Jeden Morgen läuten die Kirchenglocken in Damaskus. In der Altstadt Bab Tuma sind die meisten Bewohner zu der Zeit schon auf den Straßen. Kinder warten auf den Schulbus und Erwachsene eilen zur Arbeit.
Seit etwa 2.000 Jahren gibt es auf dem Gebiet des heutigen Syriens Christen. Sie überlebten zahlreiche Kriege und überdauerten so manche Fremdherrschaft. Doch von den schätzungsweise gut zwei Millionen Christen vor einhundert Jahren sind bis heute nur wenige Hunderttausend geblieben.
Schlechte Voraussetzungen für Rückkehr
"Kaum jemand kommt zurück", sagt der römisch-katholische Ingenieur Fadi al-Azar in Bab Tuma. Ein Grund sei die schlechte Versorgung im Land. Strom gibt es nur für ein paar Stunden am Tag, die Wasserversorgung ist zum Teil unterbrochen und die Preise für Lebensmittel sind so hoch, dass viele Menschen sich höchstens eine Mahlzeit am Tag leisten können.
"In Europa geht es den Menschen dagegen gut", sagt al-Azar. Er glaubt, dass Syrer deswegen erst zurückkommen, wenn sich die Versorgungslage wirklich bessert. Dass Deutschland jetzt zum Beispiel den subsidiären Schutzstatus aufgehoben hat, sei nur ein kleiner Faktor.
Kritischer Blick auf deutsche Asylpolitik
Seit Jahren sehen manche Christen in Syrien die deutsche Asylpolitik kritisch. "Deutschland hat die Türen für alle aufgemacht", sagt Hisham Saad, Chef des syrisch-orthodoxen Patriarchalen Entwicklungskomitees St. Ephrem in Damaskus. Unter denen, die aufgenommen wurden, seien auch viele, die gar keine Flüchtlinge gewesen seien, sagt er. "Sie sind einfach nur Menschen, die ein schöneres Leben wollten."
Das hätten sie in Deutschland bekommen, glaubt Saad und grundsätzlich findet er das richtig, aber: "Einige von ihnen wollen nicht arbeiten, nicht Deutsch lernen, sich nicht an die Regeln halten und auch keine Steuern zahlen." Ihn stört es, dass die Behörden dieses Verhalten tolerieren würden und gleichzeitig andere Syrer, wie ihn, diskriminieren. "Wenn ich ein Visum beantragen möchte, dann wird es abgelehnt, trotz meines Studiums und meines Bankkontos."
Wie viele christliche Syrer spielt auch Saad mit dem Gedanken, seine Heimat eines Tages zu verlassen. Denn seit dem Sturz des Assad-Regimes gibt es mehr Zwischenfälle mit Extremisten oder alten Regime-Anhängern. Mal schüchtern sie Christen in ihren Stadtvierteln und Dörfern ein, mal bedrohen sie die Menschen mit Waffen, mal provozieren sie Sektarismus, wollen also eine Spaltung der Gesellschaft schaffen, indem sie die einzelnen religiösen Gruppen gegeneinander ausspielen.
Kirchen setzen auf Zusammenarbeit
Viele Kirchenführer setzen deswegen auf eine Zusammenarbeit mit der neuen Interimsregierung. Yohanna Youssef, ein griechisch-orthodoxer Priester aus Homs, zitierte vor Kurzem etwa in einem Fernsehinterview den früheren Patriarchen Elias IV, auch "Patriarch der Araber" genannt: "Er sagte: ‚Das Blut, das über Syrien geflossen ist, unterscheidet nicht zwischen christlichem und muslimischem Blut, es war das Blut von Syrern.‘" Zusammenhalten und Kooperieren: Das sei die Strategie der Kirchen, sagt Youssef.
Die syrische Interimsregierung gilt in Teilen der Gesellschaft aber selbst als islamistisch bis dschihadistisch. Ihr Präsident, Ahmed al Sharaa, nannte sich bis vor ein paar Monaten noch Mohammad al Jolani und war ein weltweit gesuchter Terrorist. Er leitete die dschihadistische Miliz Hayat Tahrir al Sham, die zum Beispiel in 2014 den römisch-katholischen Vikar aus Aleppo, Bischof Hanna Jallouf, entführte.
Heute spricht der Katholik offen über das Thema. Al Sharaa habe sich in einem persönlichen Gespräch bei ihm entschuldigt, sagte er etwa zu Beginn des Jahres in einem Pressevideo. Ein paar Monate später bekräftigt er bei einem Besuch in Damaskus, dass die Christen der neuen Regierung helfen müssten. Am besten ginge das mit ihrer Präsenz im Land. "Wir haben viele Dinge, mit denen wir den Muslimen zeigen können, wie es läuft", sagt Jallouf.
Christliche Bürgerwehr
Ein Beispiel findet sich in den Straßen von Bab Tuma und den anderen Christenvierteln der syrischen Hauptstadt. Nach dem Sturz des Regimes ist Fazaa entstanden, eine christliche Bürgerwehr. Nachts bewachen sie die Straßen, lassen niemanden durch, der fremd aussieht. "Wir rufen dann die Polizei und sie kommt sofort", erzählt ein Mann von Fazaa, der hier unerkannt bleiben will.
Waffen würden er und die anderen nicht tragen. "Das passt nicht zu uns Christen", sagt er. Auch tagsüber sei Fazaa aktiv. Die Gruppe hat auch Pläne, ihre Viertel zu verschönern: Bäume pflanzen, Straßen putzen, Gebäude renovieren. Der Mann von Fazaa lächelt: "Wir wollen nicht weggehen, Syrien ist unser Land."