DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielen soziale Medien rund um ein Konklave?
Claudia Paganini (Professorin für Medienethik, Universität Innsbruck): Die sozialen Medien begleiten das Geschehen und berichten quasi aus Echtzeit – außer natürlich die Dinge, die sie nicht berichten dürfen. Sie machen das Geschehen sichtbarer, zugänglicher, und sie eröffnen neue Perspektiven für ein weltweites Publikum zur Teilnahme.
Andererseits befördern sie Gerüchte. Bei den alten Gerüchten, die man immer schon rund um eine Papstwahl erzählt hat, geht es hauptsächlich um Gesundheit oder mangelnde Gesundheit von Papstkandidaten. Das liegt daran, dass es in der Regel ältere Herren sind, die zur Wahl stehen. Das kann man zum Beispiel bei Kardinal Parolin beobachten: dieses klassische Krankheitsnarrativ, was transportiert wird über Social Media.
Interessant ist, dass wir auch neue Gerüchte haben, die die neuen Medien gewissermaßen brauchen. Beispielsweise ist zu Kardinal Tagle aus Manila ein Videomitschnitt aufgetaucht, wo er bei einem Jugendgottesdienst "Imagine all the people and imagine there's no religion" von John Lennon singt. Dieser Ausschnitt ist viral gegangen, weil er grundsätzlich als fortschrittlicher Kandidat gilt und sogar bei seinen eigenen Anhängern für Kritik sorgt.
Spannend fand ich auch von Kardinal Pizzaballa, die Dekontextualisierung dieser Palästinensertuch-Geschichte. Da zeigt sich, dass es die neuen Medien braucht, um solche Art von Gerüchten in Gang zu setzen. Es wurde ein Video transportiert, wo Pizzaballa mit einem Palästinensertuch erscheint. Ohne Kontextualisierung könnte man nur über die Message des Bildes meinen, dass es ein Zeichen für einen antisemitisch eingestellten Papstkandidaten ist. Für eine adäquate Einordnung fehlt aber die Information, dass es sich bei ihm um den Patriarchen von Jerusalem handelt und er einfach den Schal, also die Kufiya der christlichen Gläubigen dort trägt, die Palästinenser sind.
Aber durch die Inszenierung des Bildes und das Weglassen der Information entsteht der Eindruck von einer antisemitischen Haltung. Das ist interessant, weil das Gerüchte oder Vorwürfe gegen mögliche Papstkandidaten sind, die das neue Medium zu ihren Gunsten nutzen.
DOMRADIO.DE: Wie gehen die Kirche und Kardinale damit um?
Paganini: Sehr unterschiedlich, ich kann keine einheitliche Umgangsweise feststellen. Die offizielle Pressearbeit des Vatikans setzt klar auf Kommunikation und darauf, die Deutungshoheit zu behalten. Indem man, im Unterschied zu früheren Zeiten, seit Franziskus viel über die neuen Medien kommuniziert, bleibt man mit den Gläubigen im Gespräch, im Kontakt und beansprucht für sich selbst die Deutungshoheit. Indem ich den Diskurs mitbestimme und ständig Informationen an die Öffentlichkeit weitergebe, stelle ich meine Autorität unter Beweis.
Das ist die offizielle Kommunikationsschiene, aber das ist noch lange nicht alles. Es gibt viele Player und Akteure, die beteiligt sind. Da hängt es von der Medienkompetenz der einzelnen Kardinäle ab. Manche nutzen die Social Media-Kanäle recht geschickt, um sich selber zu inszenieren, andere bleiben traditionell zurückhaltend oder lehnen Social Media ab. WIederum andere agieren auch eher ungeschickt. Das ist sehr unterschiedlich.
DOMRADIO.DE: Beeinflussen die sozialen Medien möglicherweise das Verhalten der Kardinäle vor und während des Konklaves?
Paganini: Das würde ich weniger denken. Die Kardinäle sind alle Persönlichkeiten, die aus einer Vor-Social-Media-Zeit kommen, sie sind ohne Social Media sozialisiert. Sie bilden sich ihre Meinung auf andere Weise. Im Konklave gibt es viele Gelegenheiten zur Meinungsbildung. Da werden Reden gehalten, es finden Austauschverständigungsprozesse statt. Dort wird hauptsächlich die Entscheidung fallen beziehungsweise im Umfeld, in den diversen inoffiziellen Gesprächen, natürlich auch im Gebet. Wenn man der offiziellen Storyline glauben möchte, ist das Gebet sehr wichtig.
Ich kann mir nur vorstellen kann, dass, wenn über Social Media solche "Skandälchen" generiert werden, die Kardinäle sagen: Diese Personen können wir eigentlich nicht mehr wählen, weil sie in der Öffentlichkeit schon so desavouiert worden ist.
Aber das würde ich nur in Ausnahmefällen sagen, wenn es überhaupt gelingt, einen Skandal eskalieren zu lassen. Das ist bei den beiden genannten Kardinälen nur bedingt gelungen, weil sie sich beide klar distanziert haben und die problematisch wahrgenommenen Szenen meines Erachtens gut erklären und kontextualisieren konnten.
DOMRADIO.DE: Wie verändert diese mediale Aufmerksamkeit auf Plattformen wie Instagram oder auch TikTok die weltweite Wahrnehmung des Konklares?
Paganini: Die Sichtbarkeit wird größer und Menschen, die sonst wenig Berührung mit der katholischen Kirche haben, interessieren sich mehr. Da geht es viel um Inszenierung, denn es ist ein Geschehen, das für die breite Öffentlichkeit zunächst nicht besonders interessant ist, weil es abgeschottet stattfindet und wir die Vorgänge nicht nachvollziehen können, bis endlich der Rauch aufsteigt. Auch im Nachhinein werden wir es nicht nachvollziehen können, weil die Wahlzettel verbrannt werden. Es wird nichts über den Prozess kommuniziert.
Aber durch die geeignete mediale Inszenierung entsteht insgesamt ein größeres Interesse. Das weckt ganz unterschiedliche Reaktionen, von theologischen Kommentaren mit Tiefgang bis zu Memes, die viral gehen. Die sozialen Medien machen ein abgeschottetes Ereignis stärker zu einem öffentlichen. Den Prozess selbst verändern sie weniger, aber sie bringen mit sich, dass Menschen stärker darüber sprechen.
DOMRADIO.DE: Könnte man sagen, dass die sozialen Medien das Konklave demokratisieren oder eher auch verzerren?
Paganini: Weder das eine noch das andere. Verzerren können sie nur die Wahrnehmung. Indem ich mich auf die Welt beziehe, egal ob in der medialen Berichterstattung oder indem ich über meine Weltwahrnehmungen spreche, entsteht immer Verzerrung. Das ist ein typisches Merkmal von Kommunikation. Das würde ich nicht besonders aufregend finden.
Demokratisieren aber ganz sicher nicht, weil es ein völlig undemokratischer Prozess ist. Das ist eine kleine überschaubare Gruppe, die eine Entscheidung von weltweiter Wirkung trifft. Die brauchen keine Massen. Sie brauchen keine Wähler zu erreichen, wie zum Beispiel ein Präsidentschaftskandidat in den USA. Die Massen, die durch Social Media erreicht werden, sind für die Entscheidungsfindung im Konklave völlig irrelevant.
Es geht da überhaupt nicht um Demokratisierung, das Konklave soll nicht demokratisiert werden. Einerseits aus Machtinteressen, weil es de facto um ganz konkrete Machtinteressen geht. Da wäre es unsinnig, die Macht aus der Hand zu geben.
Zum anderen ist es theologisch gar nicht möglich, weil die Idee hinter dem Prozess nicht die ist, dass die Kardinäle die Entscheidung treffen, sondern dass der Heilige Geist durch die Kardinäle spricht und sie anleitet, seinen Willen zu verstehen und nach seinem Willen zu agieren. Ein Kardinal hat in einem der Interview der letzten Tage gemeint, der Heilige Geist wüsste schon, wer der nächste Papst sein wird. Sie müssen das nur durch intensives Gebet und Kontemplation herausfinden.
Das Interview führte Annika Weiler.