DOMRADIO.DE: Welche Bedeutung hat die Kippa für Juden?
Werner Kleine (Pastoralreferent der Citykirche Wuppertal): Männliche Juden sind gehalten, die Kippa als Kopfbedeckung zu tragen. Da gilt nicht nur in der Synagoge, sondern auch in der Öffentlichkeit. Wer das hier in Deutschland tut, muss damit rechnen, dass er Verleumdungen ausgesetzt ist und angegriffen wird.
Deswegen tragen Juden die Kippa oft verborgen, unter einer Mütze. Sie haben oft eine Schiebermütze oder eine Baskenmütze auf, um die Kippa zu verbergen. Das ist ein Problem.
Deswegen veranstalten wir einmal jährlich den Kippa-Tag. Wenigstens an diesem Tag wollen wir darauf aufmerksam machen, dass es eine religiöse Pflicht für Juden ist. Die muss in Deutschland genauso möglich sein wie das Kopftuch bei muslimischen Frauen.
DOMRADIO.DE: Wuppertal soll und will, für Offenheit, Vielfalt und respektvolles Miteinander stehen. Sie haben geschildert, dass Juden sich oft nicht trauen, die Kopfbedeckung zu zeigen. Heißt das, sie können ihre Religion nicht frei und ohne Angst ausüben?
Kleine: Das ist ein Problem. Wer sich als Jude in der Öffentlichkeit erkennbar zeigt, muss damit rechnen, dass er angegriffen wird. Wir haben solche Angriffe in Deutschland schon in Berlin oder Hamburg erlebt. In Wuppertal ist aktuell kein unmittelbarer Fall bekannt, bei dem ein Jude angegriffen worden wäre.
Vor der Bergischen Synagoge in Barmen, wo heute Nachmittag der Kippa-Tag startet, steht immer Polizei, teilweise mit durchgeladenen Maschinengewehren. Kein anderes Gotteshaus, weder muslimisch, hinduistisch oder christlich, muss in Deutschland auf diese Weise geschützt werden. Das ist skandalös.
DOMRADIO.DE: Beim Kippa-Tag wird es einen Demonstrationszug geben. Haben Sie Angst vor Angriffen?
Kleine: Ich selber bin kein ängstlicher Mensch. Ich habe keine Angst, aber ein solcher Angriff ist vor zwei Jahren schon einmal passiert. Ich bin persönlich angegangen worden, als sich eine Gruppe offenkundig muslimischer Jugendliche vor mir aufbaute, mich beschimpfte und "Free Palestine" rief. Das war noch vor dem 7. Oktober 2023, dem grausamen Angriff der Hamas auf den Süden Israels.
Vor zwei Jahren haben wir das ignoriert. Heute, glaube ich, würde ich die ansprechen. Aber wir müssen uns keine Sorgen machen, weil viel Polizei mitlaufen wird. Ich habe mit einer Polizistin sprechen können, die für den Objektschutz der Synagoge zuständig ist. Die hat sich freiwillig für heute gemeldet. Das ist ein gutes Zeichen.
Die Polizei schreckt sicherlich ab. Auch wenn es merkwürdig ist, dass überhaupt ein so starker Polizeischutz notwendig ist. Um einen Vergleich zu haben, ich ziehe am 10. November mit 8.000 Menschen beim Martinszug durch Wuppertal. Bei dem Umzug laufen zwei Polizisten mit. Wenn wir Montagnachmittag mit 200 Leuten durch die Barmer Innenstadt laufen, sind 12 bis 14 schwerbewaffnete Polizisten dabei. Das ist die Relation, die zeigt, was in unserem Land los ist.
DOMRADIO.DE: Das Besondere bei dem Zug wird sein, dass die Männer sich eine Kippa auf den Kopf setzen. Machen Sie das auch?
Kleine: Ja, ich selber habe eine Kippa, die ich aufziehen werde. Aber jeder, der eine aufziehen möchte und keine dabei hat, bekommt von der jüdischen Kultusgemeinde eine gestellt. Die haben ausreichend Kippot da. Kippot ist der Plural von Kippa.
DOMRADIO.DE: Setzen Frauen an diesem Tag auch eine Kippa auf?
Kleine: Die religiöse Verpflichtung gilt nur für Männer. Frauen ziehen üblicherweise keine auf. Aber die jüdische Kultusgemeinde in Wuppertal ist so offen, dass auch Frauen eine Kippa aufziehen können. Viele jüdischen Frauen, die zu der Gemeinde gehören, werden die aufziehen.
DOMRADIO.DE: Warum ist Ihnen das als Wuppertaler und Katholik wichtig, Teil dieser Solidargemeinschaft zu sein und das offen zu zeigen?
Kleine: Ich habe die Solidargemeinschaft vor einigen Jahren ins Leben gerufen. Anlässlich des 20.07, des Attentats auf Hitler, habe ich mal eine Rede gehalten. Dort habe ich gesagt, dass wir immer nur reden und große Worte machen. Doch Worte alleine verändern nichts, wir müssen in die Tat kommen.
Danach sind einige Bürgerinnen und Bürger auf mich zugekommen und meinten, dass wir Nägel mit Köpfen machen sollen. Deswegen haben wir die Solidargemeinschaft gegründet. Nicht nur, aber unter anderem mit dem Schwerpunkt, den Antisemitismus anzugehen. Nach der Gründung kam Corona dazwischen. Deswegen mussten wir ein bisschen runterfahren.
Der Kippa-Tag war von Anfang an in der Planung. Das war die erste Idee, die wir hatten. Die sind wir direkt angegangen, als es in der Corona-Pandemie möglich war. Wir haben den Kippa-Tag ins Leben gerufen, der immer am 23. Mai stattfinden soll. Das ist unser Verfassungstag, an dem unser Grundgesetz Jubiläum feiert.
Der fiel in diesem Jahr auf einen Freitag und wäre damit in den Schabbat hineingegangen. Deswegen ist es auf den Montag verschoben worden. In diesem Jahr laden wir erstmalig gemeinsam mit der Stadt Wuppertal ein.
Das Interview führte Hilde Regeniter.