Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, sieht beim Thema Migration im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung Licht und Schatten. Die Anerkennung Deutschlands als Einwanderungsland sowie das gewahrte Grundrecht auf Asyl seien positiv, sagte der Limburger Bischof der Kölnischen Rundschau (Samstag). Auch dass der Bund gemeinsam mit Ländern und Kommunen für einen Ausgleich der Aufnahme- und Integrationsleistungen sorgen wolle, sei gut.
Kritisch bewertet Bätzing hingegen die geplante Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär geschützte Flüchtlinge. "Die Familie ist ein hohes Gut", sagte er. "Menschen, die von ihrer Familie getrennt sind, erfahren dadurch eine erhebliche Belastung und können sich nur schwer auf den voraussetzungsvollen Prozess der Integration einlassen."
Sorge um katholische AfD-Wähler
Zudem lehnt der Bischof die im Koalitionsvertrag angekündigten Zurückweisungen von Asylsuchenden an den Grenzen ab, auch wenn diese "in Abstimmung mit den deutschen Nachbarn" erfolgen sollen. Er begrüße zwar den europäischen Bezug, halte aber "den Ruf nach Grenzschließungen" für problematisch.
Scharfe Kritik übte Bätzing an der migrationspolitischen Debatte im Bundestagswahlkampf. Die Polarisierung habe "nur den Radikalen" geholfen. Besonders sorgenvoll blickt er auf die Wahlerfolge der AfD. Viele Wähler der AfD kämen aus dem katholischen Spektrum, "und das macht mir die größte Sorge", sagte Bätzing. "Es ist ja gerade im Wahlkampf klar geworden, welche rassistischen, nationalistischen, völkischen und antieuropäischen Positionen Vertreter der AfD öffentlich beziehen."
Schwarz-Weiß-Malerei stärkt nur die Radikalen
"Ich kann mir nicht mehr vorstellen, dass jemand, der die AfD gewählt hat, nicht weiß, was er wählt", sagte Bätzing. Es gelte, alles zu tun, um diese Menschen zurückzugewinnen. Viele AfD-Wähler hätten zuvor anders gewählt und seien offenbar politisch enttäuscht. Die Schwarz-Weiß-Malerei im Wahlkampf bezeichnete der Bischof als "fast unerträglich" – sie stärke nur die radikalen Kräfte.
Ängste etwa um die wirtschaftliche Zukunft, das Auskommen der eigenen Kinder und die Rente würden mit dem Migrationsthema verbunden, so der Bischof; "und da ziehen Rattenfänger die Menschen an, wenn sie einfache Lösungen versprechen". Die Wirklichkeit sei viel komplizierter. "Aber diese Leute stehen ja nicht in Regierungsverantwortung", sagte Bätzing; "und wir müssen alles dafür tun, dass sie auch niemals dahinkommen."
Nie gefordert alle aufzunehmen
Auch zur Rolle der Kirchen in der Migrationshilfe äußerte sich Bätzing: Dass Deutschland aus Solidarität alle Flüchtlinge aufnehmen müsse, hätten die Kirchen nie gefordert, betonte der Bischofskonferenz-Vorsitzende. Sie verwiesen aber auf das Grundrecht auf Asyl und auf das Schutzbedürfnis von Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlingen. "Menschen in Not muss geholfen werden." Das sei zwar "in gewisser Weise radikal – aber es ist kein Lippenbekenntnis".
Kirchenmitglieder begleiteten Migranten schon lange, erinnerte der Bischof. Allein die katholische Kirche habe seit 2015 mehr als eine Milliarde Euro für die Flüchtlingsarbeit und für Fluchtprävention aufgebracht.
Forderung nach Kirchenreformen
Im Blick auf die katholische Kirche bekräftigte Bätzing seine Forderung nach Reformen. "Derzeit bauen wir noch Hürden – gerade für junge Menschen", sagte er. Besonders junge Frauen empfänden die Kirche als nicht anschlussfähig, solange ihnen der Zugang zu sakramentalen Ämtern verweigert werde.
Die Frage des Diakonats der Frau sei mittlerweile "auf dem Tisch der gesamten Weltkirche" – sie sei ins Abschlussdokument der jüngsten Weltsynode aufgenommen worden. "Unkenrufe, man führe die Leute an der Nase herum, haben sich nicht bewahrheitet", betonte Bätzing. Zwar würden solche Reformen nicht sofort eine Trendumkehr bringen. "Aber wenn diese Hürden genommen sind, hilft uns das, mit Menschen überhaupt wieder über das Entscheidende des Glaubens zu reden."
"Stark institutionenkritische Gesellschaft"
Er verwies zugleich auf den Vertrauensverlust der Kirche: die Krisensituation der Kirche habe viel "mit eigenen Fehlern zu tun; mit Skandalen, vor allem mit den Verbrechen sexuellen Missbrauchs". Dieser Vertrauensverlust sei "unsere eigene Schuld". Hinzu komme ein "stark institutionenkritisches Verhalten in einer liberalen Gesellschaft". ass sich die Menschen frei entscheiden können, sei ein hoher Wert, so der Bischof. "Das heißt aber auch: Wir müssen für unsere gute Botschaft werben. Das müssen wir neu lernen."
Auch wenn man sicher "nicht zu einer massenhaften Kirchlichkeit zurückkehren" werde, könne man der Entwicklung etwas entgegensetzen, betonte Bätzing. Denn es sei spürbar, dass die Menschen nach Orientierung und Halt suchten. Insgesamt sei ihm lieber, so der Limburger Bischof, "wenn meine Argumente zählen, als wenn ich als Lobbyvertreter einer möglichst großen und mächtigen Institution gelte". Die Kirchen würden kleiner und weniger wohlhabend. Das heiße aber nicht, dass ihre Argumente zu Lebensschutz, Sicherheit, Migration, Klima- und Schöpfungsverantwortung nicht Gehör fänden und aufgenommen würden.
"Unchristliches Verhalten christlich hinterlegen"
Die Osterbotschaft bezeichnete Bätzing als Gegenbild zur gegenwärtigen Egomanie in Politik und Gesellschaft. Mit Blick auf Donald Trump oder zum "nationalistischen Größenwahn" des russischen Präsidenten Wladimir Putin sagte Bätzing, es sei erschütternd, wenn solche Politiker "ihr unchristliches Verhalten auch noch christlich hinterlegen wollen", etwa durch demonstrative Bibelstunden bei Trump oder Putin neben dem Moskauer Patriarchen in der Osternacht mit einer Kerze in der Hand.
Die Ostergeschichte sei "das Zeichen der Solidarität schlechthin", so Bätzing; "nicht wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht – sondern wenn einer an alle denkt." Diese Haltung verkörpere Jesus Christus, der freiwillig sein Leben für andere gegeben habe.