Präsidentin des Evangelischen Kirchentags schätzt Meinungsvielfalt

"Beherzt in den Dialog gehen"

Auf dem "Roten Sofa" hat sich die Präsidentin des Evangelischen Kirchentags mit Bundestagspräsidentin Julia Klöckner unterhalten. Dies Gesprächsformat zeige, dass der Kirchentag "mutig im Widerspruch" sein will, sagt Anja Siegesmund.

Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (r.) und die Präsidentin des 39. Evangelischen Kirchentags Anja Siegesmund.  / © Tim Wegner  (epd)
Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (r.) und die Präsidentin des 39. Evangelischen Kirchentags Anja Siegesmund. / © Tim Wegner ( epd )

DOMRADIO.DE: Ein Format beim Evangelischen Kirchentag nennt sich das “Rote Sofa"? Was hat es damit auf sich?

Anja Siegesmund (Präsidentin des 39. Evangelischen Kirchentags): Das "Rote Sofa" ist ein Angebot verschiedener evangelischer Medien, die ein halbstündiges Gesprächsformat journalistisch begleitet initiieren. Christian Wulff ebenso wie Margot Käßmann und viele andere Gäste waren dort während des Kirchentags. 

Es geht darum, eine halbe Stunde lang ins Gespräch darüber zu kommen, was den christlichen Glauben im Leben des Einzelnen ausmacht und wie er sich selber positioniert. Es ist ein sehr nahbares Format, das zeichnet es aus.

DOMRADIO.DE: Julia Klöckner war beim Kirchentag für die Bibelarbeit erwartet worden, spontan war sie auch auf dem "Roten Sofa". Wie ist das zustande gekommen?

Siegesmund: Da uns Friedrich Merz leider abgesagt hat, haben wir uns sehr gefreut, dass Julia Klöckner seine Bibelarbeit übernommen hat. Deswegen ist sie zum Kirchentag nach Hannover gereist. Anna Nicole Heinrich, die Präses der EKD und ich haben uns vor zwei Wochen beim Vorbereiten für unser beider Bibelarbeit intensiv darüber unterhalten, wie wir das Osterinterview der Bundestagspräsidentin bewerten. Im Kern geht es dabei um die Frage, wie politisch Kirche sein darf, wie tagesaktuell Kirche sein soll und was ihre Kernaufgaben sind. 

Wir haben Frau Klöckner eingeladen, um mit ihr auf dem "Roten" Sofa darüber zu diskutieren, wie wir die Dinge einschätzen. Für den Kirchentag kann ich deutlich machen: Kirchentag ist politisch, denn er hat den Anspruch, Zeitansage zu sein. Ich wünsche mir gleichsam eine laute Kirche bei den großen, relevanten Fragen dieser Zeit. 

Wir haben beim Thema Zusammenhalt in der Gesellschaft, bei autoritären Systemen, die immer stärker werden, oder bei der Frage des Klimaschutzes viele lose Enden in unserer Gesellschaft. Da tun wir gut daran, jede Plattform zu nutzen, wo wir im respektvollen Diskurs, getragen von Nächstenliebe und gegenseitiger Nähe, die Dinge voranbringen und voranbewegen. Das zeichnet auch das Format des "Roten Sofas" aus.

Anja Siegesmund

"Kirchentag ist politisch, denn er hat den Anspruch, Zeitansage zu sein."

DOMRADIO.DE: Sind sie zufrieden mit der Diskussion mit Frau Klöckner auf dem "Roten Sofa"?

Siegesmund: Ich freue mich, dass sich Frau Klöckner der Diskussion gestellt hat. Der Kirchentag zeichnet sich dadurch aus, dass er mutig im Widerspruch sein möchte. Ich würde sagen, die unterschiedlichen Positionen sind deutlich geworden. Der Kirchentag will auch stark in den Argumenten sein - auch da sind die unterschiedliche Position sichtbar geworden. 

Wir wollen beherzt in den Dialog gehen und das Miteinander stärken. Dazu ist es gut, die unterschiedlichen Haltungen sichtbar zu machen. Am Ende steht das Versöhnliche, am Ende wollen wir doch vor allen Dingen eins: Wir wollen, dass christlicher Glaube im täglichen Leben rund um die Uhr eine Rolle spielt für jeden und jede. 

Dazu gehört in dieser Zeit, wo viele Menschen Orientierung suchen, auch Positionierung. Wie genau die an bestimmten Stellen aussieht, muss gar nicht in Form einer Pressemitteilung verkündet werden. Es geht darum, dass Kirche Räume öffnet, um die offenen Fragen zu thematisieren. Ich glaube, da sind wir uns im Grunde alle einig.

Anja Siegesmund

"Wir wollen, dass christlicher Glaube im täglichen Leben rund um die Uhr eine Rolle spielt für jeden und jede."

DOMRADIO.DE: Sie haben schon angedeutet, wie politisch die Kirche in Ihren Augen sein soll. Bei einer Pressekonferenz haben Sie außerdem gesagt, was der Kirchentag ist und was er nicht ist. Vielleicht können Sie das für die Menschen, die es nicht gehört haben, nochmal deutlich machen?

Siegesmund: Der Evangelische Kirchentag ist eine Laienbewegung, 1949 in Hannover gegründet, aus der festen Überzeugung heraus, dass Christinnen und Christen in der Zeit des Nationalsozialismus gemeinsam mit den verfassten Kirchen zu wenig getan haben. Sie haben zu wenig getan, um Menschen zu schützen, zu retten und dem Nationalsozialismus die Stirn zu bieten. 

Deswegen ist der Kirchentag 1949 als Laienbewegung unterschiedlichster gesellschaftlicher Gruppen entstanden: Theologen ebenso wie Journalisten, Unternehmer ebenso wie Politiker und alle Professionen, die man sich vorstellen kann, haben ihn bereichert. Basierend auf dem christlichen Glauben ist er entstanden mit dem Ziel, alle zwei Jahre Plattform zu sein für aktuelle gesellschaftliche Fragen. 

Es gibt immer drei feste Säulen, dazu gehört ein festes theologisches Programm. Ich staune über das riesige Interesse. Die Bibelarbeiten waren randvoll. Wir haben zum Teil die Türen geschlossen, weil die Kapazitäten erschöpft waren, viele Leute mussten vor den Türen stehen bleiben. Ich habe meine eigene Bibelarbeit erlebt und es mir von vielen anderen erzählen lassen. Wir haben eine hohe theologische Tiefe. 

Die zweite Säule sind gesellschaftspolitische Themen: Wir stellen Podien zusammen, wo es darum geht, wie wir beim Thema X oder Y weiterkommen. Ricarda Lang und Philipp Amthor haben zum Beispiel über die Frage diskutiert, wie Würde im täglichen Leben in unterschiedlichsten Facetten des Alterns gewahrt werden kann und wie sie aus ihrer christlichen Haltung heraus dazu stehen. 

Die dritte feste Säule ist das kulturelle Programm: Wenn man nach einer Bibelarbeit oder nach einem tollen Podium mit unterschiedlichsten Akteuren aus der Gesellschaft abends zum Beispiel noch zum Segen zur Nacht gehen möchte, vorher aber noch bei einem Konzert vorbeischaut, dann ist das ein Komplettprogramm, das es beim Kirchentag gibt.

DOMRADIO.DE: Sie haben erwähnt, dass Ihre Tochter eine Veranstaltung besucht hat und sagte, dass sie diese Veranstaltungen im Vergleich zu vielen anderen Gottesdiensten in letzter Zeit sehr berührt hat. Was für eine Veranstaltung war das?

Siegesmund: Wir waren bei der Bibelarbeit von Angela Merkel und wir waren bei der Bibelarbeit von Mariann Budde. Das ist die amerikanische Bischöfin, die Trump bei seiner Antrittsrede die Stirn geboten und gesagt hat: "Seien sie barmherzig, übersehen sie nicht die Schwächsten in unserer Gesellschaft." Die Menschen zeigen dort eine große Tiefe. Sie sind in den Bibelarbeiten natürlich Mensch - Angela Merkel Politikerin - aber sie sind auch Christen. 

Bei Mariann Budde war es insbesondere das Selbstverständnis, aus dem theologischen herauskommend eine gesellschaftspolitische Wirkung zu entfalten. Das ist nur beim Kirchentag möglich und das berührt. Meine Tochter war davon sehr berührt, weil es erstens nicht die festen liturgischen Abläufe wie in Gottesdiensten sind und zweitens sehr berührende Momente sind, wenn sich der Mensch hinter der Bibelarbeit zeigt. 

Anja Siegesmund

"Wie groß ist das, dass wir eine internationale Vernetzung unter den Kirchen haben und solche Dinge hier zusammentragen können?"

Das macht den Kern der Kirchentagsbewegung aus, dass wir im gegenseitigen Verständnis darum, was uns zusammenhält, solche Momente suchen. Mariann Budde hat diesen wunderbaren Satz geprägt: Mut und Stärke sind nichts ohne Liebe. Sie hat also die Losung des Kirchentages genommen und für sich eingeordnet. 

Wie groß ist das, dass wir eine internationale Vernetzung unter den Kirchen haben und solche Dinge hier zusammentragen können? Ich empfinde diesen Kirchentag, genau wie meine Tochter, als riesiges Geschenk.

Das Interview führte Lara Burghardt.

Kirchentagslosung 2025

Der 39. Deutsche Evangelische Kirchentag 2025 in Hannover vom 30. April bis 4. Mai steht unter der Losung "mutig - stark - beherzt" aus dem ersten Brief des Paulus an die Korinther (1 Kor 16,13-14). Laut Kirchentagspräsidentin Anja Siegesmund passt die biblische Losung "in diese Zeit wie keine zweite". Es brauche Mut, um Herausforderungen wie den Krieg in Europa oder die Klimakrise anzugehen. Die Leitworte der Kirchentage gelten als Zeitansage: Sie sollen eine Brücke zu aktuellen Themen bilden.

Beginn des 39. Deutschen Evangelischen Kirchentags am Mittwoch dem 30.04.2025 in Hannover. / ©  Tim Wegner (epd)
Beginn des 39. Deutschen Evangelischen Kirchentags am Mittwoch dem 30.04.2025 in Hannover. / © Tim Wegner ( epd )
Quelle:
DR

Die domradio- und Medienstiftung

Unterstützen Sie lebendigen katholischen Journalismus!

Mit Ihrer Spende können wir christlichen Werten eine Stimme geben, damit sie auch in einer säkulareren Gesellschaft gehört werden können. Neben journalistischen Projekten fördern wir Gottesdienstübertragungen und bauen über unsere Kanäle eine christliche Community auf. Unterstützen Sie DOMRADIO.DE und helfen Sie uns, hochwertigen und lebendigen katholischen Journalismus für alle zugänglich zu machen!

Hier geht es zur Stiftung!