Besuch bei Malermeister und Jahrhundertfälscher Beltracchi

"Ich mag Jesus"

Als Fälscher sorgte Wolfgang Beltracchi für einen der größte Skandale in der Kunstwelt. Sein Buch "Selbstporträt", verfasst mit Ehefrau Helene, avancierte später zum Bestseller. Vom Malen mag der 72-Jährige nicht lassen.

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Wolfgang Holz
Wolfgang Beltracchi, Maler, in seinem Atelier in Meggen (Schweiz) / © Wolfgang Holz/kath.ch (KNA)
Wolfgang Beltracchi, Maler, in seinem Atelier in Meggen (Schweiz) / © Wolfgang Holz/kath.ch ( KNA )

Irgendwie traut man sich nicht ganz über die Schwelle. Die Tür zum Atelier von Wolfgang Beltracchi, der seit acht Jahren in Meggen bei Luzern lebt, steht an diesem lauschigen Spätsommerabend zwar sperrangelweit offen. Doch die Aura des riesigen Ateliers wirkt respekteinflößend. Der Künstler und "Jahrhundertfälscher" hat sich in einem alten Ballsaal mit Jugendstil-Flair eingemietet. Plötzlich bemerkt der Besucher oben auf dem Balkon hinter der Holzbalustrade, wie Ehefrau Helene Beltracchi vor dem PC zu tun hat. "Treten Sie nur ein", ruft sie freundlich herunter. Und rechts aus der Ecke tönt plötzlich eine Stimme: "Ist es denn schon 17 Uhr? Ich komme ja gar nicht mehr zum Malen."

Arche Noah

Es ist der Maestro höchstpersönlich. Er sitzt gerade vor einem Bild mit vielen Tieren. "Das ist die Arche Noah. Mich interessiert das Thema des Neubeginns nach einer Katastrophe sehr, und ich erzähle in einem neuen Bilderzyklus gerade diese biblische Geschichte." Dass es dabei nicht unbedingt friedlich zugeht, ist einem Leguan anzusehen, der gierige Blicke auf ein Häschen gerichtet hat.

Religion ist dem 72-Jährigen nicht fremd. Schon sehr früh ist er mit der religiösen Seite der Kunst in Berührung gekommen. Sein Vater war Kirchenmaler. Ihn unterstützte der Filius bei der Arbeit. "Ich bin quasi mit Engeln und goldumrandeten Altären aufgewachsen – in kalten Kirchen", erinnert er sich. Auch Messdiener sei er gewesen. "Ich habe mich auf Beerdigungen spezialisiert, da konnte man ein bisschen Geld verdienen", sagt er und grinst.

Freies Leben in Südfrankreich

Spätestens jetzt steht die Frage im Raum: Hat er seine Fälschungen im Stile weltbekannter Künstler wie Max Ernst, Fernand Leger, Heinrich Campendonk und Kees van Dongen im Nachhinein bereut? Im christlichen Sinne etwa? "Die Bilder, die ich damals gemalt habe, habe ich nicht bereut", sagt er und lächelt vielsagend. Das sei damals ein unheimlicher Kick gewesen. "Und die Einkünfte erlaubten uns in Südfrankreich lange, ein freies Leben zu führen."

Bereut habe er allerdings dann irgendwann, den falschen Namen unters Bild gesetzt zu haben: "Das war ja der eigentliche Betrug beziehungsweise die Urkundenfälschung, für die ich strafrechtlich verurteilt wurde und ins Gefängnis wanderte", erzählt er. Er habe nie existierende Gemälde von Künstlern einfach kopiert, sondern Gemälde eben in dem Stil gemalt, wie sie ein bestimmter Künstler hätte malen können. Und das täuschend echt. Kunstexperten auf aller Welt gingen ihm auf den Leim.

Mit den "bösen Jungs" arrangiert 

2011 wurde Beltracchi in Köln für den Kunstbetrug zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Er hatte 40 Jahre lang Bilder bekannter Künstler gefälscht und als Originale verkauft. Seine Frau wurde als Komplizin zu vier Jahren Haft verurteilt. Nach eineinhalb Jahren kam das Ehepaar in den offenen Vollzug.

"Ich habe nie wieder derart bösartige Menschen kennen gelernt", erinnert er sich an die Zeit im Knast. Gleichzeitig habe er sich mit den "bösen Jungs" arrangiert. "Ich habe Mitglieder der Hell's Angels porträtiert und dafür ihren Schutz vor anderen Häftlingen genossen", sagt Beltracchi. Für manche seiner Mitinsassen sei er fast so etwas wie ein Pfarrer gewesen, der sich ihre Lebensgeschichten anhörte.

Gott und Schutzengel

Glaubt er selbst an Gott? "Ja, an eine Form von Gott", erwidert Beltracchi. "Aber nicht an jenen weißbärtigen, strengen Gott aus dem Alten Testament", setzt Ehefrau Helene seinen Satz fort. "Religion und Glauben vermögen in schwierigen Lebenssituationen Trost und Hoffnung zu spenden und einen emotionalen Halt zu geben", fügt er hinzu.

Die Kirche schätzt er wegen ihres sozialen Engagements. Deshalb sei er auch nicht ausgetreten und zahle weiterhin seine Kirchensteuer. "Wenn ich keine Kirchensteuer mehr bezahlen würde, wäre mein Schutzengel wahrscheinlich stinkig", meint Beltracchi und lacht. Er zahle im Übrigen nicht wenig Kirchensteuer, weil er inzwischen wieder gut mit seiner Kunst verdiene. Das große Arche Noah-Bild sei bereits für 250.000 Franken verkauft. Viele Menschen würden sich von ihm porträtieren lassen. Für 50.000 Franken pro Bild. Seine Schulden aus dem Kunstfälscherskandal von rund 20 Millionen Euro habe er längst zurückgezahlt.

Jesus, der Revoluzzer

Als was sieht sich Wolfgang Beltracchi? Er bezeichnet sich als eine Art Malermeister. "Ich male, weil es mir Spaß macht und weil ich es gut kann", erklärt er. Das Malen praktiziere er täglich in einem fast büroartigen Rhythmus von 9 bis 17 Uhr. Sogar sonntags. Pro Jahr kämen auf diese Weise rund 15 Bilder zustande.

Immer wieder zieht sich ein religiöser Duktus durch das Werk. Vor dem Arche-Noah-Zyklus hat Beltracchi ein "Salvator-Mundi"-Projekt realisiert. Orientiert an dem Leonardo da Vinci zugeschriebenen Renaissance-Gemälde, variierte der Künstler 26 Porträts des legendären Weltenretters mit Segensgeste aus der Renaissance so, dass das jeweilige Gemälde unter anderem kubistisch, impressionistisch, surrealistisch und Pop-Art-mässig daherkommt. Eine Art ironisch-grotesker Galopp durch die Kunstgeschichte mit Jesus als Frontmann. "Ich mag Jesus, ich finde ihn sehr sympathisch, weil er ein Prophet und Revoluzzer war."

Quelle:
KNA