Gefängnisseelsorger reagiert auf Jörg Alts Kritik an Haftbedingungen

"Da verschiebt sich die Perspektive"

Nach seiner 25-tägigen Ersatzfreiheitsstrafe wegen zivilen Ungehorsams hat der Jesuit und Aktivist Jörg Alt unlängst die Haftbedingungen in Gefängnissen beklagt. Was sagt ein Gefängnisseelsorger zu der Kritik?

Autor/in:
Tobias Fricke
Symbolbild Gefängnis / © MemoryMan (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Kennen Sie das, was der Jesuitenpater Jörg Alt aus Nürnberg berichtet, dass teilweise nur zwei Mitarbeitende für über hundert Inhaftierte zuständig sind? 

Michael Diezun (Evangelischer Pfarrer und Seelsorger an der Justizvollzugsanstalt Remscheid-Lüttringhausen): Personalmangel ist im Moment eines der größten Probleme bei uns. Das ist wie in vielen anderen Bereichen der Gesellschaft auch so. Die Älteren werden pensioniert und es ist schwer, Neue zu gewinnen, weil die Bediensteten im Dreischichtdienst arbeiten, und natürlich auch samstags und sonntags. 

Das ist schon eine anstrengende und herausfordernde Arbeit. Deshalb gelingt es nicht, so viele zu gewinnen, wie es eigentlich braucht. 

DOMRADIO.DE: Jörg Alt schreibt von einem "Running Gag", dass man im Knast unter anderem aufgrund von Langeweile kriminell werde. Ist das so? 

Diezun: Langeweile ist eines der größten Probleme, denn wenn Gefangene 24 Stunden eingeschlossen sind und eine Stunde Freigang haben, in der sie auf den Hof dürfen, dann ist das natürlich nicht viel Zeit. Das ist für viele Menschen eine absolute Herausforderung. 

In der Anfangsphase, wenn die Neuen in die Anstalt kommen und noch keinen Fernseher haben und keine Playstation haben dürfen, dann sitzen sie auf der Zelle und haben nur einen Radiowecker. 

Michael Diezun

"Bei der Verhaftung nimmt natürlich keiner Rücksicht darauf, ob sie (Drogensüchtige) den letzten Schuss vor vier Stunden oder vor drei Tagen gehabt haben."

DOMRADIO.DE: Viele Häftlinge leiden unter Drogenentzug, psychischen Belastungen oder werden in Isolationshaft untergebracht. Wie erleben Sie diese Situation auch im Blick auf die Würde und Stabilität der Inhaftierten? 

Diezun: Das sind jetzt drei ganz unterschiedliche Sachen. Einmal ist es natürlich so, dass Drogensüchtige leicht kriminell werden, wenn sie diesen Mangel haben, Geld auf legalem Weg für ihre Drogen zu organisieren. Deshalb sind die auch häufig im Gefängnis. Sie werden straffällig und dann eingeliefert. 

Bei der Verhaftung nimmt keiner Rücksicht darauf, ob sie den letzten Schuss vor vier Stunden oder vor drei Tagen gehabt haben. Die sind im Gefängnis dann erst einmal in einer ganz schwierigen Situation, weil man ihnen auch nicht sofort Ersatzdrogen geben kann, sondern erst mal sehen muss, was bei ihnen überhaupt los ist. Diese Zeit ist wirklich sehr unangenehm. 

DOMRADIO.DE: Nach den Beobachtungen vom Jesuiten Jörg Alt sprechen rund zwei Drittel der Gefangenen nicht ausreichend Deutsch. Welche Rolle spielt die Sprache in Ihrer seelsorglichen Arbeit? 

Jesuitenpater Jörg Alt geht nach Klimaaktion ins Gefängnis / © Daniel Löb (dpa)
Jesuitenpater Jörg Alt geht nach Klimaaktion ins Gefängnis / © Daniel Löb ( dpa )

Diezun: Zwei Drittel würde ich nicht sagen, aber natürlich ist es so, dass Deutschland ein Land ist, durch das die Menschen aus dem Osten in den Westen und umgekehrt ziehen. Wenn sie dabei straffällig werden, landen sie in unserer Anstalt. Ich habe in dieser Woche ein Gespräch mit einem Menschen aus Litauen gehabt, der nur Russisch kann. Der braucht dann andere litauische Gefangene, die ihm erklären, wie es bei uns in der Haftanstalt abläuft und was er tun muss. 

Natürlich hat er riesige Probleme, weil es ihm nicht gelingt, sich innerhalb der Strukturen zu organisieren, sodass er zum Beispiel seine Familie ein Vierteljahr nicht informiert hat, wo er ist. 

Michael Diezun

"Denken wir daran, wenn wir das Vaterunser beten, dann sagen wir: Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir unseren Schuldigern vergeben."

DOMRADIO.DE: Was ist sonst wichtig in der Seelsorge? Wie ist das zum Beispiel mit der Perspektive der Inhaftierten? 

Diezun: Die Entlassung ist eine ganz große Sorge der Inhaftierten. Tatsächlich hat jetzt jemand geklagt, in Haft bleiben zu dürfen. Ja, es klingt schräg, aber er weiß, dass er nicht sofort Arbeit und auch keine Wohnung bekommt, wenn er rauskommt. 

Da verschiebt sich die Perspektive. Die Nachbarn sagen, sie möchten in ihrem Haus keinen verurteilten Straftäter haben, auch wenn sie nach Ende der Haft erwarten können, dass der straffrei lebt. Das macht es schwierig. 

Wenn wir das Vaterunser beten, dann sagen wir: Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir unseren Schuldigern vergeben. Das erwarte ich von Christen, dass sie imstande sind, sich Menschen zumindest erst einmal genau anzuschauen und dann zu sagen, dass jemand verurteilt wurde, vier Jahre im Knast gesessen hat und jetzt eine Chance auf ein neues Leben braucht. 

Dann sind sie als Christen gefordert, denen eine Chance zu geben. Deshalb brauchen wir Handwerksmeister, die es mal mit den Ex-Gefangenen probieren. Und wenn der sich bewährt, können sie ihn einstellen. Das ist doch gut. 

Michael Diezun

"Ich glaube, als Seelsorger und als Pfarrer hat man eine Sonderstellung."

DOMRADIO.DE: In dem Bericht von Jörg Alt wurde auch beschrieben, dass Gewalt sowohl unter Inhaftierten als auch gegenüber dem Personal keine Seltenheit sei. Kennen Sie das auch Ihnen gegenüber, dass da jemand mal gewalttätig wurde? 

Diezun: Nein, ich glaube als Seelsorger und als Pfarrer hat man eine Sonderstellung, sodass das eher sehr unwahrscheinlich ist. Es gibt aber unklare Situationen, da muss man sicherlich vorsichtig sein. 

Stellen Sie sich vor: Da sind strenge Muslime, die keinen Alkohol trinken und keine Drogen nehmen und Drogensüchtige auf einem Raum. Da gibt es natürlich Spannungen ohne Ende. Wenn die das nicht auf eine normale Weise pflegen können und wenn die Bediensteten gerade unter Druck sind und nicht genau hinschauen können, weil keine Zeit ist, um so was zu dämpfen und Leute auseinanderzubringen, dann kommt es da schon zu Gewalt.

Es ist aber selten der Fall und dann hat das für die Beteiligten auch deutliche Konsequenzen. Sie werden dann zum Beispiel abgesondert oder kommen in eine Arrestzelle. Bei uns in Lüttringhausen ist das relativ ruhig im Vergleich zu anderen Anstalten, aber Gewalt gegenüber Bediensteten und in andere Richtungen gibt es natürlich auch. Aber ich halte das wirklich für relativ selten.

Das Interview führte Tobias Fricke.

Gefängnisseelsorge

Die christliche Gefängnisseelsorge hat in der Bundesrepublik eine lange Tradition. Als Leitwort für ihre Arbeit in Gefängnissen beschreibt die Deutsche Bischofskonferenz das Bibelwort "Denkt an die Gefangenen, als wäret ihr mitgefangen" (Hebr 13,3). Bundesweit arbeiten rund 500 katholische und evangelische Seelsorger, in der Regel sind es Pfarrer oder Diakone. Ihr Anspruch ist es, sich jedem Menschen mit seiner eigenen Geschichte zuzuwenden. Der Gefangene soll dabei nicht auf die von ihm begangenen Straftaten reduziert werden.

Gefängnisseelsorger Andreas Mähler / © Andree Kaiser (KNA)
Gefängnisseelsorger Andreas Mähler / © Andree Kaiser ( KNA )
Quelle:
DR

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