Namensvorgänger inspiriert Leo XIV. im Umgang mit Ostkirchen

Zwischen Anerkennung und römischem Primat

Der neue Papst knüpft mit seiner Namenswahl an Leo XIII. an. Der bemühte sich mit einem eigenen Schreiben um eine Annäherung an die Ostkirchen. Dabei unterschätzte er jedoch die Kluft zwischen Rom und dem Osten.

Autor/in:
Nikolaj Thon
Papst Leo XIV. empfängt Bartholomaios I., griechisch-orthodoxer Ökumenischer Patriarch von Konstantinopel und Ehrenoberhaupt der Weltorthodoxie, am 30. Mai 2025 im Vatikan / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Papst Leo XIV. empfängt Bartholomaios I., griechisch-orthodoxer Ökumenischer Patriarch von Konstantinopel und Ehrenoberhaupt der Weltorthodoxie, am 30. Mai 2025 im Vatikan / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )

Im Mai waren etliche ostkirchliche Patriarchen und Bischöfe nach Rom gekommen, um an den ihnen gewidmeten Feiern des Heiligen Jahres teilzunehmen. In seiner Ansprache erinnerte Papst Leo XIV. auch an seinen Vorgänger Leo XIII. (Amtszeit: 1878 bis 1903), der ihn bei der Namenswahl inspiriert hat. Er wies daraufhin, dass sein Vorgänger der Würde der Ostkirchen ein eigenes Dokument gewidmet hat. Es sei vor allem durch die Tatsache inspiriert, „dass das Werk der Erlösung der Menschheit im Osten begonnen hat“, so der amtierende Papst.

Gemeint war damit das Apostolische Schreiben "Orientalium dignitas" aus dem November 1894 mit dem Untertitel "Über die Ostkirchen". Es enthält deutlich unterschiedliche Ausrichtungen. Zum einen betont Leo XIII. die Würde der ostkirchlichen Traditionen und ihren Wert auch im Hinblick auf den lateinischen Ritus. So solle kein Missionar des lateinischen Ritus den Versuch unternehmen, einen Geistlichen der Ostkirchen zum Wechsel zum lateinischen Ritus zu zwingen. Dieser Versuch wird sogar unter Strafe gestellt. Der Priesternachwuchs in den Ostkirchen soll an den Instituten der Ostkirche, in deren Sprache und nach deren Riten erfolgen, und die Einhaltung der Fastentage soll ihnen ermöglicht werden. Dasselbe gelte für die Institute von Ordensfrauen.

Leo betont römischen Vorrang

Leo XIII. betont aber auch in einer paternalistischen Sprache den römischen Vorrang: "Vor allem die Römische Kirche, das Haupt aller Kirchen, hat es sich zur Gewohnheit gemacht, den Kirchen des Ostens im Gedenken an die Apostel ein hohes Maß an Ehre und Liebe zu erweisen und sich ihrerseits an deren treuem Gehorsam zu erfreuen."

Dies ist zudem eine recht idealisierende Sichtweise. Denn für Benedikt XIV. (Amtszeit: 1740-1758), auf den Leo XIII. ausdrücklich Bezug nimmt, stand der lateinische Ritus grundsätzlich über jedem orientalischen Ritus. Das gilt auch für viele seiner Vorgänger.

Für Leo XIII. ist die Anerkennung der Würde der Orientalen jedenfalls eng mit ihrer Unterordnung unter den römischen Heiligen Stuhl verbunden und gilt somit nach seiner Sicht vollständig nur für die mit Rom unierten Ostkirchen: "Gerade deshalb, weil ihr apostolischer Ursprung durch diese Kirchen des Ostens umso mehr bewiesen wird, leuchtet im selben Augenblick die ursprüngliche, vollkommene Einheit dieser Kirchen mit der römischen Kirche auf und wird offenbar. [...] Dies ist fast ein Abbild jener vorzüglichen Unterwerfung, die dem neugeborenen Christus, dem göttlichen Gründer der Kirche, erwiesen wurde, als die Weisen aus den verschiedenen Regionen des Ostens kamen, um ihn anzubeten".

Noch deutlicher hatte diese Sichtweise der Papst schon kurz vorher in seinem Apostolischen Schreiben "Praeclara gratulationis publicae" im Juni 1894 zum Ausdruck gebracht. Ähnlich ist der Tenor auch in seinem Schreiben an die Kopten "Unitatis christianae" aus dem Jahr 1895.

Es ist kaum überraschend, dass diese Initiativen des Papstes auf orthodoxer Seite keine Gegenliebe fanden. Als höchste orthodoxe Autorität reagierte in einem Schreiben die Synode des Ökumenischen Patriarchats unter Vorsitz von Patriarch Anthimos VII. (Tsatsos, Amtszeit: 1895-1897) bereits im August 1895. Es zeigt, wie Papst Leo - bei aller guten Intention - die Tiefe der Kluft zwischen römischem Katholizismus und Orthodoxie und die Größe der Entfremdung unterschätzt hatte.

Synode sieht Enzyklika als Teufelswerk

Das sehr lange, 26 Punkte umfassende Papier verwendet harsche Formulierungen und stuft die päpstliche Initiative als Teufelswerk ein: "In diesen letzten Zeiten hat der Teufel von der orthodoxen Kirche Christi sogar ganze Nationen im Westen zerrissen, indem er die Bischöfe von Rom mit Gedanken übermäßiger Arroganz aufgeblasen hat".

Zwar sei die Einheit der Kirchen auch ein Anliegen der ganzen orthodoxen Welt und diese daher immer bereit, jeden Vorschlag der Vereinigung anzunehmen. Allerdings müsse der Bischof von Rom "ein für alle Male die ganze Reihe der vielen und vielfältigen dem Evangelium widersprechenden Neuheiten abschütteln", die in seine Kirche heimlich eingebracht worden seien. Auch müsse er auf die Grundlage der sieben Ökumenischen Konzilien zurückkehren.

Das Papier betont, dass es sich nicht auf die unterschiedlichen Riten bezieht. Als essenzielle Differenzen werden vielmehr das Filioque im Glaubensbekenntnis, die Verwendung vom ungesäuertem Brot bei der Eucharistie und der römische Verzicht auf die Spendung auch des Blutes Christi an Laien genannt. Erwähnt werden auch die Lehre von einem Fegefeuer, das Besprengen anstelle der Untertauch-Taufe, das römische Dogma der Unbefleckten Empfängnis Mariens und vor allem "die Rechtfertigung der weltlichen Macht oder der Unfehlbarkeit und des Absolutismus des Bischofs von Rom".

Insbesondere heben die orthodoxen Bischöfe hervor, dass der Bischof von Rom niemals als höchste Autorität und unfehlbares Oberhaupt der Kirche angesehen worden sei. Zur Zeit der sieben Ökumenischen Konzilien sei jede einzelne Kirche sowohl im Osten als auch im Westen unabhängig und selbstverwaltet gewesen.

Die Konstantinopler Synodalen verweisen darauf, dass es auch im Westen immer wieder Widerspruch zum päpstlichen Primatsanspruch gab - so im 15. Jahrhundert auf den Konzilen von Konstanz und Basel, im 17. Jahrhundert von den gallikanischen Theologen und im 18. Jahrhundert von den deutschen Bischöfen. Gemeint sein dürfte der Emser Kongress von 1796.

Ein Bischof aus New York antwortet

Auf das Schreiben Leos XIII. antwortete 1898 auch der im heutigen Libanon geborene Raphael Hawaweeny (1860-1915), damals Archimandrit in New York. Er verfasste einen Artikel in der Zeitschrift "Faith and Reason". Darin kritisiert er scharf den römischen Katholizismus, vor allem den Uniatismus - und zwar auf der Basis seiner eigenen Erfahrungen mit der Realität im Vorderen Orient: "Jede Gemeinschaft erhält bei ihrem ersten Beitritt zur römischen Kirche vom Papst feierliche Erklärungen und schriftliche Versprechen, dass alle ihre Riten und Gebräuche und sogar Dogmen absolut unverändert bleiben sollen: und doch zeigt die unparteiische Geschichte, dass nicht eine der Gemeinschaften, die mit Rom "vereinigt" wurden, in der Lage war, ihre Riten und Gebräuche oder sogar Dogmen vor lateinischem Einfluss zu bewahren."

Raphael verweist sodann auf Beispiele für die Behandlung der unierten Kirchen im Orient: "Welchen Sinn hat zum Beispiel die Ernennung eines lateinischen Patriarchen für Jerusalem, wo die einheimischen Katholiken bereits einen eigenen Patriarchen haben? Mehr noch, welchen Sinn hat die angebliche Union zwischen verschiedenen Ostkirchen in Syrien und der römischen Kirche, wenn jede von ihnen ihren eigenen Patriarchen hat und jeder dieser unierten Patriarchen sich Patriarch von Antiochien nennt?"

Raphael: Papst will christliche Völker versklaven

Aus all dem folgt laut Raphael, dass das Hauptziel all dieser päpstlichen Enzykliken und Episteln nicht die Vereinigung der Kirchen oder die Bewahrung von Riten und Dogmen ist, sondern "einfach die Unterwerfung und Versklavung aller christlichen Völker unter den Papst von Rom".

Zum Thema des christlichen Ostens nahm Papst Leo XIII. noch einmal 1901 in seiner Enzyklika "Urbanitatis Veteris" Stellung, in der er die Gründung eines römisch-katholischen Priesterseminars in Athen genehmigt. Aus ihr spricht deutlich das Überlegenheitsgefühl des lateinischen Westens und seiner scholastischen Theologie. Zudem ruft der Papst auch hier offen zur Union auf.

Im folgenden Jahr veröffentlichte das Amtsblatt der Russischen Orthodoxen Kirche in Amerika eine markante Antwort auf Leos Enzyklika in englischer Sprache. Darin wird die Gründung des Seminars in Athen als sinnlos bezeichnet. Unter den 2,5 Millionen Orthodoxen in Griechenland seien nur 30.000 Katholiken. Und: "So nahe die fundamentalen Dogmen auch sein mögen, die Katholische und die Orthodoxe Kirche sind in Geist, Prinzipien und ihrer Einstellung zur Nationalität so weit voneinander entfernt, dass sie nichts gemeinsam haben."

Orthodoxe Kirche

Als orthodoxe Kirche wird die aus dem byzantinischen (Oströmischen) Reich hervorgegangene Kirchenfamilie bezeichnet. Sie besteht je nach Standpunkt aus 14 beziehungsweise 15 selbstständigen ("autokephalen") Landeskirchen. "Orthodox" ist griechisch und bedeutet "rechtgläubig". Trotz großer nationaler Unterschiede und innerer Konflikte versteht sich die Orthodoxie in Bekenntnis und Liturgie als eine einzige Kirche. Ehrenoberhaupt ist der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I. (84).

Christlich-orthodoxes Holzkreuz und Kirche in der Nähe von Kharkiv in der Ukraine / © aquatarkus (shutterstock)
Christlich-orthodoxes Holzkreuz und Kirche in der Nähe von Kharkiv in der Ukraine / © aquatarkus ( shutterstock )
Quelle:
KNA