Theologen fordern klare Kriterien für Päpste und ihre Wähler

Ginge eine Papstwahl etwas synodaler?

Am 7. Mai beginnt die Wahl eines neuen Oberhaupts der katholischen Kirche. Die ist in vielem streng geregelt. Nicht aber in einigen wesentlichen Punkten, sagen zwei Theologen. Sie fordern klare Kriterien für Päpste und ihre Wähler.

Autor/in:
Roland Juchem
Kardinäle im Petersdom / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Kardinäle im Petersdom / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

Kaum ist ein Papst gestorben, beginnen die Spekulationen, wer sein Nachfolger wird. Mancher Kardinal schaltet sich mit öffentlichen Bemerkungen oder Einschätzungen an vertraute Journalisten in die Debatte ein. Aber auch Gläubige, Theologen, Wettbüros und vor allem Medienvertreter beginnen einen - wie manche kopfschüttelnd sagen - "Zirkus" um die "exklusivste Wahl der Welt".

Seit Beginn der Generalkongregationen lauern Kamerateams, Fotografen und Reporter vor dem Vatikan jenen Kardinälen auf, die nicht im Vatikan untergebracht sind. Wie eine Meute stürzen sie sich auf jeden Kardinal, der sich dem Eingang nähert. "Eminenz, eine Frage ...", "Wie ist die Stimmung?", "Ist die Kirche nach Franziskus so gespalten?", "Brauchen wir einen konservativen oder progressiven Papst?"

Peter Beer / © Francesco Pistilli (KNA)
Peter Beer / © Francesco Pistilli ( KNA )

"All das ist dem Amt unangemessen und wäre wahrscheinlich auch Papst Franziskus zuwider", kritisiert Peter Beer und erinnert an dessen Worte zu Beginn des Pontifikats: "Der Karneval ist vorbei" und "Bitte kein Geschwätz mehr ...!" Der frühere Münchner Generalvikar und jetzige Leiter "Forschung und Entwicklung" am Safeguarding-Institut der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom hat zusammen mit dem Jesuiten Hans Zollner sich einige grundsätzliche systemische Gedanken rund um die Papstwahl gemacht.

Es sei "höchste Zeit, klare Kriterien zu benennen und das Verfahren zu reformieren", schreiben sie in einem Beitrag für die Zeitschrift "Cicero". Zumal nach dem Franziskus-Pontifikat, das die katholische Kirche synodaler machen wollte. "Wenn die Kirche keine Demokratie ist, wie es immer heißt, dann muss sie zumindest bei der Wahl eines Papstes besser sein", formuliert Beer im Gespräch mit dem "KNA-Hintergrund". "Beten allein genügt nicht."

Im Christentum gehe es stets um doppelte, aber zusammenhängende Fragen: "Wie kann der unendliche Gott in dieser endlichen Welt wirksam werden?" oder "Wie kann er zugleich die absolute, über jede Einzelperspektive hinaus erhabene Wahrheit und ebenso derjenige sein, der sich der konkreten Sorgen und Nöte der Menschen annimmt?" Solche Fragen ließen sich nicht mit dem "Entweder-oder-Schema progressiv-konservativ" beantworten. Die Kirche, samt Papst und Kurie, brauche stets Bewahrendes wie Bewegliches.

Es drohen "Kardinalfehler"

Für die Phasen vor, während und nach der Wahl eines Papstes benennen Beer und Zollner mehrere "Kardinalfehler":

1. Kardinalfehler: Man schaut nur auf den einzelnen Kandidaten. Was aber, so fragen die Theologen, ist mit jenen, die ihn wählen oder später mit ihm zusammenarbeiten sollen?

2. Kardinalfehler: Man meint, mit der Wahl sei alles erledigt. Eher weniger werde zumindest öffentlich darüber gesprochen, dass mit der Wahl eine Amtszeit beginnt, bei der "alle Beteiligten immer weiter auf der Suche nach dem Richtigen in Reden und Tun sind oder wenigstens sein sollten".

3. Kardinalfehler: Man meint, die da oben - der neue Papst und seine Kurie - hätten alle Probleme zu lösen. Ein solches Kirchenverständnis entspricht indes kaum einer Gemeinschaft des Gottesvolkes mit mündigen Gläubigen.

Mit diesen Kardinalfehlern sieht Beer entsprechende Problemfelder verbunden:

1. Problem: Wer sind die Papst-Wähler - oder: Wie und warum wird man Kardinal? Bisher geschieht dies offenbar entweder nur auf Grund dessen, dass es im Blick auf einen Bischofssitz immer schon so war oder durch eine einsame Entscheidung eines Papstes, der seine Gründe dafür nicht öffentlich macht. Nach kirchlichen Normen sollen Kardinäle den Papst bei der Leitung der Weltkirche unterstützen - und irgendwann seinen Nachfolger wählen. Sie müssen also das Wohl der gesamten Weltkirche im Blick haben, sollen keine Lobbyisten ihrer Region, ihres Kontinents oder Ordens sein.

Allein, dass jemand von den vermeintlichen Rändern der Weltkirche komme, sei noch kein Kriterium, Kardinal zu werden, so die beiden Theologen. Auf Nachfrage nennt Beer etwa die Fähigkeit, die weltpolitische Relevanz von Themen und dazu gehörende Mechanismen sowie Gefahren und Risiken einschätzen zu können. Hierzu gehören auch die Themen Bestechung und unrechtmäßige Beeinflussung insbesondere vor einer Papstwahl.

Kardinäle müssen unabhängig sein. Wie aber verhält es sich zum Beispiel im Verhältnis von Kardinälen aus armen Diözesen zu solchen aus reichen? Zollner und Beer weisen darauf hin, dass die Kirchengeschichte genügend Beispiele bietet, wie Einfluss subtil ausgeübt werden kann. Wie soll ein Kardinal, der sich aus welchen Gründen auch immer unfrei fühlt, später dem Papst noch widersprechen oder kritisch raten?

Konklave/Papstwahl

Frühestens am 15., spätestens nach Ablauf von 20 Tagen nach dem Tod oder Amtsverzicht eines Papstes müssen die Kardinäle zur Wahl eines Nachfolgers (Konklave) zusammentreten. Sie werden dazu vom Dekan des Kardinalskollegiums einberufen. 

Der Begriff Konklave stammt aus dem klassischen Latein und bedeutet "verschlossener Raum". Denn während des Wahlvorgangs sind die Kardinäle von der Außenwelt abgeschlossen.

Konklave (KNA)
Konklave / ( KNA )

Weiteres: Wie sehr repräsentiert das Kardinalskollegium als Papstwählerschaft das gemeine Kirchenvolk. Beer und Zollner wollen nicht so weit gehen, das jahrhundertealte ausschließliche Wahlrecht der Kardinäle abzulösen. Aber in puncto Kompetenzen, Persönlichkeit, regionaler und sozialer Erfahrungshorizont sollte es doch Kriterien geben. Die im Kardinalskollegium versammelten Kompetenzen, Repräsentanzen und deren Konvergenz im Team müssten gesichert sein.

2. Problem: Kennen die Kardinäle einander gut genug? Immerhin wird höchstwahrscheinlich einer von ihnen zum Papst gewählt. "Reicht es aus, sich dazu in den zwei Wochen vor einem Konklave auszutauschen?", fragt Beer. Die Wahlberechtigten sollten einander gut kennen, mit ihren Sorgen, Nöten, Kompetenzen.

Der Grundsatz, "Geh nicht zu deinem Fürsten, wenn du nicht gerufen wirst", gelte nicht für ein synodales Kardinalskollegium. Vielmehr sollten seine Mitglieder "eigenaktiv und selbstbewusst, strukturiert und regelmäßig, inhaltlich orientiert und in die Breite des Volkes Gottes vernetzt", nach synodalen Grundsätzen Kontakt pflegen und sich austauschen.

3. Problem: Was sind die Kriterien für das Papstamt? Und speziell für ein anstehendes neues Pontifikat? Darüber tauschen sich die Kardinäle zwar aus, einige äußern sich in Interviews. Aber nachvollziehbar festgehalten werde dies nicht, so Beer. "Wer sagt später, warum genau der neue Papst gewählt wurde?"

Zwar wurden nach der Wahl von Franziskus einige Themen aus dem Vorkonklave bekannt; der Papst selbst begründete so einige seiner Maßnahmen. Aber Beer wünscht sich so etwas klarer formuliert: "Der Heilige Vater soll sagen: Aus diesen Gründen wurde ich gewählt und deshalb sieht mein Programm nun so aus ..." Die Kardinäle aber müssten dies mittragen, kommunizieren und später beim Papst auch nachfragen. "Wähler und Gewählter müssen sich umeinander kümmern", fordert Beer. Kardinäle müssten dem von Ihnen Gewählten später daran erinnern, weshalb er gewählt wurde.

Hans Zollner / © Francesco Pistilli (KNA)
Hans Zollner / © Francesco Pistilli ( KNA )

"Es ist wie im Fußball mit den Geisterspielen", beklagen sich Zollner und Beer in ihrem Beitrag. "Die kardinalroten Stars spielen vor leerem Stadion, und das Interesse des außerhalb platzierten Publikums flacht mitunter mangels echter Partizipation nach der Wahl rasch wieder ab." Die Kriterien für die Wahl, ob und wie sie sich nach der Wahl auswirken, interessiere bald nicht mehr. "Da wendet man sich lieber anderen Dingen zu wie Kleidung, Wohnsitz, Essen, Einkaufsorte etc. Nett, aber was zählt wirklich und wie viel und vor allem wie lange?"

Angesichts der mitunter extremen Reaktionen nach dem weißen Rauch aus der Sixtina - himmelhoch-jauchzend oder zu Tode betrübt -, weil der neue Mann in Weiß genau der ist, den man wollte oder befürchtete, wollen Beer und Zollner die Frage, "Wer ist papabile?", nicht nur auf die unter 80-jährigen Purpurträger angewendet wissen. Sondern auch auf die inner- wie außerkirchliche Öffentlichkeit.

"An einem Abend mit Eventcharakter emotionstrunken bei Kerzenschein aus unbestimmten Gründen dem Neuen zuzujubeln", reicht für sie genauso wenig "für einen verantwortlichen Umgang mit einer Papstwahl wie Diskussionen im Vorfeld, deren Argumente und Tragfähigkeit letztlich dem Zufall obliegen." Damit das gesamte Papstwahlverfahren dem hohen Anspruch besser genüge, müsse es synodaler werden. Dazu gehörten "Transparenz, Compliance und Rechenschaftspflicht". Dafür aber sollten sowohl die Kriterien für einen Kardinalshut wie fürs Papstamt alle fünf bis zehn Jahre turnusmäßig erneut diskutiert und nachjustiert werden. Und nicht nur, wenn ein Papst gestorben ist. Mit Synodalität bei der Papstwahl, so Zollner und Beer, hätte das Wir im "Habemus papam" eindeutig gewonnen.

Quelle:
KNA