DOMRADIO.DE: Herrscht in Berlin wieder Normalbetrieb nach dem Regierungswechsel?
Anna Mertens (Hauptstadtkorrespondentin der Katholischen Nachrichten-Agentur): Ich würde sagen, jein. Alle Minister haben die Arbeit aufgenommen, müssen sich jedoch noch in ihren neuen Rollen zurechtfinden. Es gibt ein neues Ministerium, und es werden viele personelle Entscheidungen getroffen, etwa bei den Staatssekretären. Das läuft, aber es ist noch nicht routiniert. Es gab schon zwei Bundestagswochen, in denen sich die Minister im Parlament vorgestellt haben.
Es wurden zahlreiche Anträge der Opposition debattiert und einzelne Gesetzentwürfe behandelt. Diese stammten inhaltlich teils noch aus der Zeit der vorherigen Regierung. Offiziell gibt es einen klaren "Cut" zwischen den Regierungen, die sogenannte Diskontinuität. Allerdings fließen Themen weiter, werden wieder aufgegriffen und in neuen Entwürfen wieder eingebracht. Vieles ist also bereits in Bewegung. Auch der Bundesrat hat vergangene Woche getagt. Das läuft aber unabhängig vom Regierungswechsel.
DOMRADIO.DE: Was sind die zentralen Themen, die in den kommenden Wochen auf der bundespolitischen Agenda stehen werden?
Mertens: Die Erwartungen an die Bundesregierung und Kanzler Friedrich Merz sind enorm. Die Koalitionspartner selbst, insbesondere die CSU, betonen immer wieder, dass die Regierung jetzt liefern muss. Besonders in den Bereichen Migration, Wirtschaft und Rüstung gibt es hohe Erwartungen. Denn auch international sind die Anforderungen an Deutschland groß.
In der Regel gibt man einem neuen Kanzler einhundert Tage im Amt, bevor man bilanziert, wie er sich schlägt. Diese Marke fällt für Bundeskanzler Merz in die parlamentarische Sommerpause. Das bedeutet, dass Merz vorher, also bis Mitte Juli schon eine erste Bilanz vorweisen muss – da bleibt nicht viel Zeit. Bis dahin finden planmäßig nur drei Parlamentswochen und eine Bundesratssitzung statt.
Ein Thema, das bald wieder auf die Agenda kommen könnte, ist der Paragraf 218 des Strafgesetzbuchs, der Abtreibungen regelt. Mit dem Paragrafen sind diese grundsätzlich rechtswidrig, aber bleiben unter bestimmten Voraussetzungen straffrei. Am Ende der letzten Legislaturperiode gab es bereits einen interfraktionellen Vorstoß, diesen Paragrafen aus dem Strafgesetzbuch herauszunehmen. Das könnte bald erneut durch einen interfraktionellen Antrag aufgegriffen werden. Damit beschäftigt sich auch der Deutsche Ärztetag, der diese Woche in Leipzig tagt. Dort wird auch Bundesgesundheitsministerin Nina Warken erwartet.
DOMRADIO.DE: Du hast den Deutschen Ärztetag in Leipzig erwähnt. Welche wichtigen Termine stehen diese Woche in Berlin an?
Mertens: Wichtig ist auf jeden Fall die re:publica, ein großes Treffen von Medien, Politik und Zivilgesellschaft zu digitalen Themen. Es gilt als Festival der digitalen Gesellschaft. Viele Minister, auch Bundeskanzler Friedrich Merz, werden dort auf Podien sitzen und sich den Fragen stellen. Kirchliche Akteure und Themen werden ebenfalls vertreten sein. Das Thema Künstliche Intelligenz spielt hier eine große Rolle, besonders die vielen ethischen und moralischen Fragestellungen dazu.
DOMRADIO.DE: Wie steht es um Deutschlands Austausch mit der Welt?
Mertens: Auch hier herrschen enormer Zeitdruck und hohe Erwartungen. Viele Reisen von Kanzler Merz, den Ministern und Staatssekretären sind geplant oder schon absolviert worden. Nach seiner Wahl zum Bundeskanzler war Friedrich Merz unter anderem bei der Amtseinführung von Papst Leo XIV. in Rom. In dieser Woche wird der Kanzler zu Gesprächen in Finnland sein.
Entwicklungsministerin Reem Alabali-Radovan ist heute in Brüssel beim Rat für auswärtige Angelegenheiten. Besonders im Bereich der Entwicklungspolitik, wo viele kirchliche Hilfswerke aktiv sind, bleibt es spannend. Es gab Zeiträume, in denen es so aussah, als könnte das Entwicklungsministerium abgeschafft werden. Jetzt laufen die Gespräche zur zukünftigen Rolle Deutschlands in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit wieder.
Das Interview führte Hilde Regeniter.