DOMRADIO.DE: Was ist das Domkapitel eigentlich und welche Aufgaben hatte und hat es in der Erzdiözese Köln?
Dr. Joachim Oepen (Leiter des Historischen Archivs des Erzbistums Köln): Das Domkapitel ist zunächst einmal das Klerikerkollegium, das am Dom tätig und angesiedelt ist. Daraus ergab sich auch die ursprüngliche Aufgabe und Hauptaufgabe des Domkapitels, nämlich dafür zu sorgen, dass am Dom der Gottesdienst und die Seelsorge funktionierte. Aber es gehörte auch dazu, dass der Dom baulich in Schuss blieb, beziehungsweise im Mittelalter und der frühen Neuzeit weitergebaut wurde.
Im Mittelalter ist es dem Domkapitel in Köln – wie an anderen Orten auch – gelungen, das Recht der Bischofswahl in seine Hände zu bekommen. Daraus ergab sich, dass das Domkapitel auch an den Herrschaftsrechten des Erzbischofs Anteil hatte, der als Kurfürst auch die weltliche Herrschaft innehielt. Im Kurfürstentum Köln bildete das Domkapitel dann den ersten Landstand und hatte damit auch eine eminent politische Bedeutung.
DOMRADIO.DE: Mit dem Einmarsch der französischen Revolutionsgruppen 1794 ging dann eine schwere Zeit für die Kirche los. Wie hat sich diese Zeit auf das Domkapitel ausgewirkt?
Oepen: Am 6. Oktober 1794, so sagt man, endete das Mittelalter in Köln mit dem Einmarsch der Franzosen, die das gesamte linksrheinische Gebiet besetzten. Das Domkapitel floh zunächst ins westfälische Arnsberg. Ein Teil kam zurück und das Erzbistum war ab dann im Prinzip zweigeteilt: das linksrheinische Gebiet, das fest in französischer Hand war, und das rechtsrheinische Gebiet, in dem die älteren Strukturen weiter existierten.
Im Linksrheinischen wurde das Domkapitel 1802 im Zuge der Säkularisation aufgehoben, wie auch alle anderen Klöster und Stifte und das Erzbistum aufgehoben wurden. An die Stelle des Erzbistums trat das napoleonische Bistum Aachen. Im Rechtsrheinischen existierte das Domkapitel weiter, so wie auch das Erzbistum dort weiter existierte. Allerdings ohne Kathedrale, ohne Erzbischof und auch ohne Domkapitel. Offiziell wurde das Domkapitel nie aufgelöst, aber die Domkapitulare verstarben einer nach dem anderen, oder zerstreuten sich in alle Winde.
Im 19. Jahrhundert haben Kirchenjuristen darüber diskutiert, ob das Domkapitel überhaupt je formaljuristisch aufgelöst worden sei. 1815 war der ganze Spuk dann vorbei: Die napoleonische Zeit ging zu Ende, es gab den Wiener Kongress, das Rheinland fiel an Preußen und 1821 kam es zur Wiedererrichtung des Erzbistums Köln.
DOMRADIO.DE: Was war der Auslöser für die Wiedererrichtung des Erzbistums?
Oepen: In der nach-napoleonischen Zeit wollte man die kirchlichen Strukturen neu ordnen. Und das im Einvernehmen zwischen Staat und Kirche, also dem preußischen Staat und der römischen Kurie. Darüber gab es Verhandlungen, die nicht ganz unkompliziert waren. Die Kirche wollte sich einerseits möglichst wenig reinreden lassen, andererseits hatte der preußische Staat massive Interessen seinerseits.
Man verfolgte die Idee eines Staatskirchentums, nach dem die Kirche dem Staat untertan ist oder, wenn man so möchte, ein verlängerter Arm des Staates ist. Das schlug sich etwa darin nieder, dass der preußische König die Bischöfe ernennen wollte. Das passte vor allem den Römern überhaupt nicht. Das Zugeständnis, dass ein preußischer und protestantischer König katholische Erzbischöfe ernennt, hätten die römische Kurie und der Papst niemals gemacht.
Das ist einer der Gründe, warum im gesamten damaligen Preußen die Domkapitel weiter existierten oder wieder begründet wurden, die dann die Bischofswahl wieder vornahmen. Die Idee des preußische Staates war, dass er über die Domkapitulare die Wahl der Erzbischöfe beeinflussen könne.
DOMRADIO.DE: Wie haben sich die Aufgaben des Domkapitels nach dieser Wiederbegründung verändert?
Oepen: Das hatte langfristig zur Folge, dass das Domkapitel bis heute formal Bauherr der Kathedrale ist und das Bischofswahlrecht wieder zugesprochen bekam. Langfristig war der Anteil des Domkapitels an irgendeiner staatlichen Regierungsgewalt, wie es in der Vergangenheit der Fall war, vom Tisch. Dass die Preußen versuchten, über das Domkapitel die Bischofswahl zu beeinflussen, hatte zur Folge, dass zwischen der römischen Kurie und dem preußischen Staat hart verhandelt wurde, wie man die Domkapitelstellen besetzt.
Am Ende kam eine ziemlich verrückte Regelung dabei raus: Je nachdem ob ein Domkapitular in einem geraden oder ungeraden Monat starb, oblag die Bestellung eines neuen Domkapitulars entweder dem König oder dem Bischof. Das führte im Handumdrehen dazu, dass das Domkapitel letztlich in zwei Parteien gespalten war, die sich auch immer wieder gegenseitig blockierten.
DOMRADIO.DE: Was finden Sie an dieser bewegten Geschichte des Domkapitels am spannendsten?
Oepen: Ich finde insbesondere spannend, wie sich im 19. Jahrhundert auch in der Geschichte des Domkapitels diese Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kirche niederschlagen. Da wurde natürlich ganz heftig gerungen. Das führte hier in Köln nicht zuletzt dazu, dass gleich zweimal der jeweilige Kölner Erzbischof im Gefängnis landete.
Man sieht an diesen Auseinandersetzungen, die hier in ungeahnter Heftigkeit ausgetragen wurden, dass Köln im 19. Jahrhundert in der deutschen Kirche ein Hotspot war, an dem sich dann auch diese Ereignisse wie im Brennglas fokussierten.
Das Interview führte Annika Weiler.
Information der Redaktion: Ein Vortrag widmet sich der Wiederbegründung des Kölner Domkapitels vor 200 Jahren. Referent: Dr. Joachim Oepen, Leiter des Historischen Archivs des Erzbistums Köln, Wann: Montag, 30. Juni 2025, 20.00 Uhr, Wo: DOMFORUM, Domkloster 3, 50667 Köln, 5. Etage, Saal 5.7, Der Eintritt ist frei, keine Voranmeldung erforderlich.