DOMRADIO.DE: Papst Franziskus ist vor wenigen Tagen gestorben. Er war ein Mahner, auch in der weltweiten Gemeinschaft. Er hat zu mehr Gerechtigkeit aufgerufen, auch das Wirtschaftssystem kritisiert. Vermissen Sie Papst Franziskus und was nehmen Sie von seiner Kritik auf?
Svenja Schulze (SPD-Politikerin und Entwicklungshilfeministerin): Gerade angesichts der derzeitigen Diskussion in Deutschland, wie politisch Kirchen eigentlich sein dürfen, vermisse ich diese mahnende Stimme. Er hat immer wieder darauf hingewiesen, dass die Wirtschaftssysteme der Welt gerechter werden müssen. Dass wir uns für den Planeten einsetzen müssen und dafür sorgen müssen, dass auch die zukünftigen Generationen noch eine Perspektive haben.
Solche Stimmen finde ich enorm wichtig, deswegen finde ich auch einen Kirchentag so wichtig. Man kommt zusammen, man diskutiert miteinander und schätzt die Welt ein, wie sie im Moment ist. "Beherzt" – das steckt im Kirchentagsmotto – bedeutet für mich, dass man aktiv wird. Als Entwicklungsministerin sehe ich, wie viele Menschen engagiert sind. Das gibt mir immer wieder Zuversicht und Mut.
DOMRADIO.DE: Sie haben die Diskussion angesprochen in Deutschland, die unter anderem von Julia Klöckner ausgelöst wurde, inwiefern sie sich zur Tagespolitik äußern soll. Was wünschen Sie sich von den Kirchen?
Schulze: Ich wünsche mir eine starke Stimme der Kirchen. Ich schätze das Wertesystem der Kirchen. Die vielen Mitglieder wollen solidarisch sein und Mitmenschlichkeit leben. Sie wollen die Schöpfung erhalten und sich darum kümmern, dass dieser Planet auch für die nächsten Generationen lebenswert bleibt.
Dieses klare Wertegerüst ist enorm wichtig in der jetzigen Zeit. Eine starke Stimme der vielen Menschen, die in Kirchen engagiert sind, ist wichtig für unsere Gesellschaft. Wir würden sehr viel verlieren, wenn eine der größten Nicht-Regierungsorganisationen, die wir haben, verstummen würde. Sie müssen sich in die aktuellen Debatten einmischen. Das hat eine lange Tradition, die darf nicht abbrechen.
DOMRADIO.DE: Sie sprechen auf dem Kirchentag bei einem Podium, bei dem es um Finanzgerechtigkeit geht. Was ist Ihnen wichtig bei dem Thema?
Schulze: Die Finanzen sind sehr wichtig. Wenn wir es schaffen würden, die vielen Anlagemöglichkeiten, die es gibt, in eine nachhaltige Richtung zu bringen, wäre für die gesamte Welt sehr viel gewonnen. Im Moment haben wir das Vorgehen, dass wir sagen, dass es eine sogenannte ODA-Quote gibt: Das, was in Entwicklung investiert werden soll, sind 0,7 Prozent des Brutto-Nationaleinkommens. 0,7 Prozent also von allem, was in Deutschland erwirtschaftet wird.
Aber wenn 0,7 Prozent für Gerechtigkeit in der Welt, für Gesundheitssysteme und für den Klimaschutz eingesetzt werden und 99,3 Prozent dagegen arbeiten, wird es nicht funktionieren. Das Investment der vielen Menschen mit Geld in die richtigen Richtungen zu lenken, sodass es sich für die Zukunft der nächsten Generation lohnt und wir in eine nachhaltige Welt investieren, ist enorm wichtig.
Es ist leichter gesagt als getan, deswegen gibt es hier beim Kirchentag eine Diskussion darüber. Finanzwirtschaft klingt zuerst nach einem trockenen Thema, aber es ist ein wirklich wichtiges. Darüber wird eine Menge in unserer Gesellschaft entschieden. Deswegen freue ich mich, dass wir hier über nachhaltige Finanzen diskutieren.
DOMRADIO.DE: Weltweit sind Religionsgemeinschaften und Kirchen wichtige Akteure. Wie sehen Sie das in der Entwicklungszusammenarbeit? Welche Rolle hat die Kirche?
Schulze: Erstmal muss man sehen, dass neun von zehn Menschen auf der Welt religiös sind. Religionsgemeinschaften haben demnach eine enorm wichtige Rolle, um Menschen zu erreichen. Gerade die großen Kirchen aus Deutschland sind in der Entwicklungszusammenarbeit sehr engagiert.
Ich treffe hier zum Beispiel eine Klimaaktivistin aus Uganda, die sich dafür einsetzt, dass man sich an die schlimmen Klimaveränderungen in Uganda anpasst. Sie kann diese Arbeit machen, weil sie von "Brot für die Welt" unterstützt wird. Das ist unmittelbare Solidarität, die da wirkt.
Daran sieht man, wie wichtig kirchliche Organisationen sind. Sie erreichen oft Menschen in Ländern, die über andere und über staatliche Unterstützung überhaupt nicht mehr erreicht werden können. Sie sind bei den Ärmsten und Schwächsten. Das ist enorm wichtig für unsere Gesellschaft als Ganzes.
DOMRADIO.DE: Donald Trump hat viele Gelder für die Entwicklungshilfe gestrichen. Kann das überhaupt von Deutschland, der europäischen Gemeinschaft oder der Weltgemeinschaft aufgefangen werden?
Schulze: Zuerst ist es wirklich dramatisch, was die USA gerade machen. Sie streichen nicht nur das Geld, sie haben es von einem Tag auf den anderen gestrichen. Das hat zum Beispiel in Äthiopien dazu geführt, dass noch Lebensmittel in den Lagern waren, die nicht ausgegeben werden konnten, weil die Leute entlassen wurden. Hungernde Menschen bekamen keine Lebensmittel mehr. Das ist eine wirkliche Katastrophe, wenn man das so macht.
Kann die Welt das auffangen? Es ist eine enorme Summe. Je nachdem, wie man rechnet, haben die USA jedes Jahr rund 64 Milliarden Euro für die Entwicklungszusammenarbeit ausgegeben. Das werden wir so schnell nicht ersetzen können.
Aber der nächstgrößte Geber ist Europa. Das heißt, wir müssen uns europäisch besser koordinieren. Wir müssen mehr miteinander machen, um das Geld, was jetzt fehlt, zu ersetzen und versuchen, wenigstens das Schlimmste aufzufangen. Das tun wir bereits. Wir kümmern uns darum, dass die Gesundheitssysteme bleiben. Wir wissen seit Corona, wie wichtig Gesundheitssysteme sind. Wenn das letzte Krankenhaus in einem der ärmsten Staaten zusammenbricht, schadet das nicht nur den Menschen dort. Das kostet nicht nur Menschenleben, die nächste Pandemie kann sich auch viel schneller verbreiten.
Damit ist es für die ganze Welt wichtig, dort Gesundheitssystem zu schaffen. Sich besser koordinieren und aufzufangen, was geht – das ist es, was wir jetzt tun. Ich kann nur hoffen, dass die US-Regierung merkt, wie wichtig diese internationale Arbeit auch für sie selber ist. Es war nicht nur reines Mitgefühl, dass sich die USA so stark international engagiert haben. Das hat ihnen auch selber genutzt und ich hoffe, dass sie dahin zurückfinden.
Das Interview führte Roland Müller.