Mysteriöse Rituale, dunkle Machenschaften und Verschwörungstheorien – daran denken wohl viele Menschen, wenn sie von den Freimaurern hören. Diese Vorurteile gegenüber der Freimaurerei stammen vor allem aus Filmen und Romanen, wie etwa des US-Autoren Dan Brown. Mit der Wirklichkeit haben sie jedoch wohl kaum etwas zu tun. "Die Freimaurerei ist kein Geheimbund", sagt Thomas Hoppe. Der 62-Jährige leitet die Freimaurerloge "Zum Ewigen Dom" in Köln.
Hoppe ist dort Meister vom Stuhl, wie der Vorsitzende einer Loge genannt wird. Die Freimaurer hätten kein Geheimwissen oder okkulte Rituale. "Das Geheimnis sind vielmehr die Arbeit an sich selbst, die Freundschaft und das Erlebnis von Gemeinschaft", so Hoppe. Denn das Ziel eines Freimaurers sei es, ein besserer Mensch zu werden. "Unsere Werte dienen uns dabei als Orientierung. Es sind die Ideale der Aufklärung: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Humanität und Toleranz."
Die "Alten Pflichten" der Freimaurer
Die Loge "Zum Ewigen Dom", der Hoppe vorsteht, ist eine Johannis-Freimaurerloge. Das bedeutet, dass ihre Mitglieder den sogenannten "Alten Pflichten" aus dem Jahr 1723 folgen, die so etwas wie ein Grundgesetz der Freimaurerei darstellen und von der Aufklärung inspiriert sind, die etwa zeitgleich stattfand. Wenige Jahre zuvor hatten sich 1717 in Großbritannien, dem Ursprungsland der Freimaurer, mehrere Londoner Logen zu einer Großloge vereinigt.
Die "Alten Pflichten" fassten für die Mitglieder der Großloge die fundamentalen Regeln der spekulativen Maurerei zusammen, wie sich die Freimaurerei auch bezeichnet. Dazu gehören etwa die Verschwiegenheitspflicht über die Inhalte der Versammlungen oder die Initiation der Mitglieder in den drei Graden Lehrling, Geselle und Meister.
Die Namen der drei Einführungsstufen zeigen: Ein Großteil der freimaurerischen Bildsprache entstammt dem Steinmetz-Handwerk. "Die Vorläufer der Freimaurerei sind die Dombauhütten, die im Mittelalter Menschen vieler Sprachen und Nationen zusammenbrachten", sagt Hoppe. Die ehemalige Kölner Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner hat dazu vor einigen Jahren einen Vortrag in seiner Loge gehalten, berichtet der Meister vom Stuhl. Die Mitglieder tragen während der Treffen in der Loge, die sie Tempelarbeit nennen, stilisierte Schürzen, die an die Kleidung erinnern soll, die auf dem Bau getragen wurde.
Rituale regen zum Nachdenken an
Die Werkzeuge Zirkel und Winkel sind die beiden bekanntesten Symbole der Freimaurerei. Sie werden als Zeichen für Universalität und ein rechtes Leben gedeutet. Weil der heilige Johannes der Täufer als Schutzpatron der Steinmetze galt, ist der Johannistag am 24. Juni der höchste Feiertag in vielen Logen. Die Freimaurer begehen ihn als Bundestag und jedes Mitglied ist angehalten, an diesem Tag als Zeichen der Zugehörigkeit und Freundschaft an den Treffen teilzunehmen.
Für Hoppe sind die gemeinsame Suche nach der Wahrheit und die Geselligkeit in der Loge das wichtigste an der Freimaurerei. "Das ist für Außenstehende manchmal nur schwer verständlich", sagt er. "Gerade Interessenten, die wir 'Suchende' nennen, fragen dann schon mal, was eigentlich der Inhalt der Freimaurerei ist." Der werde durch die Rituale vermittelt, die Impulse zum Nachdenken über Leben und Tod oder Gut und Böse geben wollten.
"Sie sind – wie die Symbole – nur Mittel, um ethische und existentielle Fragen erfahrbar zu machen und sie dem jeweiligen Menschen nahezubringen." Über den genauen Ablauf der Rituale hält sich Hoppe bedeckt. Geheimwissen sind sie aber schon lange nicht mehr, eine einfache Internet-Recherche reicht, um sich ein erstes Bild zu verschaffen. So beziehen die Rituale etwa die Bauwerkzeuge der Steinmetze mit ein oder nutzen archaische Zeichen wie Licht und Dunkelheit.
Trotz der vielen Rituale versteht sich die Freimaurerei nicht als eine Religion oder eine Alternative zum Glauben. Vielmehr sei man offen für alle Menschen, egal welchen Bekenntnisses: "Wir haben Mitglieder, die Christen, Juden, Muslime oder Atheisten sind. Jeder kann mitmachen", erklärt Hoppe. Bei den Treffen in der Loge seien zudem keine Streitereien über Religion und Politik erlaubt, respektvolle Gespräche hingegen schon. "Es geht uns schließlich auch darum, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen." In den Logen würden Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten und Altersgruppen zusammentreffen. Das sei nicht immer einfach, sagt der Meister vom Stuhl: "Toleranz ist wirklich sehr anstrengend."
Schwierig ist auch das Verhältnis zwischen Freimaurerei und katholischer Kirche. Bis heute gibt es besonders von kirchlicher Seite anscheinend große Vorbehalte gegen die Freimaurer. Erst 2023 erklärte das Glaubensdikasterium in einem Brief an einen philippinischen Bischof, dass sich Katholiken, die aktive Mitglieder einer freimaurerischen Loge sind, "im Stand der schweren Sünde" befinden.
"Unvereinbar mit der Lehre der Kirche"
Damit bestätigte der aktuelle Präfekt der vatikanischen Glaubensbehörde, Kardinal Víctor Manuel Fernández, ein Schreiben aus dem Jahr 1983. Damals hatte Kardinal Joseph Ratzinger als Glaubenspräfekt die Prinzipien der Freimaurerei als "unvereinbar mit der Lehre der Kirche" bezeichnet. In der Vergangenheit hatte die Kirche das Freimaurertum wegen seiner Rituale, den Werten der Aufklärung und angeblich gegen den christlichen Glauben gerichteten Haltungen abgelehnt.
Heute ist die kirchliche Sicht auf die Freimaurer eine grundlegend andere, sagt der österreichische Priester Michael Weninger. Der Ex-Diplomat ist ein Experte für den Dialog zwischen Freimaurern und Katholiken, ein Thema zu dem er mehrere Bücher verfasst hat. Der ehemalige Mitarbeiter an der vatikanischen Kurie betont die guten Beziehungen, die es nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) zunächst zwischen beiden Gruppen gab. "Der damalige Wiener Kardinal Franz König ist in einen intensiven Dialog mit Freimaurern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz getreten", so Weninger.
Die Ergebnisse der Gespräche seien in die sogenannte Lichtenauer Erklärung geflossen, die 1970 veröffentlicht wurde. "Darin betonen die Freimaurer, dass sie sich nicht als eine Religion verstehen." Außerdem wurden die kirchlichen Verurteilungen der Freimaurerei aus den vergangenen Jahrhunderten als lediglich historische Aussagen bezeichnet, die heute nicht mehr zutreffen würden. Eine kirchliche Autorisierung erhielt die Lichtenauer Erklärung jedoch nicht.
Nach Ansicht von Weninger hat sie jedoch großen Einfluss auf die freimaurerisch-katholischen Beziehungen gehabt. "Bei der Reform des kirchlichen Gesetzbuches CIC 1983 wurde der Canon gestrichen, der eine Exkommunikation für Katholiken vorsah, die Freimaurer waren", sagt der Priester. "Das war ein Riesenfortschritt." Die Kirche habe damals damit begonnen, die Freimaurerei nicht als einheitliches Gebilde zu verstehen, sondern zwischen unterschiedlichen Lehrtraditionen zu differenzieren.
"Die allermeisten Freimaurer gehören 'regulären' Logen an, die der Kirche nicht feindlich gegenüberstehen. Nur sehr wenige Logen seien antikirchlich ausgerichtet." Deshalb sei es richtig, dass die Freimaurerei nicht mehr pauschal von der Kirche verurteilt werde.
Vorurteile in ultratraditionalistischen Kreisen
Wenn er mit Katholiken spreche, die auch Freimaurer sind, nehme er eine große pastorale Not wahr, sagt Weninger. "Sie fragen sich, ob sie sich wirklich im Stand der schweren Sünde befinden." Er könne sie meist beruhigen, denn eine Mitgliedschaft in einer Freimaurerloge sei "nicht automatisch" sündhaftes Verhalten. "Es kommt nun einmal darauf an, ob die jeweilige Loge kirchenkritisch ausgerichtet ist – oder eben nicht", erklärt der Freimaurer-Experte. Die Versöhnung der Kirche mit der Freimaurerei habe bereits mit der Neufassung des Kirchenrechts von 1983 stattgefunden, deshalb brauche es keine neuen Dialog-Veranstaltungen.
"Sehr wohl brauchen wir aber Aufklärung in der Kirche zu dem Thema." Denn Feindseligkeit gegenüber der Freimaurerei gebe es auf kirchlicher Seite leider weiterhin. "Meist kommt sie aus ultratraditionalistischen Kreisen." Dort seien Vorbehalte gegen Freimaurer so etwas wie "identity marker". Für gemäßigte Katholiken sei das jedoch kein Thema. "Außerdem gibt es weltweit etwa 1,4 Millionen katholische Freimaurer – darunter auch viele Priester und einige Bischöfe", erklärt Weninger.
Auch Thomas Hoppe sind heutzutage keine Probleme zwischen Kirche und Freimaurern bekannt. "Köln ist eine sehr tolerante Stadt und wir können hier alle sehr gut zusammenleben." Ihm sei auch nicht zu Ohren gekommen, dass Mitglieder seiner Loge wegen ihrer Zugehörigkeit zur Freimaurerei kritisiert worden seien – "weder seitens der Kirche noch von anderen Institutionen", sagt der Kölner Meister vom Stuhl.