, sondern ganz allgemein: Wie sie ihren Körper wahrnahm und ihn auf der Bühne als Ausdrucksmittel einsetzte.
Ihr tragischer Kampf mit der Sucht
Innerhalb der jüdischen Musikszene wurde sie durchaus früh wahrgenommen, ähnlich wie in der breiteren Musikszene. In der allgemeinen Öffentlichkeit rückte ihre jüdische Herkunft allerdings erst später in den Fokus. Und selbst da schwankten die Reaktionen: Zwischen dem Stolz über ihren internationalen Erfolg und einer gewissen Ratlosigkeit im Umgang mit ihrer offen gelebten Sucht.
"Nicht jede und jeder konnte oder wollte sich ihrer Art der Musik und Performance emotional annähern", erinnert sich Yves Kugelmann. Gerade in einem eher jüdisch-bürgerlich geprägten Umfeld werde mit Themen wie Alkohol und Drogen häufig noch zurückhaltender oder strenger umgegangen als etwa in christlich geprägten Kontexten, wo Alkohol gesellschaftlich ganz anders eingebettet ist. "Insofern war das für viele auch ein schwieriger Spiegel. Eine jüdische Künstlerin, deren Talent unbestritten war, aber deren Selbstzerstörung ebenso öffentlich stattfand", betont der Journalist.
Diese Selbstzerstörung führte letztendlich auch zum tragischen Tod der Sängerin an einer Alkoholvergiftung im Alter von 27 Jahren am 23. Juli 2011. Sie wurde Teil des weltbekannten "Club 27", der kulturell aufgeladenen Liste berühmter Musikerinnen und Musiker, die im Alter von 27 Jahren oft unter tragischen Bedingungen verstorben sind.
Der Feinschliff des Diamanten
Noch weit über ihren Tod hinaus wird die Sängerin für ihr unverwechselbares Profil und ihr Ausnahmetalent gefeiert. Mit zwei Alben hat sie Musikgeschichte geschrieben. "Back to Black" wurde zu einem der meistverkauften Alben des 21. Jahrhunderts. Bei den Grammy Awards 2008 gewann sie fünf Preise, darunter Best New Artist, Record of the Year und Song of the Year für "Rehab". Sie war die erste britische Künstlerin, die so viele Grammys an einem Abend gewann. Auch bei den BRIT Awards, den Ivor Novello Awards und den MOBO Awards wurde sie mehrfach ausgezeichnet.
Der Journalist Yves Kugelmann vermutet stark, die Soul-Ikone sei sich ihrer außergewöhnlichen Begabung und ihrer Einzigartigkeit bewusst gewesen. Möglicherweise spielte auch das Bewusstsein eine Rolle, als Jüdin auch einer Minderheit anzugehören. Dadurch habe sie aus einem sehr spezifischen, kulturellen Kontext heraus agiert. "Es ist ein Aspekt, der womöglich ihr künstlerisches Alleinstellungsmerkmal zusätzlich geschärft hat", fügt er hinzu. Das hinterlasse Spuren, das forme einen Menschen.
"Ich würde sagen: Wenn Menschen wie geschliffene Diamanten sind, dann verleiht so eine Erfahrung ihnen vielleicht einen anderen Schliff oder eine neue Art der Lichtbrechung", so Kugelmann.