Internationale Studie zeigt Einfluss von Religion auf Zusammenhalt

Wann Glaube trennt oder verbindet

Religion kann verbinden, aber auch spalten. Das zeigt Carolin Hillenbrands Doktorarbeit "Religion als Kitt oder Keil?". Sie analysiert darin, wie Religion den gesellschaftlichen Zusammenhalt beeinflusst, mit ambivalenten Ergebnissen.

Autor/in:
Hilde Regeniter
Menschen bei einem interreligiösen Friedensmarsch am 28. Mai 2025 durch Jerusalem / © Andrea Krogmann (KNA)
Menschen bei einem interreligiösen Friedensmarsch am 28. Mai 2025 durch Jerusalem / © Andrea Krogmann ( KNA )

DOMRADIO.DE: Sie haben für Ihre Doktorarbeit eine globale Perspektive gewählt, also die Rolle von religiösen Faktoren für den gesellschaftlichen Zusammenhalt länderübergreifend untersucht, denn Sie haben auf 89 Länder weltweit geschaut. Wie genau haben Sie das gemacht? 

Dr. Carolin Hillenbrand (Sozialwissenschaftlerin): Ich habe für diese 89 Länder rund um den Globus einen umfangreichen Datensatz erstellt, der zentrale religiöse Faktoren misst. 

Zum Beispiel, wie religiös die Menschen in einem Land sind oder auch welchen Religionsgruppen sie angehören oder wie religiös divers ein Land ist. Das habe ich dann zum gesellschaftlichen Zusammenhalt eines Landes in Beziehung gesetzt. 

Carolin Hillenbrand bei ihrer Doktorfeier. Ihre Arbeit trägt den Titel: „Religion als Kitt oder Keil?" / © Johannes Kahmann  (privat)
Carolin Hillenbrand bei ihrer Doktorfeier. Ihre Arbeit trägt den Titel: „Religion als Kitt oder Keil?" / © Johannes Kahmann ( privat )

Diesen habe ich mit der Stärke des Vertrauens, des Zugehörigkeitsgefühls, der Verantwortungsbereitschaft und des Engagements einem Land gemessen. Anschließend habe ich mit quantitativ-statistischen Methoden diese Zusammenhänge zwischen den Religions- und den Zusammenhaltsvariablen untersucht. 

DOMRADIO.DE: Was haben Sie da herausgefunden: Wann wirkt Religion negativ und spaltet die Gesellschaft? 

Hillenbrand: Zunächst sehen wir, dass es viele signifikante Zusammenhänge gibt. Religion macht wirklich einen Unterschied. Kurz gesagt: religion matters. Das ist aber ambivalent, je nach Dimension von Religion und Kohäsion.

Carolin Hillenbrand

"'Meine Religion ist die einzig akzeptable'. Wenn da viele Menschen zustimmen, dann ist das eher negativ für den Zusammenhalt einer Gesellschaft als Ganzes."

Negative Zusammenhängen zeigen sich leider oft mit dem sozialen Vertrauen in einem Land. Also in Ländern, in denen die Religion eine hohe Bedeutung hat, ist das soziale, zwischenmenschliche Vertrauen geringer ausgeprägt. Negativ sehen wir auch, dass das vor allem mit exklusivistischen Glaubensvorstellungen zusammenhängt. 

Da gibt es diese Aussage: "Meine Religion ist die einzig akzeptable". Wenn da viele Menschen zustimmen, dann ist das eher negativ für den Zusammenhalt einer Gesellschaft als Ganzes. Im Religionsvergleich sehen wir, dass christlich-orthodoxe und katholisch geprägte Länder eher niedrigere Kohäsionswerte aufweisen - vor allem im Vergleich zu protestantisch geprägten Ländern. 

Carolin Hillenbrand

"Die Mitgliedschaft oder das Engagement in religiösen Organisationen geht Hand in Hand mit einem höheren sozialen Engagement in weiteren Vereinen."

DOMRADIO.DE: Unter welchen Umständen dagegen kann Religion ihr verbindendes Potenzial entfalten und Menschen zusammenführen? 

Hillenbrand: Wir sehen auch viele positive Zusammenhänge, vor allem mit der nationalen Identität eines Landes. In hochreligiösen Ländern ist das nationalstaatliche Zugehörigkeitsgefühl viel stärker. Dann sehen wir vor allem in Ländern mit höherem Anteil an Protestantinnen und Protestanten, dass es da positive Zusammenhänge gibt. Das zeigt sich vor allem in skandinavischen oder nordeuropäischen Ländern, die den höchsten Zusammenhalt in diesem Ländervergleich aufweisen. 

Einer der stärksten Zusammenhänge ist die soziale Einbettung. Die Mitgliedschaft oder das Engagement in religiösen Organisationen geht Hand in Hand mit einem höheren sozialen Engagement in weiteren Vereinen. 

Doktorfeier im Zentrum Frieden der Fokolar-Bewegung in Solingen. / © Johannes Kahmann  (privat)
Doktorfeier im Zentrum Frieden der Fokolar-Bewegung in Solingen. / © Johannes Kahmann ( privat )

Das schließt sich also nicht aus, sondern es gibt solche "Spillover-Effekte". Deshalb ist die Religiosität in religiösen Organisationen so entscheidend, weil das dazu führt, dass das Engagement in der Zivilgesellschaft höher und stärker ist, die dann oft den Zusammenhalt der Demokratie eines Landes tragen. 

DOMRADIO.DE: Welche Schlüsse könnten zum Beispiel Politikerinnen und Politiker in verantwortungsvollen Positionen daraus ziehen? 

Hillenbrand: Bei den ganzen aktuellen Debatten und Bemühungen um den gesellschaftlichen Zusammenhalt und wie wir ihn stärken können, ist es unglaublich wichtig, die Religion zu berücksichtigen. Sonst geht man an der Realität vorbei, weil sich so viele signifikante Zusammenhänge mit der Religion herausgestellt haben. 

Carolin Hillenbrand

"Ich denke, das ist angesichts der aktuellen Weltlage supergewichtig , denn wenn Religion nicht Teil der Lösung wird, dann wird sie Teil des Problems."

Es gilt vor allem, diese inklusiveren Glaubensgemeinschaften, multireligiöse Vereine und Plattformen zu fördern, die eben neben diesem Bonding, also der Integration der eigenen In-Group und dem Linking, mit dem Staat, auch das Bridging in einer Gesellschaft schaffen, also auch die Brücke zwischen unterschiedlichen religiösen und nicht-religiösen Gruppen in einer Gesellschaft schlagen können. 

Ich denke, das ist angesichts der aktuellen Weltlage super gewichtig, denn wenn Religion nicht Teil der Lösung wird, dann wird sie Teil des Problems. 

Carolin Hillenbrand

"Da haben wir ein Zeichen für Solidarität und Zusammenhalt gesetzt und erfahrbar gemacht, wie eben auch Menschen unterschiedlicher Religion in Frieden aktiv miteinander koexistieren und leben können."

DOMRADIO.DE: Sie haben Ihre bestens bestandene Doktorarbeit ungewöhnlich gefeiert. Und zwar haben Sie versucht, Wissenschaft, Gesellschaft und Gedenken miteinander zu verbinden. Wie genau haben Sie das gemacht? 

Hillenbrand: Ich habe letzten Samstag zu einer großen Doktorfeier mit 100 Gästen an einen besonderen Ort eingeladen. Besonders war es auch für mein Thema. Ich habe ins Zentrum Frieden der Fokolar-Bewegung in Solingen eingeladen. 

Es war ein Tag für die Ewigkeit. Es gab ein tolles, vielfältiges Programm. Ich habe die Ergebnisse meiner Doktorarbeit vorgestellt. Es gab von meinem Doktorvater dem renommierten Religionssoziologen Professor Pollack eine große Laudatio. 

Die Laudatio hielt Religionssoziologe und Doktorvater Detlef Pollack. / © Johannes Kahmann  (privat)
Die Laudatio hielt Religionssoziologe und Doktorvater Detlef Pollack. / © Johannes Kahmann ( privat )

Dann gab es ein interreligiöses Friedensgebet mit einer Schweigeminute und dem Gedenken an den Messeangriff, der fast vor genau einem Jahr in Solingen stattgefunden hat. Da haben wir ein Zeichen für Solidarität und Zusammenhalt gesetzt und erfahrbar gemacht, wie eben auch Menschen unterschiedlicher Religion in Frieden aktiv miteinander koexistieren und leben können. 

Wir waren junge Menschen aus ganz verschiedenen Weltanschauungen, Hintergründen und am Ende haben wir einen Abschlusssegen gemeinsam gesprochen und anschließend in das Lied "We Are The World" eingestimmt. Das war zum Schluss ein totaler Gänsehautmoment für mich. Da konnte ich wirklich spüren, der Weltfrieden fängt bei uns im Kleinen an - hier und heute. 

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Quelle:
DR

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